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as Zarte, Filigrane, Fein-Ziselierte ist die Sache des Georg
Baselitz nicht - mehr schon eine absichts volle Brutalität und Kraft, zu
der seine Arbeit seit den Anfängen in den späten Sechzigern tendiert.
Damit steht der gebürtige Sachse ganz in der Tradition
der deutschen expressiven Malerei - einer Tradition, die er zu überwinden
suchte, indem er 1969 beschloss, seine Sujets auf den Kopf zu stellen, auf
dass vom Bild zuvörderst die Malerei und nicht ihre Inhaltlichkeit
wahrgenommen werde.
Um so überraschender wirkt der neue Zyklus "The
Monumental Watercolours", den die Albertina nun, parallel zur großen
Albrecht-Dürer-Ausstellung, in ihrer Säulenhalle zeigt: zwei Dutzend
Aquarelle sind hier versammelt. Papierarbeiten, die verglichen mit dem
Typischen des Malerfürsten - wie es etwa die Sammlung Essl vor drei Jahren
umfassend zeigte - geradezu luftig und leicht daherkommen.
Jedes der Hochformate ist zwei Meter hoch und über
eineinhalb Meter breit. Das schafft räumliche Präsenz.
Wiewohl der Maler sich sichtlich die kräftigsten Farben
der Palette ausgesucht hat - Ultramarinblau, Ocker, Zinnoberrot -, hat er
auch viel Weiß zugelassen, an den Rändern sowieso, aber auch mitten im
Bild, so dass die Auslassungen und Aussparungen zu tragenden Elementen
werden. Die Pferde etwa, wiederkehrendes Motiv der Schau: wie negative
Schattenrisse treten ihre Köpfe weiß aus dem dunklen Braun des
Hintergrunds hervor. Einzig einige präzise Tusche-Federstriche
strukturieren die Auslassungen. So wie Baselitz seinerzeit mit der
180-Grad-Drehung das Augenmerk vom Inhalt weg zur Malerei lenkte, verteilt
er nun die Prioritäten zwischen dem Gemaltem und dem Nichtgemaltem neu:
Bild ist immer das Ganze.
Etwas Erzählerisches ist in dem Zyklus, der 2002
innerhalb weniger Monate vollendet wurde, denn doch verpackt. Vor allem
mit den durchgängig in Braun- und Gelbtönen gemalten "Russen"-Bildern
betreibt Baselitz, der 1958 in den Westen übersiedelte, so etwas wie
Vergangenheitsbewältigung: der - nunmehr nur um 90 Grad in die Vertikale
gedrehte - "Schachspieler" etwa hat eine "Prawda" vor sich liegen.
Uniformierte Menschengruppen um Kobozev, Sibirski, Tschuikov verweisen auf
kommunistische Hierarchiemuster. Als wären die Aquarelle Rorschachtests,
scheinen sie an den Köpfen zusammengewachsen.
In den anderen beiden Themengruppen hingegen - den
ironisch-romantischen "Pferdebildern" und den Doppelporträts von sich und
seiner Frau Elke - treibt Baselitz das bildnerische Experiment voran,
dreht, spiegelt und kippt die Motive, bis die Bilder bald an Spielkarten,
bald an Kaleidoskope erinnern. Immer spielt dabei die Referenz auf Kunst-
und Kulturgeschichte eine Rolle: Karl May klingt deutlich an, mit ihm Arno
Schmidt, auch Richard Wagner. Und in den Doppelporträts schlüpft der
Pferde malende Baselitz in die Rolle des Tiermalers Franz Marc, wie die
Bildtitel verraten.
Ein starker Bildzyklus, für den die helle Pfeilerhalle
diesmal - im Unterschied zur zuletzt peinlich vergeigten Präsentation von
Robert Longos "Freud-Zyklus"- einen angenehmen Rahmen abgibt.
Bis 30. November.
© Die Presse | Wien