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17.06.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Große Freiheit: Als die Dorfmusik vorbei war
VON THOMAS KRAMAR
"Hamburg Sound" - und Liverpool liegt an der Elbe: Wie eine Ausstellung die Beatles und den Beat stolz eingemeindet.

"Was ist deutsch?" fragt dieser Tage eine Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg - und ortet u. a. Königin Luise von Preußen und Winnetou im Schrebergarten. Mit weniger offensichtlicher Ironie weitet die Ausstellung "Beatles, Beat & Große Freiheit" im Museum für Hamburgische Geschichte das Nationalbewusstsein. Dort steht gleich als Einführung: "Zu Beginn der 60er Jahre wurde in Hamburg ein neuer Musikstil entwickelt, der als Beat weltweit die Popmusik prägte."

Eine kühne Umdeutung der Popgeschichte. Die aber doch grübeln lässt: Mussten die Beatles 1960 nach Hamburg gehen, um 1963 in Liverpool zu explodieren? Die Städte liegen auf demselben Breitengrad (53 Grad Nord), sind beide typische Hafenstädte mit dem dazugehörigen Halbwelt-Angebot; Tony Sheridan - dem die Beatles damals als Begleitband dienten - hatte keine Probleme, sein "Bonnie" von der Mersey an die Elbe zu übersiedeln. Die noch rauere, noch stärker sexuell aufgeladene Atmosphäre Hamburgs mit seinen bis heute grotesk überdimensionierten Red-light-quarters mag beigetragen haben, John Lennon & Co zu entzünden, die intellektuellen "Exis" mögen ihr Selbstbewusstsein gestärkt (und ihnen schwarze Rollkragenpullover verpasst) haben, aber der spezifisch deutsche Einfluss auf den Beat der Beatles und Konsorten war doch eher gering.

Die Ausstellung begründet ihn auch nicht weiter, sondern zeichnet, mit Nierentisch Jukebox, Mondlandung, Che und allem, was sonst noch so dazugehört, die From-wirtschaftswunder-to-studentenrevolte-Saga, die ja einen Vorteil hat: Sie kommt der Realität ziemlich nahe. Die Sechzigerjahre bleiben das dankbarste Jahrzehnt für den Kulturwissenschaftler mit Freude am linearen Fortschritt. Und sie haben bekanntlich popkulturell 1962 angefangen: mit "Love Me Do", der ersten "richtigen" Single der Beatles.

Die hamburgische Sicht fügt sich gut drein: Auch der Star-Club wurde erst 1962 eröffnet (am Freitag, den 13. April) - mit einem großartigen Plakat: "Die Not hat ein Ende! Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei!" Bis zum 31. 12. 1969 regierte im Haus mit der Adresse "Große Freiheit 39" die Anti-Dorfmusik, sogar Jimi Hendrix drängte sich in die enge Garderobe. Die Beatles kamen nach 1962 freilich nicht mehr. Aber noch - oder schon - 1968 warb die Plattenfirma für die Retro-Single "Lady Madonna" mit der nostalgischen Wort-Kaskade "therockandrollcombodirectfromhamburgwiththemerseybeatnow".

Die Geschichtchen über die Kommunikation zwischen den Beatles und den Damen, die gleich nebenan arbeiteten, lässt die Ausstellung aus, rührt aber mit Postkarten des rechtschreibschwachen Ringo Starr an seine Oma und mit einer Kurz-Autobiografie John Lennons: Als "ambition" nennt er, dick unterstrichen, "to be rich"; sich selbst bezeichnet er schlicht als "Leader".

In deutschen Zeitungen fanden zumindest die ersten Jahre des Aufbruchs an der Reeperbahn keinerlei Resonanz. Da war höchstens nebenbei vom "Jazz-Quartett" namens "Beatles" oder vom "Twist-Sänger" namens "Mike Jagger" die Rede, ansonsten druckte man Leserbriefe, die sich über "Mistkäfer" und "Paviane" empörten. Man mag sich heute, wo Popmusik längst ihren bequemen Platz in den Feuilletons hat, darüber mokieren - aber welche heutigen Kulturredakteure gehen zwischen Bordellen und Peep-shows auf Entdeckungstour? Wo das "Top-Ten" - auch ein früher Auftrittsort der Beatles - war, lockt heute die Diskothek "La Rocca", im Hof des Star-Club stehen ein "Rock Café" (mit billigen Fleischspießen) und ein "Thai-Paradies" - wer würde dort nach Pop-Avantgarde suchen?

Fünf Minuten weiter Richtung Elbe: Der "Golden Pudel Club", die auch schon fast legendäre Heimat des gewitzten Fun-Punk im Fischmarkt-Viertel, wird wohl stehen bleiben, auch wenn sämtliche Häuser drum herum abgerissen werden. From jugendkultur to denkmalschutz, das ist heute keine lange gewundene Straße mehr. Und auch der bekennende "Dorfpunk" (und "Pudel"-Betreiber Rocko Schamoni weiß: Die Tage der Dorfmusik sind vorbei, sie kommen nicht wieder. Die Pop-Touristen schon.

"The Hamburg Sound - Beatles, Beat und große Freiheit": Bis 5. 11., Di bis So: 10-17 Uhr, Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24, www.hamburgmuseum.de

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