diepresse.com
zurück | drucken

12.08.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Und jetzt auch noch das Runengespinst
VON ALMUTH SPIEGLER
Ausstellung. Anselm Kiefers alte neue Bilder für Paul Celan in der Salzburger Galerie Thaddaeus Ropac.

S
ollte es heute noch so etwas wie His torienmalerei geben, Anselm Kiefer wäre ihr Meister. Es gibt sie. Er ist es. Wie eine gewaltige Walze aus Erde, Stroh und Blei wummert sein Werk bedächtig über die nebligen Felder der Menschheitsgeschichte und des Menschenwissens, wühlt Material auf, Zahlen und Zitate, nimmt sie mit und rollt weiter, lässt einmal dies, einmal das sichtbar werden. Eine monumentale universelle Gedächtnismischmachine, die dem aussterbenden Bildungsbürgergeschöpf wohlige Schauer über den Rücken huschen lässt.

Die deutschen Heldenepen, die alten Schlachten, die griechische Antike, die Gräuel des Zweiten Weltkriegs, die Frauen der französischen Revolution, die Kabbala, der russische Futurismus, Bücher über Bücher, die Gedichte von Ingeborg Bachmann und Paul Celan - das alles hat Kiefer im kleinen Finger und das alles war im apokalyptischen Werk des 1945 in Donaueschingen geborenen Beuys-Schülers schon von Beginn an angelegt. Der nunmehr 60-jährige Kiefer, schon als Junger zum wichtigsten Maler seiner Generation ausgerufen, wurde konsequent zu dem in sein provencalisches Gesamtkunstwerk "La Ribaute" entschwobenen Mythomanen, zum vertikal durch die Zeiten Denkenden, zum verschrobenen Universalgelehrten stilisiert - und ist nicht zuletzt auch ein genialer Täuscher.

"Ich stifte nicht Sinn, sondern die Illusion eines Sinns", sagte er vor kurzem in einem Interview in den Salzburger Nachrichten. Und viele, die so angestrengt versuchten, im komplexen Labyrinth der Metaphern, Verknüpfungen, Assoziationen und Querverbindungen intellektuell einen Durchblick zu erhaschen, versuchten aufzuatmen. Denn letztlich geht es auch bei Kiefer vor allem um bildende Kunst, um ein sinnliches Erleben ohne verbale Verkündigungen. Und nicht um philosophische und kulturhistorische Diskurse.

So auch bei Kiefers neuen, dem Lyriker Paul Celan gewidmeten Großformaten, die Thaddaeus Ropac zurzeit in seiner Salzburger Galerie zeigt. Zeigt, wohlgemerkt, denn verkauft sind die zwischen 300.000 und 400.000 Euro teuren Bilder, wie bei Kiefer üblich, schon längst. Mit jeweils bis zu 50 langen Schrauben wurden die elf eindrucksvoll mit Ölfarbe, Schellack, Sand, Erde, Holz und Blei beladenen Leinwände an die Wände gerammt. Nie könnten diese Trümmer über einer Wohnzimmercouch landen - eine Vorstellung, die Kiefer verabscheut.

Doch zuvor ist der Vorraum zu bewältigen, den zwei sternförmig entfaltete Bleibücher von 2001 aus der Serie "The Secret Life of Plants" verbarrikadieren. Nicht gerade einladend, aber da muss man durch. Und lernt, während man sich um die dunklen Seiten windet, dass man im 15. Jahrhundert meinte, jeder Pflanze entspräche im Himmel ein Stern. Ein schöner Gedanke, den Kiefer mit den anonymen Nummern verbunden hat, mit denen die NASA die Sterne benennt und die er in ein florales Geflecht einschreibt.

Befand sich Kiefer in seiner Ausstellung bei Ropac vor zwei Jahren noch in kosmischen Weiten, kreiste um die Entstehung der Welt, die Ikonografie des Himmlischen, landete er mit seinen neuen Arbeiten wieder tief in der Erde. Genauer gesagt nahe Bad Ischl, im Frühjahr, vor den Stoppeln eines zugefrorenen Maisfelds. Die Fotos, die er damals aufnahm, bestimmen die Grundstruktur seiner jüngsten Bilder. Der Horizont ist entschwindend hoch hinaufgerückt, die Perspektive zieht den Blick in typischer Kiefer-Manier tief hinein in die angeschneiten Furchen und Schollen, die sich düster hinziehen wie ein Gräberfeld. Erstmals montierte er eines seiner aufgeschlagenen Bleibücher in ein ungewöhnlich schriftleeres Bild, anderswo hängt ein alter Gartenstuhl von der Leinwand und ein schweres, rostrotes Schiff scheint den Kampf mit der Schwerkraft noch nicht ganz aufgegeben.

Und fast überall, in krakeliger Schrift, abgehackte Zitate aus Paul Celans Gedichten. Auch nicht gerade eine neue Liebe: Celans "Todesfuge" etwa beschäftigte Kiefer schon in den frühen 80er Jahren, in der Zeit seiner grandiosen steinernen Hallen, die den noch grandioseren Dachbodenbildern der 70er Jahre folgten. Und auch Menschenhaar weht wieder einmal gespenstisch von Dornenzweigen, in die er vor drei Jahren schon die Bücherregale seines Schreins für Ingeborg Bachmann im Salzburger Furtwänglerpark hüllte. Fast schon ein wenig zu routiniert bedient sich Kiefer aus seinem über 30 Jahre alten formalen und inhaltlichen Repertoire, schichtet um, deutet an, lässt wieder verschwinden. Neu dazugekommen sind bei den aktuellen Celan-Bildern vor allem die in Runen-Form ausgelegten Ästchen. Kiefer will diese Urzeichen von ihrem Nazi-Mief befreien - und wagt sich damit, wie schon früher des Öfteren, in eine gefährliche Nähe zur Deutschtümelei, die er hier jedoch mit dem über allem schwebenden Bezug auf Celans Gedichte zu konterkarieren weiß, von denen schließlich selbst eines "Des Herbstes Runengespinst" heißt.

© diepresse.com | Wien