Artikel aus profil Nr. 24/2003
Broschen zur Selbsttröstung

Am 14. Juni wird die Kunstbiennale in Venedig eröffnet. Österreich wird durch den visionären und eigenbrötlerischen Bildhauer Bruno Gironcoli vertreten.
Die Ehre kam spät, aber wenigstens nicht zu spät. Dem 67 Jahre alten und schwer kranken Bildhauer Bruno Gironcoli wird die prestigeträchtigste Beachtung zuteil, die Österreich einem seiner Künstler auf dem internationalen Kunstparkett verschaffen kann. Der deutsche Kurator Kasper König hatte – durchaus ungewöhnlich – seine Bestellung zum österreichischen Biennale-Kommissär mit der Bedingung verknüpft, Gironcoli zu nominieren.

König ist ein guter Kommentator der österreichischen Gegenwartskunst. Schon 1982 versah er Christian Ludwig Attersees Vorstellung auf der Biennale von Venedig mit dem flapsigen Etikett „Avantgarde mit Schlagsahne“.

Ob man damit auch Bruno Gironcolis Werk charakterisieren könnte? Weil er immer wieder das Dekorative seiner Skulpturen betont, sie mit Edelweiß und Herzen und Kornähren schmückt? Weil er von ihnen als „Broschen“ spricht oder ihnen Titel wie „Hutnadel“ gibt? Oder weil er seine ganze Arbeit, in einem Gespräch mit dem Kunstvermittler Armin Zweite, eine „Utopie der Selbsttröstung“ nennt?

Tatsache ist, dass Bruno Gironcoli, 1936 in Villach geboren, aufgewachsen im Kärnten und Tirol der Kriegs- und Nachkriegszeit, in seiner Jugend tief in dieser zähen Mischung aus Unbehaustheit und Sehnsucht steckte, die viele seiner Generation prägte. Was in der Biografie manchmal beschönigend als Goldschmiedelehre verzeichnet wird, war nichts anderes als eine lähmende Tätigkeit in einem Metall verarbeitenden Kleinbetrieb, in dem der Lehrling Kupfer und Messing abschmirgeln musste.

Darüber half nur der Traum vom Künstlerdasein hinweg, geträumt in der Bibliothek des Institut Français, einer Kulturinstitution der französischen Besatzungsmacht in Innsbruck, die auch anderen Künstlern, wie Oswald Oberhuber und Walter Pichler erste Begegnungen mit einer nichtösterreichischen und nichtrestaurativen Gegenwartskunst vermittelte.

Giacometti und Kafka

Wie Pichler und Oberhuber zieht es auch Gironcoli – zwischen zwei Studienphasen an der Wiener Angewandten – nach Paris. Beeindruckt von Giacometti und Duchamp, experimentiert Gironcoli aber zunächst mit Materialien, mit denen er sich nach seinem Paris-Aufenthalt in der Klasse für Metallbearbeitung an der Angewandten auseinander setzt. Die Köpfe und Körper aus Drähten, Röhren und Rahmen erweisen sich jedoch künstlerisch als Sackgasse. Zu artifiziell, zu „schön“ erscheinen sie ihm, der sich stattdessen mit Literatur zu beschäftigen beginnt, mit Kafka, Horkheimer, Marx und der Situation des Menschen in einer entfremdeten Produktions- und Konsumwelt. Gänzlich anonyme Formen beschäftigen ihn: die PVC-Flaschen der Putz- und Kosmetikmittel, die Kunststoffvasen und -lampenschirme.

Kurzfristig träumt er davon, Plastikskulpturen in unbegrenzter Auflage zu erzeugen: im Sinne einer „Zertrümmerung der Aura“, wie sie auch in Walter Benjamins Kultessay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ beschrieben wird. Gironcoli erwacht unsanft aus diesem Traum, als er feststellen muss, dass die Herstellung der Form für PVC-Plastiken teurer ist als jeder Bronzeguss. Ihm wird klar, dass er als Künstler Handwerker bleibt.

Weil er jedoch die billigen, anonymen Materialien als adäquat für seine Situation empfindet, arbeitet er mit Karton und später mit Polyester. Es entstehen reduzierte Kopf- und Körperformen, gestrichen in matten Bronzetönen, die tatsächlich an industrielle Produkte erinnern.

Hakenkreuze und Hunde

Parallel zu einer sich in Europa und den USA ausbreitenden Objektkunst – Christo verpackt Stühle, Warhol stapelt Waschpulverschachteln, und Daniel Spoerri klebt die Reste eines Abendessens auf der Tischplatte fest – baut Gironcoli dann ab Ende der sechziger Jahre surreale Installationen von kafkaesker Bedrohlichkeit.

Elektrostecker, Stromgeräte und Kabel signalisieren Gefahr, dornenartige Gebilde durchstoßen Polster, Gerüste aus dem Turnsaal erinnern an Folterinstrumente. Und erstmals erscheinen auf den Skulpturen und den sie begleitenden Zeichnungen Symbole: Hakenkreuze, Totenköpfe, Flugzeuge. Und immer wieder Hunde – als Wächter, Freunde und Bedroher. „Im Vorhof der kalten Hölle“ titelt eine Rezension, von „stumpf metallischen Todeszellen und unheiligen Altären“ ist die Rede.

Im Frühwerk des Einzelgängers Bruno Gironcoli sind immer auch die Themen der österreichischen Kunst seiner Generation erkennbar: die Bandagierungen des Aktionisten Rudolf Schwarzkogler, die Rituale Hermann Nitschs, die Gewalt bei Günter Brus, die homoerotischen Sado-Maso-Eruptionen bei Attersee oder das Kult-Design von Walter Pichler und Hans Hollein.

Eine Radikalzäsur im Leben Gironcolis war die Berufung zum Professor und Nachfolger des verstorbenen Fritz Wotruba an die Akademie der bildenden Künste am Wiener Schillerplatz. Die Berufung erfolgte jedoch nicht aus Wertschätzung für den damals 41-Jährigen, sondern um Alfred Hrdlicka abzuwehren.

Dieser war der Favorit der politischen Studenten und versetzte als erklärter Kommunist die Professoren in panischen Schrecken. Gironcoli nutzte die Chance und wurde ein hochgeachteter Lehrer, der eine Reihe hervorragender Schüler hervorbrachte. Sein bis jetzt erfolgreichster, Franz West, erklärte diesen Lehrstil so: „Einen sensibleren Unterricht kann es kaum geben, man wurde behandelt wie in einem Pflanzengehege, es wurde einem keine Meinung aufgeprägt, man konnte sich tatsächlich entwickeln.“

Ironie und Melancholie

Für Gironcoli selbst bedeutete die Professur ein gesichertes Einkommen und ein riesiges Atelier am Rande des Praters. Hier konnte er, sehr zum Leidwesen seines Ateliernachbarn Joannis Avramidis, ungeheure Mengen des starke Dämpfe ausströmenden Polyesters zu immer größeren Skulpturen verarbeiten. Dabei war ihm klar, dass die Zeit eines wild provozierenden Schaffens für ihn als wohlbestallten Staatsgeldempfänger vorbei war. Pornografie, so erklärte er in einem Interview mit Edelbert Köb, dem heutigen Leiter des Museums moderner Kunst im Museumsquartier, sei einfach inadäquat geworden.

Nicht inadäquat waren jedoch seine Ansprüche, in der Kunst eine Form für Lebensbilder zu finden, die auch unabhängig von der materiellen Situation bestehen. Er fand diese Form, indem er frühere Themen wie Gewalt, Kind-Eltern-Traumata, Sexualität, ästhetisierte, dekorierte und deshalb fast unerträglich, aber doch wieder faszinierend intensiv machte.

Ständige Wiederholungen – sowohl von Einzelsymbolen wie Herzen oder Embryos als auch der wuchernden Strukturen von parallel entstehenden Riesenskulpturen – verbinden Ironie mit einer latenten, tiefen Melancholie. Es ist ein obsessives Werk, eine unendliche Geschichte. Die Großskulpturen, realisiert mit der Hilfe von polnischen Arbeitern, an denen der Künstler die bei uns verloren gegangene Identifizierung mit Handarbeit schätzt, sind unverkäuflich, er hat sie gegen alle Vernunft des Kunstmarkts und gegen sein ganzes Privatleben ertrotzt und rauft jetzt um Standplätze für sie.

Seit Jahren trotzt Bruno Gironcoli auch seiner schweren Krankheit, einem heimtückischen Gehirntumor. Er wurde operiert, ist fast blind. Er kämpft gegen die Zeit. In den Giardini von Venedig wird sie seinem Werk für fünf Monate geliehen.

Autor: Horst Christoph


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