diepresse.com
zurück | drucken

11.02.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Valie Export: Ohne Angst vor Altersstarre
VON ALMUTH SPIEGLER
Valie Exports weitgereiste Wanderwerkschau endet im lichten Schlund der Sammlung Essl: Ein durchaus stolzes Wiedersehen.

Auf den ersten Blick ist der erste Blick eine Zumutung. Eine Phalanx häss licher Fernsehapparat-Rückseiten verstellt den Raum. Um 90 Grad verdreht stehen sie hoch aufgerichtet auf ihren Stahlpodesten, hängen wie Kranke an den von der Decke fallenden Stromkabeln. Man muss sich schon selbst bewegen, eindringen in diese Armada, sich umdrehen im Gehen, um mehr zu sehen. Doch zuvor erreicht einen der Ton - dieses schmierige, hypnotische Tackern der Nähmaschinen, dieser diktatorische Arbeits-Soundtrack von Milliarden sich vor der Nadel krümmenden Frauen. Auf 25 Monitoren schließlich schießen die Spitzen nieder, allerdings ohne zu penetrieren, ohne Stoff, völlig nutzlos.

Valie Export hat die Videos 1998 formiert. Die Installation mit dem anstrengenden Titel "Die un -endliche/-ähnliche Melodie der Stränge" ist der eindringliche Auftakt zur Werkschau der 1940 in Linz geborenen Künstlerin in der Sammlung Essl. Klosterneuburg ist der letzte Stopp dieser Retrospektive, die Caroline Bourgeois 2003 für das Pariser Centre Pompidou zusammengestellt hat. Weiter ging es nach Sevilla, Genf, London. Europa, so ist anzunehmen, sollte jetzt profund über Österreichs wichtigste feministische Aktionistin und notorische Medien-Erweitererin informiert sein.

Die Ausstellung "X-Screen" im Wiener Museum moderner Kunst vor einem Jahr manifestierte Valie Exports Platz auch international unter den Medienkunst-Pionieren der 60er und 70er Jahre. Ihre erste Expanded-Cinema-Installation konnte sich neben Arbeiten von Andy Warhol, Nam Jun Paik und Vito Acconci behaupten. "Abstract Film No. 1" von 1967/68 bestand allein aus Licht und Wasser, das über einen Spiegel lief.

Heute sind Exports Werke beliebt, tauchen in Dutzenden Gruppenausstellungen auf - von den Fotos des Gassi-Gangs mit Exports Ex-Partner Peter Weibel und dem Tapp- und Tastkino scheinen die Kuratoren wie besessen. Vor fünf Jahren zeigte die Galerie im Taxispalais in Innsbruck eine Personale, vor acht war die erste österreichische im 20er Haus zu sehen. Und bis 20. Februar noch fokussiert das "Atelier Augarten" das serielle Schaffen der seit Jahrzehnten im deutschen Universitäts-Exil lehrenden Feminismus-Ikone. Sprich, wir litten bisher unter keinen Export-Mangelerscheinungen. Und doch ist dieser Ausstellung etwas Schönes gelungen - sie nimmt uns an der Hand und lässt nicht mehr los. Eine gute Bedingung, um bei "Remote . . . Remote . . ." einmal nicht wegzublinzeln, wenn sich Export ihre Nagelhaut blutig schabt.

Zwar wird kein Klischee ausgelassen - vom auf Valie umgeklebten Smart-Export-Zigarettenpackerl unterm Glassturz bis zur Genitalpanik-Posterwand mit der im Schritt aufgeschnittenen Hose. Doch sind das mehr vertrauensbildende Maßnahmen, um immer tiefer in Essls lichten Raum-Schlund gesogen zu werden. Vorbei an 120 Exponaten, an allen wichtigen Aspekten in Exports Werk: Identität, Körper, Sprache, konzeptueller Fotografie, Installationen, Neuen Medien. Erstmals in Wien zu sehen sind die "Kinderzeichnungen": psychologisierend und kafkaesk illustrierte Export hier Anfang der 70er Jahre dunkle Fantasien.

Immer wieder wird man eingefangen, der einfache Fluchtweg, vorbei an den Kojen, versperrt: etwa von der sozialpädagogisch äußerst wertvollen Spielfläche von "Autohypnose", einer interaktiven Versuchsanordnung (1969/73). Wer den richtigen Weg von Wort zu Worte wählt, von "Besitz" bis zu "Meditation", der aktiviert das Video einer applaudierender Menschenmenge. Die von der Gesellschaft belohnte Entscheidung muss bei Export natürlich die falsche sein: "Liebe", "Entsagung", "Erfahrung" folgt Klatschen. "Ich", "Disziplin", "Wissen" folgt das Schlimmste: nichts.

An diesen bereits historischen Exponaten sind die letzten Jahrzehnte nicht immer spurlos vorübergegangen. Manchmal ist die Ästhetik zu modisch, manchmal sind Aussagen zu offensichtlich. Doch viel wirkt heute noch genauso scharf wie damals. Eigentlich traurig. Insgesamt mangelt es etwas an neueren Arbeiten. Dafür entschädigt aber die Video-Installation "Macht der Sprache" (2002): Dass eine männliche Stimmritze derart weiblich aussehen kann . . .

Valie Export zählt zur so genannten zweiten Aktionisten-Generation. Anders als ihre Kollegen aber war sie offensiver gesellschaftskritisch, nicht so sehr mit sich selbst und einem geschlossenen Gesamtwerk beschäftigt. Diese Vielfalt hat auch ihre Nachteile: Die Künstlerin kann nicht sofort anhand eines Merkmals, sei es die Übermalung, das Blutige, das Bandagierte, identifiziert werden. Diese Offenheit ist zwar weniger prestigeträchtig, doch tausendmal wichtiger. Exports Kunst kann sich heute noch frei entwickeln, ohne modischen Zynismus und ohne Angst vor Altersstarre.

© diepresse.com | Wien