Punker, haltet die Haare steif!
Von Claudia Aigner
Wien muss insgeheim ein Regenwald sein. Denn wenn man nur
lange genug auf der Lauer liegt oder gleich die richtigen Orte kennt (das
"Flex", die "Arena" oder die Ringstraße, wenn dort gerade die "Free Party"
steigt), dann bekommt man die Paradiesvögel der Donaumetropole zu Gesicht.
Und die sind allesamt noch nicht in dem Alter, in dem man ihnen nicht mehr
trauen könnte (also nicht über 30). "Coole Kids" nennt sich eine
größtenteils "minderjährige" Fotoausstellung, die noch bis 31. Oktober im
Otto-Wagner-Pavillon am Karlsplatz läuft. Das Historische Museum der Stadt
Wien hat Didi Sattmann engagiert, damit er mit seinem Fotoapparat der
Jugendkultur "nachstellt" (aus rein dokumentarischem Interesse, versteht
sich). Trotzdem gehen die meisten Aufnahmen über die "reinrassige"
Dokumentation hinaus. Sattmanns Fast-Erwachsene sind selbstbewusst,
ohnmächtig, vergnügungssüchtig, deprimiert, überdreht, unbeschwert und vor
allem schillernd. Und wenn sie an einem Lutscher lutschen, sind sie am
ehesten dann "megacool", wenn sie dabei türkise Haare haben. Apropos
Haare: Die toben sich aus wie die bunten Federn exotischer Vögel und
gehören, so gesehen, auch ein bisschen nach Neuguinea. Sattmanns
Frisurenstudien lassen dementsprechend ein geradezu ornithologisches
Interesse erahnen. Stehvermögen beweist nicht nur ein pinker Irokesenkamm,
auch sonst wird die Richtung, die der Haarwuchs einschlägt
(schwerkraftbedingt üblicherweise nach unten), nicht einfach so
hingenommen. Und in Anlehnung an die Redewendung vom Ohrensteifhalten
möchte man den Mädchen und Burschen zurufen: "Haltet die Haare steif!"
Didi Sattmann hat in seinen buntfröhlichen Fotos die Farben- und
Formenvielfalt der Teens und Twens eingefangen. Etwa die schrillen
Raverinnen auf der Free Party am Ring: eine Mischung aus Hollywood-Diva
und Go-go-Girl, da und dort mit einem Schuss "Addams Family". (Aber eine
Free Party ist ja ein Ausnahmezustand.) Oder die "Girlies" (vielleicht die
späten Nachfahren des "süßen Wiener Mädels"). Oder die Gepiercten, die
sich freiwillig so etwas wie die gemäßigte Variante des "Martyriums des
Hl. Sebastian" antun. Dieter aus Stockerau wurde zwar nicht von Pfeilen
durchlöchert, sondern "nur" von vergleichsweise harmlosem Metallschmuck:
Die Anzahl der Fremdkörper pro cm² dürfte bei ihm aber in etwa dieselbe
wie beim Hl. Sebastian sein (und damit kann er jetzt einen Metalldetektor
zum Wahnsinn bringen). Ein Mädchen trägt ein T-Shirt mit der
Aufschrift "Kein Alkohol, keine Drogen, nur Gemüse". Und raucht trotzdem.
(Gesundheit predigen, aber Lungenkrebs inhalieren und stinkige
Luftverschmutzung ausatmen!) Aber Tabak ist ja auch irgendwie ein Kraut.
Eindeutig gestellt (und regelrecht symbolisch): Didi Sattmann postiert
eine Halbwüchsige ausdrucksstark vor einer übergroßen Maid in roter
Reizwäsche auf einem "Palmers"-Plakat, also quasi vor dem übermächtigen
Bild, das sich die Werbung von der Frau am liebsten macht: die Frau als
optischer Anreiz für den Mann, seine Libido auszupacken. Und wenn dasselbe
Mädchen ganz klein und fast verloren neben einem auf die Hauswand
gesprayten Satz steht ("Ich fühle O-Macht"), hat Sattmann es wieder einmal
geschafft, ein ganzes Lebensgefühl in einem einzigen Bild zu verdichten.
Genauso wie ihm das in seinen dynamischen, mitreißenden,
adrenalingetränkten Fotos von Clubbings und dergleichen gelungen ist, wo
sich der Bewegungsdrang durch die lange Belichtungszeit untrennbar mit den
augenbetäubenden Lichtern vermischt. Und wenn man genau hinschaut, kann
man da sogar die Techno-Musik (oder meinetwegen HipHop) hören.
Erschienen am: 18.08.2000 |
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