Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte
Der unvollkommene Charme der Sofortbild-Fotografie bekommt in der Smartphone-Ära wieder Aufwind

Magie, die in der Hand passiert

Andy Warhol schneuzt sich in die Kamera. Die Schau bei Westlicht zeigt Bilder wie dieses aus der
Collection, wie auch Arbeiten aus den neuen Filmen. Foto: The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts/VBK, Wien 2011

Andy Warhol schneuzt sich in die Kamera. Die Schau bei Westlicht zeigt Bilder wie dieses aus der
Collection, wie auch Arbeiten aus den neuen Filmen. Foto: The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts/VBK, Wien 2011

Von Christina Böck

Aufzählung Rückbesinnung auf das Analoge in Zeiten des ständig verfügbaren Dokumentierens.
Aufzählung Ein Wiener ist der Retter des Instant-Films.
Aufzählung Die Galerie Westlicht hat die Polaroid-Collection erworben und zeigt sie in einer Ausstellung.

Eine "mirakulöse Apparatur" wurde die Polaroidkamera in den Siebziger Jahren genannt. Und zwar von einem Magazin, das gemeinhin nicht für seine unkritische Beeindruckbarkeit bekannt ist, nämlich vom "Spiegel".

Ganz mit rechten Dingen kann das doch nicht zugehen: Eine Kamera, die fertige Fotos ausspuckt? Ein Zaubergerät, fürwahr. 1974, als der "Spiegel" seinen Bericht über das Wunderding brachte, gab es Sofortbildkameras von Polaroid freilich schon seit fast drei Jahrzehnten. Die erste hat ihr Erfinder Edwin Herbert Land nämlich schon 1947 auf den Markt gebracht. Aber erst mit der Einführung des legendären (und handlicheren) Modells "SX-70" eben 1974 wurde der Prozess der popkulturellen Seligsprechung in Gang gesetzt. Der bekanntlich immer in einem einzigen Attribut kulminiert: "Kult".

Dazu hat Land nicht unwesentlich beigetragen, mit einem für damalige Verhältnisse pfiffigen PR-Coup. Er hat seine Kameras an Künstler verschickt, damit sie den Nimbus der schnöden Alltagsknipsen verlieren. Und er traf damit ins Schwarze: Andy Warhol wurde zum Beispiel ganz schnell zum nahezu besessenen Sofortbildner. Und der einflussreiche US-amerikanische Fotograf Walker Evans ließ sich seine letzte Lebenszeit mit dem Spielzeug versüßen: Er schoss beachtliche 2500 Polaroids bis zu seinem Tod im Jahr darauf.

Andy Warhol liebte gerade das Amateurhafte

War die Kamera einmal als Objekt der Begierde für Künstler etabliert, war der nächste Schritt naheliegend: Künstler konnten sich in den Siebziger und Achtziger Jahren bewerben mit der großen Sofortbild-Kamera, die 50 mal 60 Zentimeter große Bilder machte. Diese Kamera gab es nie zu kaufen, die wurde nur Auserwählten von Polaroid zur Verfügung gestellt. Als nun vor ein paar Jahren die Firma Polaroid in Konkurs ging, landete auch die Fotosammlung in der Konkursmasse und drohte, bei Auktionen zerstückelt zu werden. Die Wiener Galerie Westlicht hat heuer im Frühjahr den kompletten europäischen Teil dieser Sammlung ersteigert. Das sind immerhin erkleckliche 4500 Bilder von rund 800 Fotografen. Darunter so bekannte Namen wie Landschaftsmeister Ansel Adams, der eine der treibenden Kräfte hinter der Entstehung der Sammlung und überhaupt das Mastermind der Polaroid-Philosophie war, wie Westlicht-Direktor Peter Coeln erzählt.

Oder eben Andy Warhol, der sich nachgerade über Polaroid definierte. Er liebte es, dass die Fotos so billig und trashig aussahen. Gerade das Amateurhafte, das der Polaroid-Erfinder Land durch den Künstlerkontakt hatte abschütteln wollen, war für Warhol das Reizvolle. Bei ihm konnten Polaroid-Sitzungen auch mal ausarten: Als er etwa Liza Minelli porträtieren wollte, schneite John Lennon zufällig herein. Dann posierten sie eben gemeinsam. Wie das halt so ist unter Elite-Popstars.

Warhol teilte übrigens mit vielen Amateuren eine besondere Polaroid-Freude: Erotische Aufnahmen konnte man nämlich damit ganz ohne Genierer machen, ohne einen Film in ein Labor zu bringen, von wo man ihn dann peinlich berührt wieder abholen musste. Ein Chefredakteur von Warhols Magazin "Interview" soll sich reichlich enerviert gezeigt haben, weil er in den Siebzigern jeden Tag seinen Schreibtisch erst einmal von allerlei pornografischen Schnappschüssen Warhols befreien musste. Die Tradition des erotischen Sofortbilds führte Helmut Newton mit seinen starken, nackten Frauen weiter. Sie sind ebenso in der Ausstellung bei Westlicht zu sehen wie die expliziten Akte von Nobuyoshi Araki, bei dem von Genierer nun wirklich keine Rede mehr sein kann.

Ein perfektes Ergebnis soll es tunlichst nicht geben

Wo Eros ist, ist Thanatos nicht weit: Auch das bildete die Polaroid ab – im doppelten Wortsinn. War sie doch lange der Gedächtnishelfer der Polizei an Tatorten, denn nur sie brachte Dokumente zustande, die schnell zur Hand waren – und unverfälschbar, weil es kein Negativ gibt. Einem Kriminalfall entstammt auch eines der berühmtesten Polaroids: Jenes von Hanns Martin Schleyer, das die RAF als Lebenszeichen von ihm schickte.

Die Polaroidkamera ist wahrscheinlich das einzige Produkt der Konsumgesellschaft, bei dem es nichts macht, wenn kein perfektes Ergebnis herauskommt. Ein perfektes Ergebnis würde sogar alle Erwartungen enttäuschen. Wer hat sie nicht, die alten Urlaubserinnerungen mit dem See, der mehr grün als blau ist, und dem Badeanzug, der mehr bleich ist als orange (ja, die Siebziger). Die Belichtung ist ein Krampf, der Bildausschnitt ein Glück. So muss es sein: Es ist das charmant Unvollkommene, das Polaroidfotos so besonders macht.

Das wollten ausgerechnet die Verantwortlichen bei Polaroid nicht einsehen: Zu Beginn des Jahrtausends wollten sie auf das Digitalfotogeschäft aufspringen. Es kam zur aufsehenerregendsten Insolvenz, die die populäre Lebenskultur je zu bieten hatte. Als bekannt wurde, dass keine Filme mehr hergestellt werden würden, kramten viele ihre Kameras wieder hervor, um sie traurig zu betrachten. Künstler zeigten sich bestürzt, Erwin Wurm, dessen "One Minute Sculptures" mittels Polaroid dokumentiert werden, grübelte öffentlich, wie er das jetzt machen werde in Zukunft. So richtig laut war der Protest jedoch nicht. Sofortbildfreunde schienen sich in ihr Schicksal gefügt zu haben. Sie sind gewöhnt zu nehmen, was sie kriegen.

Aber es sind oft die ruhigen Aktionen, die mehr Erfolg haben. Obwohl die Geschichte von Florian Kaps eigentlich ganz spektakulär klingt. Der Wiener hat nämlich, so will es die Legende, die aber wahr ist, die Maschinen der letzten Polaroid-Filmfabrik sozusagen vor dem Vorschlaghammer gerettet. Er war bei der Abschiedsveranstaltung ("Es war ein Begräbnis", so Kaps) der Firma im holländischen Enschede. Dort hat er den Produktionsleiter Andre Bosman kennengelernt und kurzerhand mit ihm beschlossen, die Hallen mitsamt der gefährdeten Maschinen zu mieten. In der allerletzten Sekunde, der Geburtssekunde des "Impossible Project". Das war 2008. Seither entwickeln Kaps und sein Team neue Filme. Sie mussten bei null anfangen, da die Fabriken, die die Einzelkomponenten des "echten" Polaroid-Films hergestellt hatten, nicht so viel Glück wie das Werk in Enschede gehabt hatten.

Seit einem Jahr gibt es nun wieder einen Schwarz-Weiß-Film, neuerdings auch einen Farbfilm, beide passen in alte Polaroid-Kameras. Eine Million Filme will das "Impossible Project" heuer produzieren. Abnehmer sollten genug da sein, sagt Kaps: Immerhin hat Polaroid im Jahr 2008 noch 24 Millionen Filme verkaufen können. Wenn das Bild nach dem charakteristischen Surren ausgespuckt wird, sollte man aber tunlichst vom rituellen Wacheln absehen. Und das Foto einfach schnell umdrehen, denn der Film ist noch lichtempfindlich und es kann fünf Minuten dauern, bis etwas zu sehen ist.

Mit Polaroid ist es so ähnlich wie mit der Schallplatte

Der experimentelle Charakter ist laut Florian Kaps das, was Menschen mit Polaroid-Faible wollen. Die Ära der Schnappschüsse ist vorbei – die könne man mit jedem Smartphone ohnehin besser machen. Nicht zuletzt mit Applikationen, die wiederum die Polaroid-Optik nachahmen. Und gerade diese ständige Verfügbarkeit des dauernden Dokumentierens jeglicher Banalitäten gibt der Polaroidkamera heute die Sonderstellung.

"Ich habe mich auch gefragt, ob das nur ein Hype ist", sagt Kaps ehrlich, "aber es ist wirklich eine ganz starke Rückbesinnung. Das ist wie bei der Schallplatte und beim handgerösteten Kaffee. Die Menschen wollen wieder spüren, riechen, sehen. Polaroid ist heute immer noch eine magische Sache, die in der Hand passiert."

Polaroid Impossible – The Westlicht Collection, ab 17. 6. in der Galerie Westlicht. http://www.westlicht.at

 

Printausgabe vom Dienstag, 14. Juni 2011
Update: Dienstag, 14. Juni 2011 12:27:00

Kommentar senden:
Name:

Mail:

Überschrift:

Text (max. 1500 Zeichen):

Postadresse:*
H-DMZN07 Bitte geben sie den Sicherheitscode aus dem grünen Feld hier ein. Der Code besteht aus 6 Zeichen.




* Kommentare werden nicht automatisch veröffentlicht. Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird online nicht veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Feedback-Regeln.

Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at