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Steirischer Herbst: Die Zweite Welt landet im Keller

22.09.2011 | 18:16 | von Sabine B. Vogel (Die Presse)

Für die Hauptausstellung wurde das Zagreber Kuratorenkollektiv „What, How and for Whom“ eingeladen, und muss modrige Räumlichkeiten bespielen. Austellung in der Galerie Zimmermann Kratochwill.

Quer durch den Raum verläuft eine knallrote Wand. Die Form entspricht einer Grenzlinie, die von Israel durch Gebiete im Westjordanland gezogen wurde, dabei ein privates Haus, das Parlament, eine Moschee und ein Fußballstadion zerschneidend. Hier in der Ausstellung „Zweite Welt“ allerdings droht kein Abriss von allem Störenden, sondern ganz im Gegenteil: Hier wird der Blick auf parallele, fiktive, ersehnte Welten gelenkt, auf eine Wirklichkeit, die anders sein könnte – anders, als es die geopolitische Einteilung unserer Welt vorgibt.

Der Titel ist dabei zugleich Referenz und Ziel: In den Jahren des Kalten Krieges war Osteuropa diese Zweite Welt. Nach der Wende 1989, schreibt das Kuratorenteam „What, How and for Whom“ (WHW), sei in diesen Ländern eine „Verdrittweltlichung“ zu beobachten gewesen, die seither in sämtlichen Großstadtgebieten der Welt zu finden sei. Die Folgen: „politische Instrumentalisierung von Einwanderungsthematiken und Grenzüberwachung“, Ängste und Polaritäten. Und genau diese Aspekte greifen die vier Frauen des 1999 gegründeten Kuratorenkollektivs aus Zagreb jetzt in der Hauptausstellung des Grazer Steirischen Herbstes auf, und dies tiefgehender als intendiert.

 

„Zerbrechlichkeit der Mittelklasse“

Da der Steirische Herbst nicht über eigene Ausstellungsräume verfügt, mietet sich das Festival jedes Jahr irgendwo ein. Dieses Jahr ist es die Galerie Zimmermann Kratochwill, deren Raum für die 14 Künstler allerdings zu klein ist. In den ebenerdigen, ordentlich weiß ausgemalten Räumen lernen wir das „Jewish Renaissance Movement in Poland“ kennen, das 3,3 Mio. Juden zurück nach Polen bringen möchte, sehen eine schablonenhafte Wandzeichnung und Bilder von häuslichen Szenen, in denen Hunde in Menschenkörper gesetzt sind. Diese Bilder sollen auf „die Zerbrechlichkeit der verschwindenden Mittelklasse verweisen“ – erinnern aber eher an das unergründliche Verschmelzen von Hundchen und Herrchen, was ja durchaus auch als eine Zweite Welt erfreuen kann.

Irgendwo dazwischen steht eine kleine Drehorgel, die die Internationale abspielt. Der Klang wird im Untergeschoß übertragen. In diesem nur notdürftig renovierten, modrigen Keller werden auch Videos und Installationen von sechs Künstlern präsentiert. Und nur Daniel Knorr geht auf den Ort ein, wenn er eine archäologische Situation mit abgeschlagenen Steinen inszeniert. Die anderen Beiträge gehen unter, etwa die Erklärungstafeln zu einem Workshop, der in einem Gefängnis stattfand und den Gefangenen einen Moment lang die Chance gab, ihre Träume zu inszenieren – die aber jetzt im Keller gelandet sind.

Oder soll dieser Keller als Sinnbild auf eine Zweite Welt im Kunstbetrieb verweisen? Oder als Beweis der Verdrittweltlichung dienen? Das wäre zynisch und kontraproduktiv, weil dann sämtliche Werke auf eine Aussage reduziert wären – noch dazu eine, die so nirgendwo intendiert ist. Denn in den ausgewählten Beiträgen spielen Wünsche nach Veränderungen eine zentrale Rolle, die Hoffnung, die Weichen doch noch anders zu stellen. Es mag zwar hier und da Verschüttetes ausgegraben werden, was zum Keller passen könnte – aber vor allem werden Utopien entworfen und auch Gemeinschaftsbilder überprüft. Dieser Aspekt steht auch im Mittelpunkt der Camera-Austria-Ausstellung „Communitas. Unter anderen“. Wird Gemeinschaft unterdrückt, ist es noch ein Kernaspekt des gesellschaftlichen Zusammenlebens oder schon eine Utopie? Diese Fragen ziehen sich durch die hervorragende Auswahl von zehn Künstlern, die als Ergänzung zu „Zweite Welt“ besucht werden sollte – um den Keller vergessen zu können.

Zweite Welt, c/o Galerie Zimmermann Kratochwill, Graz, bis 16.Oktober


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