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13.09.2003 - Ausstellung
Die Welt halb auf den Kopf gestellt
"The Monumental Watercolours" zeigt die Albertina in ihrer Pfeilerhalle - einen beeindruckenden neuen Zyklus des Deutschen Georg Baselitz - neben der großen Dürer-Ausstellung.
VON JOHANNA HOFLEITNER


D
as Zarte, Filigrane, Fein-Ziselierte ist die Sache des Georg Baselitz nicht - mehr schon eine absichts volle Brutalität und Kraft, zu der seine Arbeit seit den Anfängen in den späten Sechzigern tendiert.

Damit steht der gebürtige Sachse ganz in der Tradition der deutschen expressiven Malerei - einer Tradition, die er zu überwinden suchte, indem er 1969 beschloss, seine Sujets auf den Kopf zu stellen, auf dass vom Bild zuvörderst die Malerei und nicht ihre Inhaltlichkeit wahrgenommen werde.

Um so überraschender wirkt der neue Zyklus "The Monumental Watercolours", den die Albertina nun, parallel zur großen Albrecht-Dürer-Ausstellung, in ihrer Säulenhalle zeigt: zwei Dutzend Aquarelle sind hier versammelt. Papierarbeiten, die verglichen mit dem Typischen des Malerfürsten - wie es etwa die Sammlung Essl vor drei Jahren umfassend zeigte - geradezu luftig und leicht daherkommen.

Jedes der Hochformate ist zwei Meter hoch und über eineinhalb Meter breit. Das schafft räumliche Präsenz.

Wiewohl der Maler sich sichtlich die kräftigsten Farben der Palette ausgesucht hat - Ultramarinblau, Ocker, Zinnoberrot -, hat er auch viel Weiß zugelassen, an den Rändern sowieso, aber auch mitten im Bild, so dass die Auslassungen und Aussparungen zu tragenden Elementen werden. Die Pferde etwa, wiederkehrendes Motiv der Schau: wie negative Schattenrisse treten ihre Köpfe weiß aus dem dunklen Braun des Hintergrunds hervor. Einzig einige präzise Tusche-Federstriche strukturieren die Auslassungen. So wie Baselitz seinerzeit mit der 180-Grad-Drehung das Augenmerk vom Inhalt weg zur Malerei lenkte, verteilt er nun die Prioritäten zwischen dem Gemaltem und dem Nichtgemaltem neu: Bild ist immer das Ganze.

Etwas Erzählerisches ist in dem Zyklus, der 2002 innerhalb weniger Monate vollendet wurde, denn doch verpackt. Vor allem mit den durchgängig in Braun- und Gelbtönen gemalten "Russen"-Bildern betreibt Baselitz, der 1958 in den Westen übersiedelte, so etwas wie Vergangenheitsbewältigung: der - nunmehr nur um 90 Grad in die Vertikale gedrehte - "Schachspieler" etwa hat eine "Prawda" vor sich liegen. Uniformierte Menschengruppen um Kobozev, Sibirski, Tschuikov verweisen auf kommunistische Hierarchiemuster. Als wären die Aquarelle Rorschachtests, scheinen sie an den Köpfen zusammengewachsen.

In den anderen beiden Themengruppen hingegen - den ironisch-romantischen "Pferdebildern" und den Doppelporträts von sich und seiner Frau Elke - treibt Baselitz das bildnerische Experiment voran, dreht, spiegelt und kippt die Motive, bis die Bilder bald an Spielkarten, bald an Kaleidoskope erinnern. Immer spielt dabei die Referenz auf Kunst- und Kulturgeschichte eine Rolle: Karl May klingt deutlich an, mit ihm Arno Schmidt, auch Richard Wagner. Und in den Doppelporträts schlüpft der Pferde malende Baselitz in die Rolle des Tiermalers Franz Marc, wie die Bildtitel verraten.

Ein starker Bildzyklus, für den die helle Pfeilerhalle diesmal - im Unterschied zur zuletzt peinlich vergeigten Präsentation von Robert Longos "Freud-Zyklus"- einen angenehmen Rahmen abgibt.

Bis 30. November.



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