zurück | vorherige Besprechung | nächste Besprechung | Links
Graz
William Kentridge in der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum
von Sabine B. Vogel
Seurat, Tiepolo, Matisse – ihre Bilder sind für William Kentridge Zeugnisse eines ‹wohligen Einvernehmens mit der Welt›, sind Visionen eines Zustands der Unschuld. Eines Zustands, der für Kentridge unmöglich ist. Kentridge lebt in Südafrika, Schuld und Unschuld erlebt er als politische Kategorien.

William Kentridges Zeichnungen, Animationsfilme und Theaterproduktion lassen sich nicht vom politischen Lebenszusammenhang trennen. ‹Diese Position, weder ein aktiver Teilnehmer zu sein, noch ein völlig unbeteiligter Beobachter, ist der Ausgangspunkt und das Gebiet meiner Arbeit.› Schwarz-weisse Kohlezeichnungen, die von Ereignissen und von der Geschichte Südafrikas erzählen, verbinden sich im Film zu einer Story. Rund zwanzig Zeichnungen entstehen für jeden Film. Kentridge verwendet jedes Blatt mehrmals, radiert Details weg, fügt anderes hinzu und radiert wieder. Dieser Prozess bleibt in den Zeichnungen sichtbar. Es ist mehr als nur eine Technik, um mit wenigen Zeichnungen einen Film herzustellen. Es erzeugt die für Kentridge typische Filmästhetik ruckartiger Abfolgen und die intensive, durch Wiederholungen fast gleichbleibender Bilder entstehende Stimmung. Vor allem aber entspricht das Ausradieren konsequent den zentralen Themen seiner Arbeiten, ‹wie Gefühle so flüchtig sein können und das Gedächtnis so kurzlebig› (W.K.), Fragen des Erinnerns und Vergessens.
Die Filme, 16mm, sind wortlos, mit Musik unterlegt, die Themen eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte Johannesburgs. Protagonist der ersten Filme ist Soho Eckstein, Johannesburger Magnat, Industrieller und Bauunternehmer, Symbol der weissen Unterdrückung und Ausbeutung. Ein anderer Arbeitsbereich Kentridges sind seine Theaterproduktionen – ein Zusammenspiel von Puppen, Musikern und Animationsfilm, das erst in der Wahrnehmung zusammenfindet.
Die zur Zeit tourende, erste grosse Retrospektive Kentridges zeigt keine Dokumentationen der Theaterprojekte. Trotzdem gehören die verschiedenen Medien zusammen. Alfred Jarrys ‹König Ubu› beispielsweise ist zugleich Stoff einer Bühnenproduktion und eines der acht Filme, die in der Ausstellung zu sehen sind. Thema ist die Wahrheitsfindungs- und Versöhnungskommission, gegründet 1996, die den Tätern für ihre offenen Aussagen Amnestie zubilligt. Immer wieder verwandelt sich Ubus Körper zu einem Stativ, mutiert zu einem Radio, einer Katze, einer Kamera. Cartoonartig, reduziert, abrupt – nur mit technischen Mitteln, ohne Worte und ohne moralische Festlegung zeigt Kentridge die ganze Absurdität und Ironie der Wahrheitskommission. Obwohl die publik gewordenen Greuel in deutlichen Bildern auftauchen, obwohl Täter und Opfer hintereinander erscheinen, enthält Kentridge sich einer politischen Deutung, eines moralisch-emotionalen Urteils. Denn mit seinen Filmen, Zeichnungen und Bühnenstücken fordert Kentridge jeden zur Auseinandersetzung mit der eigenen Erbschaft der Apartheid auf – und mit Fragen der Verantwortung, die weit über aktuelle oder geographische Bezüge hinausgehen.

Bis 15.1.1999

Copyright by Kunst-Bulletin Schweiz

Anfang

 

Links

Ausgabe: 11 / 1998
Institution: Neue Galerie (Graz)
Autor/in: Sabine B. Vogel
Künstler/in: William Kentridge