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Kunstberichte
Das Museum moderner Kunst präsentiert den amerikanischen Malerstar Cy Twombly

Der Schleier des Unfassbaren

Linkische Eleganz: "Untitled" von Cy Twombly. Foto: Archiv Nicola del Roscio, Rom/Jochen Littkemann

Linkische Eleganz: "Untitled" von Cy Twombly. Foto: Archiv Nicola del Roscio, Rom/Jochen Littkemann

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Es ist eine wirkliche Sensation, dass Kurator Achim Hochdörfer so viele dieser Werke – trotz ihrer ausufernden Marktpreise – scharen konnte: Sowohl Malerein als auch Fotografien und Skulpturen des Amerikaners Cy Twombly füllen die Schau "Sensation of the Moments" im Museum moderner Kunst (Mumok).

Viele Werke aus den Ateliers des heute über Achtzigjährigen sind darunter, und vor allem die Fotos wurden davor in keiner der wichtigen Retrospektiven gezeigt.

Ohne Nahbezug zu dem publikumsscheuen Künstler sind auch die unverkäuflichen Skulpturen nicht zu bekommen. Dass im Katalog Künstlerkollegen wie Jeff Wall, Franz West und Tacita Dean schreiben, zeigt den hohen Stellenwert, den Twombly nicht nur für die Generation von Anselm Kiefer oder die italienische "Transavanguardia" einnimmt.

Der in den USA und in Europa lebende Twombly hat in seiner langjährigen Ausbildung am stärksten von der Interdisziplinarität des legendären Black Mountain College in North Carolina profitiert. Mit dem Schönberg-Schüler John Cage teilte er das Interesse am Zen-Buddhismus und dessen zentrale These der materiellen wie geistigen Entleerung, um Fülle zu erlangen.

Blindzeichnen beim Militär

Das Paradox eines "blinden Sehers" übte er in seiner Zeit beim Militär, als er nachts Blindzeichnungen erstellt, um seine Hand zu Impulsen und Empfindung zu lenken. Die Antike hat nur mythische Menschen mit solchen Gegensätzen bedacht – einmal abgesehen von Homer. Dieser Dichter – ebenso wie Rainer Maria Rilke – hat Twombly wiederum angereizt, Mythen in bildnerische Handlungen einzuschleusen.

Der Philosoph Roland Barthes hat Twomblys Strichführung "linkisch" genannt – wie von einem Kind oder einem Wandkritzler. Dem mag man zustimmen, sollte aber auch die Eleganz der unbestimmten Notate Twomblys einbeziehen. Malerei, Zeichnung und Fotografie gehen nicht nur in seinen Collagen eine Verbindung ein. Dem Verweigern von Bildungsidealen oder der Vorschriften wichtiger Kunstrichtungen wie Minimalismus, Konzeptkunst oder zuletzt neuer expressiver Malerei steht seine Reaktion auf all diese Strömungen gegenüber. Mit seinem ikonischen Markieren, Schreiben und Zitieren sowie dem gleichzeitigen Verschleiern der Dinge – nicht nur mittels seiner vielseitigen Verwendung von Weiß – hat er die Postmoderne eingeläutet.

Die Fotos belegen seine Zeit mit Robert Rauschenberg in einem Atelier in New York und seine Auseinandersetzung mit der Natur in Italien, und sie halten immer wieder wichtige Beiläufigkeiten von Arbeitsräumen, Bildern und Plastiken fest. Meist unscharf und mit Polaroid gemacht, werden sie nachträglich durch einen "Color-Dry-Print" maschinell fixiert.

Zerrinnende Formen und Konturen

Twombly begibt sich bewusst zwischen Malerei und Fotografie, lässt auch mit Überbelichtung die Formen und Konturen zerrinnen. Doch was bei anderen schlampige Bastlerei wäre, gerät bei Twombly zum poetischen Glanzstück. Der Eklat, den seine "Commodus"-Bildserie 1964 in Leo Castellis Galerie in New York auslöste, rührte vom künstlerischen Reichtum seiner Reaktion auf damalige Dogmen. Auch zwischen den Kontinenten und Kulturen ist Twombly fließend unterwegs – als malender "Orpheus" in "Arcadia". Mythos jedoch heißt nicht wissen, auch nicht nur fühlen, sondern entsteht wie eine Laune, ein Zufall von selbst. So gesehen ist Twombly selbst so prähistorisch wie Homer.

Aufzählung Ausstellung
Cy Twombly.
Sensations of the Moment
Achim Hochdörfer (Kurator)
Mumok
http://www.mumok.at
bis 11. Oktober

Printausgabe vom Freitag, 05. Juni 2009

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