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Retrospektive: Frida Kahlo, neu entdeckt

29.04.2010 | 19:20 | Von unserer Korrespondentin EVA MALE (Die Presse)

Mehr als 150 Werke, teils bisher unbekannt, im Berliner Gropius-Bau, ab Herbst im Kunstforum in Wien. Dazu 100 Jahre Revolution und 200 Jahre Unabhängigkeit Mexikos.

Frida Kahlo hat sich nicht nur von dem E in ihrem Vornamen getrennt – sie machte sich auch drei Jahre jünger. Nach dieser eigenwilligen Zeitrechnung kommt die große Retrospektive, die am Freitag im Berliner Martin-Gropius-Bau eröffnet und ab 1.September im Wiener Bank Austria Kunstforum zu sehen ist, gerade recht zum 100.Geburtstag der mexikanischen Künstlerin. Dazu 100 Jahre Revolution und 200 Jahre Unabhängigkeit Mexikos.

„Man glaubt, Frida Kahlo in- und auswendig zu kennen, aber bei uns gibt es tolle und neue Sachen zu sehen“, erklärt die Kuratorin der Berliner Ausstellung, Helga Prignitz-Poda. So wurden zahlreiche der 90 präsentierten Zeichnungen vorher noch nie gezeigt, ebenso das sich in Privatbesitz befindende bemalte Gipskorsett Kahlos und eine Vielzahl von kaum bekannten kleinformatigen Votivbildern.

 

Großnichte kuratierte Fotoschau

Besondere Höhepunkte sind Kahlos letzte Arbeiten aus dem Jahr 1954: das in Öl gemalte Selbstporträt als Sonnenblume, das bisher als zerstört galt, sowie das gezeichnete Selbstporträt. Beide sind zum ersten Mal in Europa zu sehen. Mit über 150 Werken ist es die bisher größte Frida-Kahlo-Ausstellung in Deutschland. Dazu kommt eine umfangreiche Fotoschau aus dem Besitz von Familie und Freunden, kuratiert von der Großnichte Cristina Kahlo. Sie war zur Eröffnung am Donnerstag angereist, die Ähnlichkeit mit Frida unübersehbar, wenn sie unter deren Selbstporträts stand. Frida Kahlos Vater, Wilhelm (später Guillermo), kam übrigens aus Pforzheim.

Drei Jahre lang hat sich die Kuratorin auf die Suche in „Schatzkammern und Fälscherwerkstätten“ begeben, fühlte sich oft wie beim Hütchenspiel: „Wenn man endlich mal ein Bild erwischt hat, ist es schon wieder unter dem nächsten Hütchen verschwunden.“ Die schlichte Ausleihe der Werke sei ein Kunststück gewesen. Ein Kunststück war es auch, die Ausstellung trotz massiver Verzögerungen durch die Vulkanwolke noch zeitgerecht fertig zu kriegen.

Die Feministin, die Einsame, Politische, die Leserin, Literatin, Philosophin – Frida Kahlo wird in all ihren Facetten gezeigt. Auch belegen Fotos die Selbstinszenierung, die entscheidend zur Mythenbildung beigetragen hat. „Ein Kernthema ist die ikonische Strahlkraft ihrer Selbstporträts“, so Florian Steininger vom Kunstforum – er kuratiert gemeinsam mit Ingried Brugger die Wiener Ausstellung –, „dieses Selbstbewusstsein in einem Kulturkreis, der vom Machismo geprägt war, so ein Statement findet man zu dieser Zeit eigentlich sonst nicht.“ Durch die Retrospektive würde sich das Bild Kahlos „auf jeden Fall erweitern, besonders was die Zeichnungen betrifft. Sie sind in der surrealistischen Phase der 30er-Jahre ganz wichtig, man hat sie in dieser Fülle noch nicht gesehen.“

Angesichts der mangelnden Präsenz von Kahlos Œuvre in europäischen Sammlungen und der spärlichen Ausstellungsprojekte in Europa wird die Schau als Sensation betrachtet – in Berlin und Wien gleichermaßen.


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