Museum für angewandte Kunst: "Künstler im Fokus" Erwin Wurm lässt "Schöner Wohnen"
Aus Schrank wird Tisch wird Stuhl
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Möbelskulpturen: Schnittstelle zwischen Gebrauchsgegenstand und Kunst. Foto: Wolfgang Woessner/MAK
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Von Manisha Jothady
Wo beginnt die Skulptur und wo endet das Möbel? "If you sit on it,
it’s a chair; if you walk around it and look at it, it’s a sculpture",
meinte der US-Künstler Richard Artschwager einmal. "Design muss
funktionieren, Kunst nicht", hieß die vergleichsweise strenge Devise
seines Landsmannes Donald Judd. Erwin Wurm zieht dagegen keine
Trennlinie zwischen freiem und angewandtem Schaffen.
Möbel sind Skulpturen, lautet das bestechend einfache Fazit, das man
aus seiner Ausstellung in der MAK Schausammlung Gegenwartskunst zieht.
Und Möbel, möchte man im Sinne Wurms erweiterten Skulpturbegriffs
ergänzen, sind Handlungsfelder, die zum Interagieren anregen.
Die Ironie liegt bereits schon im Titel der Schau
Die Ironie liegt wie bei fast allen Projekten des Künstlers natürlich
auch hier schon im Titel. "Schöner Wohnen" heißt die Schau, die so gar
nichts mit der im gleichnamigen Hochglanzmagazin propagierten Wohnkultur
gemein hat. Für seine gelungene Verschränkung zwischen "reiner
Funktion" und "reiner Ästhetik" griff der Künstler auf
massenproduziertes Alltagsmobiliar aus den 30er bis 60er Jahren zurück.
An die heimelige Schmuddelatmosphäre in Großmutters Wohnung mögen sich
manche Besucher dadurch erinnert fühlen. Vielleicht auch an das
Altmöbeldepot der Caritas.
Vor allem aber legen die Objekte, die in Zusammenarbeit mit der
Werkstätte des Hauses entstanden, ein weiteres Potenzial im kreativen
Komplex des Künstlers frei. Nämlich, gleichermaßen nützlich und absurd
zu sein: Da wurden Vitrinenschränke umgekippt und durch sorgfältige
Einschnitte zu Sitzlandschaften umgestaltet. Dort entstanden aus
Regalböden Schemel. Ein raumgreifender, drehbarer Tisch entpuppt bei
näherer Betrachtung seine ursprüngliche Funktion als Kleiderschrank.
Zwei Eimer dienen einem Aufbewahrungsmöbel als Sockel. Um 90 Grad
gekippte und auf den Kopf gestellte Kommoden türmen sich auf einem
Kästchen zu einem zusammenhängenden Arrangement – eine statische
Glanzleistung und obendrein voll funktional, wie sämtliche
Möbel-Skulpturen in dieser Schau.
Erwin Wurm ist der zehnte "Künstler im Fokus" im MAK.
Die Welt, wie wir sie durch Erwin Wurms Kunst zu betrachten gewohnt
sind, steht glücklicherweise auch hier Kopf. Die Exponate fallen, trotz
ihres Gebrauchswerts und ihrer Benützerfreundlichkeit, aus dem Rahmen.
Schranktüren klappen nicht seitlich sondern frontal auf, um Schubladen
zu öffnen, muss man sie hoch- nicht rausziehen.
Gebrauchsobjekt oder unantastbares Kunstwerk?
Buchstäblich aufgeblasen – erinnert sei an dieser Stelle an Wurms
"Fat House" und "Fat Car" – wirkt hier nur das Muster einer Wandtapete.
Es verdankt sich eines fast unbemerkten Details – der gepunkteten
Krawatte des Künstlers, die dieser auf einem ausgestellten Foto trägt.
Konkrete Bezüge zu vorangegangenen Arbeiten Wurms lassen sich auch
anhand dreier Fauteuils herstellen: Mit Strick überzogen erinnern sie an
seine früheren Kleiderskulpturen. Eine dieser Sitzgelegenheiten ist
sogar mit einem Ärmel ausgestattet, die davor platzierten Schuhe,
ebenfalls aus gestricktem Stoff sorgen für die Bodenhaftung jener
Besucher, die den Komfort des Objekts erproben wollen und so selbst zum
temporären skulpturalen Versatzstück avancieren.
Spätestens in diesen Arbeiten führt der Künstler die klassische
Bedeutung von Bildhauerei und Möbeldesign, die Trennung zwischen
Gebrauchsobjekt und unantastbaren Kunstwerk manifest ad absurdum. Und
spätestens hier geht man aus dem Wurmschen Frage- und Antwortspiel, was
Skulptur ist und wie sie sich konstituiert, bedeutend weiser heraus:
Möbel = Skulptur = Handlung.
Ausstellung
Erwin Wurm. Schöner Wohnen
Bärbel Vischer (Kuratorin)
Museum für angewandte Kunst
bis 4. September
Printausgabe vom Mittwoch, 23. März 2011
Online seit: Dienstag, 22. März 2011 16:56:00