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Marilyn Manson: Aquarelle des "Antichrist Superstar"

26.06.2010 | 18:23 | von Thomas Kramar (Die Presse)

Als Metal-Extremist hat Marilyn Manson alle Register gezogen. Nun präsentiert er sich als Maler – ab Mittwoch im "Project Space" der Kunsthalle Wien.

Marilyn Manson, der Vorname des Massenidols, der Nachname des Mörders: ein Künstlername, ein Programm. Als der Musikjournalist Brian Warner 1989 die gleichnamige Band gründete, beschränkte er diese Nomenklatur nicht auf seine eigene Person: Sein Gitarrist hatte fortan Twiggy Ramirez (von Richard Ramirez, ebenfalls ein Serienmörder) zu heißen, seine Keyboarderin rief er Madonna Wayne Gacy (von John Wayne Gacy, als „Killer Clown“ zu zwölf Todesstrafen verurteilt) usw.

So stellte sich Warner ins spätestens seit Alice Cooper (siehe Seite 48) gut etablierte Populärkultur-Genre „Schockrock“. Genauso konsequent arbeitete er alle zur Verfügung stehenden Tabus ab: Warner, einst Zögling einer streng christlichen Privatschule, posierte als Christus-Imitator, als „Antichrist Superstar“, der sich aufs heilige Holz („Holy Wood“) nageln ließ; er sang die „Hate Anthem“; er kokettierte mit totalitärer Ästhetik, beschwor das „Dirty Word Reich“. Sadomasochismus sowieso. Gespielte Abtreibungen. Brennende Bibeln. Nur mit Mickey-Maus-Ohr auftreten, das durfte er nicht, das verhinderte der Disney-Konzern.

Diese Schreckensshow war lange sehr erfolgreich und wurde fad, auch wenn man hinter all der Holzhammer-Provokation, durch all den auf maximalen Knalleffekt getrimmten Industrial-Metal bisweilen doch einen Hauch echten Schreckens spürte: etwa in Marilyn Mansons Augen. Er trug Kontaktlinsen mit aufgemalten winzigen Pupillen: Augen der Angst und der Mitleidslosigkeit zugleich, dazu fett überschminkte Lippen und Stahlstifte statt Zähnen.

Auf ähnlich präzise Weise verstörend wirken nun manche Features seiner Aquarelle. Etwa das offenbar malträtierte Geschlecht und die leeren Augen auf einem Bild namens „Scoptic Syndrome“ – der Name bezeichnet eine Störung des Sehsinns, die sich auch in der Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen, auswirken kann. Oder „The Man Who Eats His Fingers“, ein Selbstporträt mit Fingern, die in blutigem Rot enden, wobei die Verletzungen aber nicht naturalistisch ausgeführt sind. Das ist nicht nur der Splatter-Movie-Horror einer Verstümmelung, das ist auch die seelische Pein eines nägelbeißenden Kindes. Die Farben wurden für dieses Bild mit Kamillentee verdünnt, heißt es; wenn das nicht wahr ist, ist es gut erfunden.

„Die eigenartig pastellige Farbgebung konterkariert den aggressiven Inhalt“, meint Gerald Matt, Direktor der Kunsthalle über Warners Werk. Und er versichert: „Was wir hier zeigen, sind unglaublich gute Arbeiten. Wie er als Musiker ist, ist für mich irrelevant. Wir zeigen Marilyn Manson nicht als Musiker, der auch ein bisschen malt. Es gibt viele Musiker, deren bildnerische Werke wir hier nicht zeigen würden, Bob Dylan etwa.“

Mit dem österreichischen „Schockmaler“ Gottfried Helnwein ist Brian Warner gut befreundet. Doch Matt sieht keine Einflüsse von Helnweins „überzeichnetem Superrealismus“. „Marilyn Manson hat eine viel subtilere Grauslichkeit.“


Doppelausstellung mit David Lynch. Schmerz und Verletzbarkeit waren auch zentrale Themen im Frühwerk von Regisseur David Lynch. „Wir haben gleich an ihn gedacht“, erzählt Matt, „und erst später erfahren, dass die beiden zusammengearbeitet haben. So hat Manson in ,Lost Highway‘ eine Nebenrolle gespielt.“ Von Lynch zeigt die Kunsthalle in der Ausstellung vier Kurzfilme: „Six Men Getting Sick“ (1967), „The Alphabet“ (1968), „The Grandmother“ (1970), „The Amputee“ (1973).

Bezug auf die Welt des Films nimmt Warner in einem Bild, das auch seine Serienmörder-Obsessionen aufgreift. Laut Titel zeigt es Elizabeth Short als Schneewittchen. Man sieht den entstellten Körper einer Frau: Elizabeth Short war ein Starlet in Hollywood, das 1947 ermordet wurde. Der Mörder, der den Mund seines Opfers zu einem grotesken Grinsen geschnitten hatte, wurde nie entdeckt, verdächtigt wurde u.a. Orson Welles. 2006 erschien ein Buch namens „Exquisite Corpse“, das behauptete: Der Mord an Short sei nach Prinzipien surrealistischer Kunst ausgeführt worden. Das Playgirl als Opfer der Kunst: ein Fall für den Mann, der sich Marilyn Manson nennt.


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