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Schinwald in Linz: Verschwinden der Zeit und der Gesichter

01.11.2011 | 18:09 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Lentos. Markus Schinwald kehrt von der Biennale Venedig nach Linz zu seinen Anfängen zurück, um zu verschwinden. Zumindest, um darüber nachzudenken.

Sind wir nicht alle Marionetten? Daran erinnert uns Markus Schinwald gleich am Beginn seiner retrospektiven Einzelausstellung im großen Saal des Lentos Kunstmuseums. Nicht wahnsinnig subtil, muss man sagen: Links und rechts hängen herrlich altmodisch wirkende, lebensgroße Puppen von der Decke, ein Mann, eine Frau, die zucken und zappeln an Fäden, die ins milchige Nirgendwo der Oberlichten laufen.

Ein verworrenes Labyrinth an Zwängen bestimmt unser Leben, durch dessen unwirtliche Umstände wir nur dysfunktional zu tapsen vermögen. Die Botschaft zieht sich durch das gesamte Werk des immer noch jungen Salzburgers (Jahrgang 1973), der nicht erst seit seiner heurigen Biennale-Venedig-Teilnahme zu den erfolgreichsten österreichischen Künstlern zählt.

Die Linzer Schau markiert jetzt dort, wo Schinwalds künstlerische Karriere an der Hochschule für Gestaltung begann, ein vorläufiges Resümee. Bekannte und neue Arbeiten verdichten sich zum Klima des Unbehagens, das nicht zufällig in der Atmosphäre einer Luxusboutique prächtig gedeiht. Das Unheimliche verbirgt sich hinter der perfekten Oberfläche. Auf und an den glänzenden Wänden, Sockeln, Kabinen, die Schinwald eingebaut hat. In den Nähten des blütenweißen Hemds, das den Träger zwingt, die Hände in die Höhe zu halten – das „Jubelhemd“ aus der strammen Reihe eleganter britischer Schneiderpuppen: Maßanfertigungen eines Boshaften. Als Schüler hat sich Schinwald schon zu einer Modeausbildung entschlossen. Die „Bekleidungstechnik“ hat es ihm angetan, das harmlos wirkende Sakko ist hinterrücks ein Korsett, das die Arme an die Seiten zwingt. Ein anderes hat den Buckel bereits eingebaut, ein Kostüm ist hinten mit einem Zipp von oben bis unten zu öffnen wie ein Puppengewand.

 

Schuhe als glamouröse Krüppel

Im Film „Ten in love“ (2006) wird das System am lebenden Objekt vorgeführt: Im stets unglaublichen Ambiente von Gunter Domenigs Allzwecksaal der Schulschwestern in Graz/Eggenburg probieren seltsame Filmgestalten u.a. Gesten der Annäherung aus. Ein Mann öffnet einer Frau besagtes Puppenkostüm, sie ritzt mit dem Fingernagel eine Tischplatte entzwei, Hausfrauen-Karate sozusagen. Eine andere trägt Schuhe, deren Absätze im Boden zu verschwinden scheinen, Schuhe, die uns am Ende des streng vorgegebenen Ausstellungsparcours wiederbegegnen: Zu glamourösen Krüppeln verstümmelte rosa High Heels oder zum romantischen Liebespaar gebogene schwarze Pumps. Viele dieser Werke, die aufwendigen Filme, Inszenierungen, überarbeiteten Biedermeier-Gemälde kennt man bereits. Das störte viele schon im Österreichischen Pavillon in Venedig, doch gerade die Kontinuität, das bewusst langsame Bestücken einer Gegenwelt, ist Teil von Schinwalds Erfolg. Umso interessanter ist es, die feinen Unterschiede zu beobachten.

In Linz etwa bildet das Verhüllen, Verschwinden den roten Faden: Eine neue Serie grafischer Arbeiten zeigt computermanipulierte Biedermeier-Lithografien, Porträts von Männern und Frauen, die der Stoff ihrer formellen Kleidung zu überwältigen scheint: Die Drapierungen wuchern opulent über ihren Kopf. Großartig. Ein Stück eines roten Theatervorhangs ist mit einer Puppenwerkstatt ohne Puppenmacherin bedruckt. Ein Gemälde zeigt nur den unteren Rumpf eines Herrn im Anzug, der Oberkörper geht im Marmor der umgebenden Architektur auf. Ein direkt von Schinwalds venezianischer, nur bis zu den Knien offenen Korridorinstallation inspiriertes Bild. So surrealistisch war Schinwald noch nie. Woran auch die Bahnhofsuhr am Ende gemahnt, sie zeigt nur elf Stunden an, Zeit, die zerfließt. Womit man wieder bei den äußeren Zwängen wäre. Und den Marionetten. Und der offenen Frage, wer die Fäden denn nun zieht.


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