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Es dominiert weibliche Ästhetik
Kunst: An der 51. Biennale, die gestern in Venedig eröffnet
wurde, nehmen 70 Nationen teil - soviel wie nie zuvor.
Von Wolf Jahn
Venedig -
"It's all so contemporary": Es ist alles so zeitgenössisch. Das
Wachpersonal im deutschen Pavillon auf der diesjährigen Biennale in
Venedig tut sein Bestes, um die Besucher bei Laune zu halten.
Tanzend umkreist es das Publikum, seine Botschaft in permanenter
Wiederholung auf den Lippen. Den Auftrag dazu erteilte
Performance-Künstler Tino Sehgal, der hier zusammen mit dem Maler
und Bildhauer Thomas Scheibitz Deutschland vertritt. So ganz
harmonisch wirkt es aber noch nicht, wie dabei die coole, plane
Farbmalerei Scheibitz auf Zeitgenossenschaft eingestimmt wird. Aber
das kann sich noch ändern. Sehgals Motto läßt sich ja so und so
verstehen: als Ironie, Selbstironie oder als Satz, der über der
ganzen 51. Biennale steht. Ist sie wirklich so gegenwärtig, wie es
das Wachpersonal im deutschen Pavillon, stets am Rande der
Übertreibung, herausposaunt?
70 Nationen, so viele wie noch nie, nehmen diesmal an der
Biennale teil. Allein 40 von ihnen liegen außerhalb des angestammten
Terrains, den Giardini östlich von San Marco. Ein Nationen-Parcours,
der gemischter und unterschiedlicher nicht ausfallen kann. Von
kompletter Leere (Rumänien) bis hin zur bizarren Gesamtinstallation
inklusive eines blue rooms, eines Bodens aus umgedrehten
Bierflaschen und arabesken Rohr-Gebilden (Belgien) reicht das
Spektrum. Ganz auf etablierte Größen setzen die USA, Frankreich und
Großbritannien mit Edward Ruscha, Annette Messenger und Gilbert
& George. Messenger, prämiert mit dem Goldenen Löwen für den
besten Pavillon, erzählt in einer sehr persönlich gefärbten
Installation Pinocchios Geschichte. Das hat fast schon
Jahrmarkt-Charakter, wie hier alles wogt, pulsiert und sich bewegt.
Pinocchio fährt auf einem Bett durch ein Kissen-Massiv, anderen
Ortes ergießt sich durch eine Türöffnung ein Schwall roten Tuches
wie Blut in den angrenzenden Raum. Dicht an dicht gedrängt,
präsentieren sich die aktuellen Bilder von Gilbert & George. Mit
dem Ginkgo-Blatt holt das Künstlerpaar ein traditionelles Motiv in
ihre Kunst, dem sie neue, oft betont erschreckend aggressive Aspekte
abgewinnen. Spektakulär der österreichische Pavillon: Hans Schabus
hat ihn im Inneren wie im Äußeren in ein wuchtiges Bergmassiv
umgewandelt. Wer die aufwendige Holzkonstruktion von innen besteigt,
dem winkt oben als Lohn der Mühe der Blick aus dem Berg auf Stadt
und Lagune. Felix Austria. Auch so lassen sich Berge versetzen.
Gespannt war die Kunstwelt auf die Auftritte der beiden
Spanierinnen Maria de Corral und Rosa Martinez, die das Arsenale und
den italienischen Pavillon bespielen. Mit der Schau "Always a little
further" versucht Martinez dabei eine Bestandsaufnahme der
Gegenwart. Ihr Auftakt ist wegweisend: ein meterhoher Kronleuchter
aus Tampons von Joana Vasconcelos, feministische Plakate der
Guerrila Girls, ein mittelalterlich anmutendes, fast lebensgroßes
"Galgenfeld" mit Frauen von Paloma Varga Weisz prophezeien der Kunst
eine weibliche Zukunft. Das ist Programm für die gesamte Schau, die
die Kunst in den Rahmen einer auf das Sinnliche, aber auch auf das
Theatralische charakterisierten weiblichen Ästhetik setzt. Die
Stärken dieses Konzepts liegen in der publikumsfreundlichen
Sinnlichkeit der Kunstwerke, seine Schwächen zeigen sich dort, wo
sich allzu Mystisches in die Inszenierungen einnistet und sich
Installationen in Bühnenbilder verwandeln. Da summt und tönt es wie
zu besten Hippie-Zeiten, mit Kerzenschein und melancholischen
Gitarrenklängen.
Positiv an der Auswahl der Kuratorinnen fällt auf, daß sie kaum
Wert auf repräsentative Querschnitte legen. Sie geben persönliche
Statements ab. Das gilt ebenso für Maria de Corral, die mit ihrer
Schau "The Experience of Art" Kunst seit 1970 rekapituliert, mit
auffälligen Auslassungen und eigenen Akzenten. Wer Malerei sucht,
findet sie hier mit Werken von Bacon, Guston, Bernard Frize und
Jorge Macchi. Stärke zeigt de Corral in der Fraktion Video, mit
einer überzeugenden Auswahl, die in einem großen und großzügigen,
der Arbeit von William Kentridge gewidmeten Raum gipfelt.
Die großen theoretischen Wertsetzungen hat und will diese
Biennale nicht. "Statt Kategorien", wie de Corral betont, "gibt sie
der Intensität den Vorzug." Ein mutiges Vorhaben, bei dem sich
mitunter Gefälliges, allzu Leichtes und rein Atmosphärisches
einmischen. Aber wie tönte das Wachpersonal im deutschen Pavillon so
schön: "It's all so contemporary".
Biennale Venedig, bis 6. November.
Statt wie früher auf repräsentative Querschnitte wird diesmal in
Venedig viel größerer Wert auf persönliche Statements gelegt.
erschienen am 13. Juni 2005 in Kultur / Medien
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