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William Kentridges
Zeichnungen, Animationsfilme und Theaterproduktion lassen sich nicht vom
politischen Lebenszusammenhang trennen. ‹Diese Position, weder ein aktiver
Teilnehmer zu sein, noch ein völlig unbeteiligter Beobachter, ist der
Ausgangspunkt und das Gebiet meiner Arbeit.› Schwarz-weisse
Kohlezeichnungen, die von Ereignissen und von der Geschichte Südafrikas
erzählen, verbinden sich im Film zu einer Story. Rund zwanzig Zeichnungen
entstehen für jeden Film. Kentridge verwendet jedes Blatt mehrmals,
radiert Details weg, fügt anderes hinzu und radiert wieder. Dieser Prozess
bleibt in den Zeichnungen sichtbar. Es ist mehr als nur eine Technik, um
mit wenigen Zeichnungen einen Film herzustellen. Es erzeugt die für
Kentridge typische Filmästhetik ruckartiger Abfolgen und die intensive,
durch Wiederholungen fast gleichbleibender Bilder entstehende Stimmung.
Vor allem aber entspricht das Ausradieren konsequent den zentralen Themen
seiner Arbeiten, ‹wie Gefühle so flüchtig sein können und das Gedächtnis
so kurzlebig› (W.K.), Fragen des Erinnerns und Vergessens. Die Filme,
16mm, sind wortlos, mit Musik unterlegt, die Themen eine kritische
Auseinandersetzung mit der Geschichte Johannesburgs. Protagonist der
ersten Filme ist Soho Eckstein, Johannesburger Magnat, Industrieller und
Bauunternehmer, Symbol der weissen Unterdrückung und Ausbeutung. Ein
anderer Arbeitsbereich Kentridges sind seine Theaterproduktionen – ein
Zusammenspiel von Puppen, Musikern und Animationsfilm, das erst in der
Wahrnehmung zusammenfindet. Die zur Zeit tourende, erste grosse
Retrospektive Kentridges zeigt keine Dokumentationen der Theaterprojekte.
Trotzdem gehören die verschiedenen Medien zusammen. Alfred Jarrys ‹König
Ubu› beispielsweise ist zugleich Stoff einer Bühnenproduktion und eines
der acht Filme, die in der Ausstellung zu sehen sind. Thema ist die
Wahrheitsfindungs- und Versöhnungskommission, gegründet 1996, die den
Tätern für ihre offenen Aussagen Amnestie zubilligt. Immer wieder
verwandelt sich Ubus Körper zu einem Stativ, mutiert zu einem Radio, einer
Katze, einer Kamera. Cartoonartig, reduziert, abrupt – nur mit technischen
Mitteln, ohne Worte und ohne moralische Festlegung zeigt Kentridge die
ganze Absurdität und Ironie der Wahrheitskommission. Obwohl die publik
gewordenen Greuel in deutlichen Bildern auftauchen, obwohl Täter und Opfer
hintereinander erscheinen, enthält Kentridge sich einer politischen
Deutung, eines moralisch-emotionalen Urteils. Denn mit seinen Filmen,
Zeichnungen und Bühnenstücken fordert Kentridge jeden zur
Auseinandersetzung mit der eigenen Erbschaft der Apartheid auf – und mit
Fragen der Verantwortung, die weit über aktuelle oder geographische Bezüge
hinausgehen.
Bis 15.1.1999
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