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Kunstberichte

Galerien live

Der Mund ist aufgegangen

Aufzählung (cai)Am Anfang war .. . äh: das Wort? Nein, natürlich der Mund. Denn das Wort muss ja irgendwo herausgekommen sein. Und außerdem sagt das der Freud , dass der Mund zuerst da war. (Sogar noch vorm Hintern.) "Orale Phase" nennt man das auf G’scheit.

In der Galerie nächst St. Stephan geht’s derzeit jedenfalls auch ziemlich oral zu. Lebensgroße Puppen, die als Mund bloß eine primitive Öffnung haben, bestehen zwar normalerweise aus Gummi (und wenn man sie aufgeblasen hat, kann man sie zur Not auch als Luftmatratze verwenden), aber hier sind sie erstens aus Wolle und zweitens heißen sie nicht Pamela oder Shanita. Der Bub und das Mädel mit den aufgerissenen Mäulern etwa könnten genauso gut Hänsel und Gretel heißen, wie die hungrigen Geschwister, die von ihren Eltern im Wald "ausgewildert" worden sind, bevor die oralsadistische Knusperhexe dann versucht hat, sich die Kinder einzuverleiben. Aneta Grzeszykowska ist freilich subtiler als die Gebrüder Grimm. Ihre Hänseln und Greteln tragen höchstens selbstgestrickte Pullover, die bestenfalls kratzen.

Und ein fremdes Homevideo hat sie so diskret retuschiert, dass es einem fast nicht auffällt: Eine Geburtstagsfeier ist Kindesmisshandlung. Der Papa schleckt die tortenbekleckerten Finger vom Geburtstagskind ab, danach ist das Handerl weg . (Aha, noch so ein Oralsadist. Der hat das Buberl zum Fressen gern.) Der komische Klumpen auf einem Sockel ist übrigens kein misshandeltes Plüschviech. Es ist ein Hundeherz aus lauter Kletten. Vielleicht weil Hunde (die allerdings anale Charaktere sind, nämlich fleißig Hundstrümmerln produzieren) so anhänglich sind. Wie ein Leitmotiv ziehen sich die Kletten sinnlich durch die recht abgründige Schau (und werden erwachsen, wenn sie sich auf grotesk erotischen Fotos in Achsel- und Schamhaaren verfangen). Reife Leistung. Vor allem von der Nähnadel und den Stricknadeln.

Galerie nächst St. Stephan
(Grünangergasse 1)
Birthday
Bis 6. März
Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr
Sa.: 11 – 16 Uhr

Beton in der Schüssel

Aufzählung (cai) Ein typischer Japaner mag in der Lage sein, ein Quadrat in einen Schwan zu verwandeln (ein Wunder, das Origami heißt). Doch Michael Hakimi, ein Deutscher mit iranischen Wurzeln, macht aus einem simplen Satzzeichen ein politisches Statement. Also. Am Ende dieses Satzes befindet sich ein Punkt. Den nehmen Sie an sich und falten ihn wie einen Fächer, sodass er Ähnlichkeit mit einem heruntergelassenen Rollladen hat. Aber weil der Punkt so mickrig ist wie ein Fliegenschiss, müssen Sie ihn vorher natürlich auf knapp einen Meter vergrößern. Jetzt wissen Sie, wie das Opus "General Strike" aussieht. Und was bedeutet es, wenn man Beton in eine Satellitenschüssel gießt? Zensur? Diese strengen Arbeiten wecken diverse Assoziationen. Und bei den lapidar auf Holz gepickten, in Teheran aufgeklaubten Gummiabsätzen kann man nicht anders, als an Straßenkämpfe zu denken. Hm. Abstrakte Werke erzählen heimlich von den Protesten im Iran. Das ist kein Origami, das ist Hakimi.

Galerie Mezzanin
(Getreidemarkt 14)
Michael Hakimi
Bis 13. März
Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr
Sa.: 11 – 15 Uhr

Kunst ohne Kalorien

Aufzählung (cai) Richtig, es ist ja Fastenzeit. Und von diesen weißen Bildern bekommen die Augen bestimmt keine Verstopfung. Zuerst starrt man sie ungläubig an wie einen Schinken-Käse-Toast ohne Schinken und ohne Käse. Doch sobald man sich ans Weiß gewöhnt hat, sieht man den zarten Blau-, Gelb- oder Rotstich und die blassen Streifen und Rahmen. Und fragt sich, wie der Bruno Erdmann bloß so einen Aufwand treiben und bis zu 30 Schichten auftragen hat können, nur um am End’ eine fast leere Leinwand rauszukriegen. Na ja, man muss die Kunst halt ab und zu gründlich entschlacken, sonst wird man irgendwann blind.

Galerie Lindner
(Schmalzhofgasse 13)
Bruno Erdmann
Bis 26. März
Di. – Fr.: 14 – 18 Uhr

Printausgabe vom Mittwoch, 03. März 2010
Online seit: Dienstag, 02. März 2010 17:54:00

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