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05.09.2005 - Kultur&Medien / Kultur News
Angewandte: "Sind ja nicht im Kindergarten"
VON ALMUTH SPIEGLER
Interview. Johanna Kandl wird ab Herbst auf der Angewandten Malerei unterrichten.

I
believe in god and I believe in the free market." Lapidar steht dieses Zitat eines Enron-Managers über der Szene aus dem Neuen Testament, in der Jesus die Händler aus dem Tempel vertreibt. Johanna Kandl hat das Bild in fast schon nazarenischer Weise nach einem Dürer-Blatt aus der Albertina gemalt und in bewährter Art mit einem Spruch aus der Wirtschaft versehen. In Irland hat sie es sogar einmal in einer Fußgängerzone auf den Boden gemalt. "Das Motiv interessiert mich sehr. Es ist das einzige mal, das Christus böse ist. Außerdem hat die Szene etwas mit Antisemitismus, Antiorientalismus und Marktwirtschaft zu tun." Alles Themen, die Kandl seit Jahren verknüpft. Ihre präzise Eitempera-Malerei entsteht nach Fotos alltäglicher Situationen wie etwa Marktplätze, die bei unzähligen Reisen durch den Balkan und den ehemaligen Ostblock entstehen. In ihrem Archiv befinden sich bereits 100.000 Fotos, eine Auswahl soll im Herbst gemeinsam mit Geschichten von Sammlern als Buch erscheinen. Es wundert nicht, dass die Käufer von Kandls zwischen 3000 und 21.500 Euro teuren Bildern vor allem aus der Wirtschaft kommen, und im speziellen Geschäfte mit Osteuropa machen.

Aber Malerei ist nur ein Teil von Johanna Kandls Arbeit. Gemeinsam mit ihrem Mann Helmut macht sie teils grandiose Videoinstallationen, gewitzt zwischen Science und Fiction angesiedelt. Da wird etwa über Einsteins verschwundene voreheliche Tochter Lieserl spekuliert, die schließlich, von ihren Eltern in die Zukunft geschickt, als jugoslawische Präsidentin Nada Novakovic eine wirtschaftlich boomende Balkan-Union gründet, die wiederum der EU beitritt. Und Cevapcici treten ihren weltweiten Siegeszug auf dem Fast-Food-Sektor an.

Das Video ist gemeinsam mit neuen Bildern von Kandl ab Donnerstag in der Galerie Christine König zu sehen. Zu sehen sein werden bei der Vernissage wohl auch eine Menge Studenten. Schließlich gilt es, die großteils in Berlin lebende Künstlerin, die ab Herbst auf der Universität für angewandte Kunst die beiden Malereiklassen von Adolf Frohner und Wolfgang Herzig übernimmt, einmal ausgiebig zu beschnuppern. Etwa 80 Studenten wird Kandl dann zu betreuen haben. Und sie kündigt bereits an: "Ich werde sicher sehr viel ändern." Medial aufrüsten etwa. "Technologien wie Video, Schneiden, Fotografie, Computerarbeit - das sollen meine Studenten alles können. Nicht perfekt, aber sie sollen sich auskennen. Auch wenn sie es nie verwenden werden." Und mehr hinausgehen will sie aus "diesem engen Kunstkontext". Der Focus werde zwar auf Malerei liegen, aber es sollen "Recherche- und partizipatorische Projekte" dazukommen. Unterstützt wird sie dabei von Assistent Kamen Stoyanov, einem ehemaligen Schüler von Eva Schlegel.

Ihre neue Aufgabe sieht Kandl jedenfalls skeptisch: "Es gibt eine wahnsinnig große Gefahr beim Unterrichten an einer Kunsthochschule: Man ist viel mit jungen Leuten zusammen, die manchmal dazu tendieren, alles zu glauben, was man ihnen erzählt. Und der Professor glaubt dann irgendwann, er weiß alles besser. Man muss immer hinterfragen. Alles andere macht mich nervös und das mag ich nicht. Ich will kein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Wir sind ja nicht im Kindergarten." Sie selbst konnte sich dieser Abhängigkeit in ihrer eigenen Studienzeit entziehen: Als sie die Klasse von Wolfgang Hollegha an der Akademie besuchte, stand sie bereits voll im Berufsleben. Sie restaurierte mit einer kleinen Firma Kirchenfassaden u. a. in Göttweig, Wiener Neustadt, Melk. Bodenständig ist sie bis heute geblieben: "Natürlich ist mir wichtig, dass meine Studenten gute Künstler werden. Aber noch wichtiger ist mir, dass sie davon auch leben können. Kunst muss ein Beruf sein."

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