Essl Museum Klosterneuburg zeigt in "Private
Wurm" Werkinstallation aus dem letzten Jahr
Skulpturen der zweiten Haut
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Am eigenen Körper Skulptur erfahren: Erwin Wurms "Polizeikappe" (2010)
lädt künstlerisch zum Nachdenken ein. Foto: Studio Wurm/M. Nawrata
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Von Brigitte
Borchhardt-Birbaumer
Das schmale
Haus ist ohne Tasche und Mantel begehbar, die Möbelskulpturen kann man
besitzen und unter einem überdimensionalen Polizeikappe lässt sich gut
nachdenken. Erwin Wurm ist in den großen Saal des Essl Museums
eingezogen, mit einem in der Breite auf ein Drittel gestauchten
Einfamilienhaus aus den 70er Jahren, einigen alten Möbeln, die zu Sitzen
umfunktioniert wurden, und dem zu groß geratenen Kappel zum
Unterstellen. Kunst zum Mitmachen, interaktiv Schutz gewährend, das ist
seit den 90er Jahren eine der Stärken des wohl bekanntesten
österreichischen Künstlers mittlerer Generation.
Sie schaffte den Begriff Bildhauer ab, der Umgang mit Material,
Körper und Raum wurde ein anderer. Theoretiker halfen sich zuerst mit
Umschreibungen wie Installation, performative Handlung oder Objekt,
danach sprachen sie von Erweiterung des Skulpturenbegriffs. All das
trifft aber nicht die Vielschichtigkeit und auch nicht den neuen
Künstlertypus, der zugunsten seines Werks nicht mehr als "Enfant
terrible", sondern vermittelnd auftritt. Erwin Wurm, Jahrgang 1954, der
nach dem Mozarteum in Salzburg an der Angewandten in Wien studierte,
brachte dem Publikum ohne Skandale bei, den Formbegriff vollkommen neu
zu definieren. Am eigenen Körper Skulptur erfahren lautet die Devise,
selbst Gesten, Ankleiden und Diäten können wir nun künstlerisch
erfahren.
Holzlatten nach klassischen Vorbildern genagelt
Da schwingt der provokante Satz von Joseph Beuys aus den 70er Jahren
mit, dass jeder Mensch ein Künstler sei, doch auch von diesem
Kunstschamanen hat sich Wurm kritisch distanziert. Er betreibt keine
symbolische Spurensuche, indem er sein Elternhaus als Vorbild für das
"Narrow House" nahm – die bekannte Umgebung war nur der formale
Einstieg, um alles klaustrophobisch zu verengen. Dabei fällt einem
wieder Thomas Bernhard als Kritiker der österreichischen Mentalität ein.
Neben James Joyce und Philip Roth vom Künstler oft als Lieblingsautor
zitiert.
Wurm startete mit billigen Holzlatten, die er nach klassischen
Vorbildern zusammennagelte. Es folgten Abfallmaterialien wie Blech und
selbst Staub diente ihm als radikale Neudefinition und Infragestellung
von Grenzziehungen im Skulpturenbegriff. Als er Pullover und Kleider an
Wand und auf Podesten montierte, ging es schon um die zweite Haut, mit
der sich der Mensch präsentiert. Aber auch um Raffung wie Dehnung des
Zeitbegriffs, im Zusammenhang von Körpern im Raum. Mit Staub und
performativen Einlagen des Bekleidens bis hin zu vielen Variationen der
"One Minute Sculptures" im alltäglichen Leben, leistet er sich einen
bissigen Kommentar zur Entwicklung der Minimal Art hin zum
Immateriellen. Von Ironie getragen wird sein Werk bis heute, schaut man
aber dahinter, kommt "zynische Kritik" zum Zug – nach dem Lachen über
das zu eng geratene "Narrow House" kommt auch im Essl Museum eher
beklemmende Erkenntnis. Wir vergessen gern, das Peinliche, Lächerliche
und das Scheitern in unserem Leben zu integrieren. Der scheinbar private
Wurm kippt wie sein Haus in absolute Verunsicherung. Normierung des
Menschen, gesellschaftliche Zwänge und ihre mediale Ausbreitung machen
solche verzerrten Häuserhüllen. Das stimmt eher nachdenklich. Doch es
ist keine Attacke wie das vom Himmel gefallene Haus 2006 im Mumok.
Schrumpfung ist mehr eine Frage des Verlusts, der durch Umsetzen in
absurden neben normalen Dimensionen dieser Archiskulptur etwas
Modellhaftes belässt.
Verzerrte Häuserhülle als Zeichen des Verlusts
Zuerst hatte Wurm kleine Hausmodelle nach Wittgenstein und Loos
schmelzen lassen, daneben ein Haus verfettet oder sprechend im Video
auftreten lassen. Immer sind die Besucher als lebende Skulpturen mit den
Aufsehern im Museum integriert in dieses im Vorläufigen bleibenden
Konzept. Ganz Heraklit – alles im Fluss? Oder doch mehr Platons Devise,
es gäbe ohne Zufälliges, Unwesentliches kein Bleibendes? Wurm hat schon
das Denken von Adorno und Wittgenstein in verbogenen Figuren zum
Ausdruck gebracht, philosophische Trauerarbeit leistet er nicht für uns.
Abwesenheit als plastisches Problem, das bringt die Emanzipation vom
klassischen Kunstwerk auf den Punkt. Diese Kunstwerke als Vorschläge zum
Sitzen, Durchquetschen, Nachdenken, Schutz suchen, sprechen von
familiärem Gefühl – auf Tuchfühlung mit der Kunst und doch nicht nahe am
Künstler. Denn der ist schon wieder dabei nachzudenken, wie er das
"Narrow House" regenfest macht für den öffentlichen Raum.
Ausführliches extra-Interview
mit Erwin Wurm.
Ausstellung
Private Wurm
Günther Oberhollenzer (Kurator)
Museum
Essl Klosterneuburg
bis 30. Jänner 2011
Printausgabe vom Mittwoch, 20.
Oktober 2010
Online seit: Dienstag, 19. Oktober 2010 17:38:00
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