Ponger: Schnittstelle Museum -Wahlverwandtschaft Nolde
Lisl Ponger untersucht eine neue Schnittstelle zwischen Kunst
und Wissenschaft, indem sie - wie bisher - mit strukturalistischer Methode
transdisziplinär Ethnologie, Soziologie, Kunstgeschichte und
Politikwissenschaft verknüpft: Neu ist aber der Ort ihrer fotografischen
Spurensuche, das Museum für Völkerkunde. Nach dem documenta XI-Beitrag
über ihre "Nachlese" des G8-Gipfels in Genua, die Ausstellungen "Routes"
im Grazer Kunstverein und "Die große Schere" auf den Plakatwänden vor der
Arbeiterkammer Wien 2002 über die weiterhin geringer geschätzte Arbeit von
Frauen wendet sie sich neben ihren filmischen und politischen Projekten
nun einigen Heroen der klassischen Moderne zu: Emil Nolde steht am Anfang
einer Serie von fotografischen Skizzen; andere Künstler des 20.
Jahrhunderts und des Orientalismus
werden folgen. "If I was Nolde today" greift in verschiedenen
Ebenen auf den Künstler zurück - seine Expedition mit Berliner
Wissenschaftlern in die Südsee 1913/14 ist in einem Tagebuch und in
vielen aquarellierten und gezeichneten Blättern
erhalten. |
Jahrhunderts und des Orientalismus werden folgen. "If I was Nolde
today" greift in verschiedenen Ebenen auf den Künstler zurück - seine
Expedition mit Berliner Wissenschaftlern in die Südsee 1913/14 ist in
einem Tagebuch und in vielen aquarellierten und gezeichneten Blättern
erhalten. Seine Ölgemälde liefern Anregungen für Menschenstudien,
Landschaften, Seestücken und Stillleben mit Masken und anderen Artefakten,
die in großen Mengen in den Depots der großen Museen Europas zur
"Völkerkunde" aufbewahrt werden. Nach der Lektüre des Tagebuchs nahm Lisl
Ponger die Exponate melanesischer Volkskunst als Sujet ihrer Fotos statt
der von ihr geliebten Trophäen des Alltags, die schon ein eigenes Archiv
füllen. Found Footage-Material aus dem Tourismuskitsch-Umkreis wird in
musealisierte Idole, Fetische, Masken, Schutzheilige und archaische
Werkzeuge als Vorgabe für die Kamera umgetauscht. "Primitive Kunst"
und "Naturvölker" sind dabei die Begriffe, die nach wie vor diese
Beispiele jahrhundertelanger wissenschaftlicher Sammelwut europäischen
Vorherrschaftsgefühls wiederspiegeln. Die Gegenstände sind ihres rituellen
Zusammenhangs und nicht selten ihres ganzen Kontexts beraubt worden;
verblieben ist ihre ästhetische Faszination, Quelle exotischer
Ausstrahlung. Diese nützten auch die Avantegardistinnen und
Avantgardisten um und nach 1900 und besonders in den sechziger Jahren, zum
Teil sogar bis heute, für ihren Aufbruch in eine neue Kunstsicht: kein
Kubismus ohne afrikanische Masken, keine Art brut ohne Rückkehr in die
"Unschuld" des Kindes, des Geisteskranken oder eben des "edlen Wilden".
Die Wiederbelebung der Magie in der Kunst kommt in der enormen
Wertschätzung der Bilder von Picasso, Nolde oder der Cobragruppe immer
noch zum Ausdruck - die anregenden Relikte aber gelten bestenfalls als
wissenschaftliches Material mit Volkskunstcharakter. Die
Zusammenarbeit mit der Kustodin im Museum für Völkerkunde, die das
Interesse der Künstlerin durch ihre wissenschaftlichen Ergebnisse
bereichert, hilft abwesende Identitäten aufzuspüren.
Schon für die vor kurzem
stattgefundene Nolde-Ausstellung im Kunstforum wurde der Kreis
wieder geschlossen, und die Spannung zwischen Kunst und Wissenschaft
steigert sich auch jetzt durch einige wenige Stücke im Wiener Museum
für Völkerkunde, die durch Herkunft vom Berliner Museum einen
direkten Zusammenhang mit Nolde (seiner Südseereise und seiner
Kunst) haben. |
Schon für die vor kurzem stattgefundene Nolde-Ausstellung im Kunstforum
wurde der Kreis wieder geschlossen, und die Spannung zwischen Kunst und
Wissenschaft steigert sich auch jetzt durch einige wenige Stücke im Wiener
Museum für Völkerkunde, die durch Herkunft vom Berliner Museum einen
direkten Zusammenhang mit Nolde (seiner Südseereise und seiner Kunst)
haben. Das Museum scheint durch die Fotografien Lisl Pongers, die sie
Skizzen zur neuen Serie "If I was Nolde today" nennt, einerseits als Ort
des Dialogs gemeinsam untersuchter "Wahlverwandtschaften" (William Rubin)
in der Nachmoderne auf, andererseits bleibt es Raum der Einsichten in
kolonialistische Strukturen und fordert uns auch durch neue Entdeckungen
und Konstruktionen zum Nachdenken über die westliche Hybris und den
"verflixten Begriff primitiv" (Sally Price) auf. Tätowierungen und Shirts
mit Tatoo-Design waren Anregungen für das Foto "Wild Places", das den
letzten Serien voran und zur Seite steht; zeigt es doch eine Art
Selbstbildnis oder Selbstdefinition ihrer Tätigkeit. Die vorne agierende
Hautzeichnerin als Spurenschreiberin der Identität ist echt, die Wörter am
Arm der Künstlerin sind es nicht, aber sie deuten auf die vielen
Möglichkeiten verworfenen Daseins, wie die gestrichenen Liebhaberinnen am
Arm von "Häfnbrüdern". Das neue Schönheitsideal der Tatoos ist früher nur
im Rotlichtmilieu als Stigma eines Gefängnisaufenthalts verbreitet
gewesen; nun hat sich unsere kleine Welt auch in Sachen Hautkunst
globalisiert und gewandelt. "Artist" als Standortbestimmung bezieht
sich auf die Inszenierung Pongers als Maler Nolde vor den Artefakten
seiner Südseereise am theatralischen Ort Museum: Heute verstünde er sich
vielleicht als weibliche Forschungsreisende, Fotografin zwischen Kunst und
Wissenschaft, "Xenographin", und würde mit konzeptuellem Blick, an der
wissenschaftlichen Methode orientiert, einen rassismuskritischen Diskurs
auslösen. Zu den Abbildungen: Oben links: "Wild Places", 2000
Oben rechts und unten: "If I was Emil Nolde today. Skizze aus dem
Museum für Völkerkunde", 2003
Erschienen am: 05.09.2003 |
. |
Mit unseren Suchseiten können Sie in der Zeitung
und im Internet
recherchieren. Nutzen Sie die Link-Sammlungen, um EDV-Unternehmen und
Software zu finden.
|
. |