Am 14. Juni wird die
Kunstbiennale in Venedig eröffnet. Österreich wird durch den
visionären und eigenbrötlerischen Bildhauer Bruno Gironcoli
vertreten.
Die Ehre kam spät, aber wenigstens nicht
zu spät. Dem 67 Jahre alten und schwer kranken Bildhauer Bruno
Gironcoli wird die prestigeträchtigste Beachtung zuteil, die
Österreich einem seiner Künstler auf dem internationalen
Kunstparkett verschaffen kann. Der deutsche Kurator Kasper König
hatte – durchaus ungewöhnlich – seine Bestellung zum
österreichischen Biennale-Kommissär mit der Bedingung verknüpft,
Gironcoli zu nominieren.
König ist ein guter Kommentator der
österreichischen Gegenwartskunst. Schon 1982 versah er Christian
Ludwig Attersees Vorstellung auf der Biennale von Venedig mit dem
flapsigen Etikett „Avantgarde mit Schlagsahne“.
Ob man damit
auch Bruno Gironcolis Werk charakterisieren könnte? Weil er immer
wieder das Dekorative seiner Skulpturen betont, sie mit Edelweiß und
Herzen und Kornähren schmückt? Weil er von ihnen als „Broschen“
spricht oder ihnen Titel wie „Hutnadel“ gibt? Oder weil er seine
ganze Arbeit, in einem Gespräch mit dem Kunstvermittler Armin
Zweite, eine „Utopie der Selbsttröstung“ nennt?
Tatsache
ist, dass Bruno Gironcoli, 1936 in Villach geboren, aufgewachsen im
Kärnten und Tirol der Kriegs- und Nachkriegszeit, in seiner Jugend
tief in dieser zähen Mischung aus Unbehaustheit und Sehnsucht
steckte, die viele seiner Generation prägte. Was in der Biografie
manchmal beschönigend als Goldschmiedelehre verzeichnet wird, war
nichts anderes als eine lähmende Tätigkeit in einem Metall
verarbeitenden Kleinbetrieb, in dem der Lehrling Kupfer und Messing
abschmirgeln musste.
Darüber half nur der Traum vom
Künstlerdasein hinweg, geträumt in der Bibliothek des Institut
Français, einer Kulturinstitution der französischen Besatzungsmacht
in Innsbruck, die auch anderen Künstlern, wie Oswald Oberhuber und
Walter Pichler erste Begegnungen mit einer nichtösterreichischen und
nichtrestaurativen Gegenwartskunst vermittelte.
Giacometti und Kafka
Wie Pichler und
Oberhuber zieht es auch Gironcoli – zwischen zwei Studienphasen an
der Wiener Angewandten – nach Paris. Beeindruckt von Giacometti und
Duchamp, experimentiert Gironcoli aber zunächst mit Materialien, mit
denen er sich nach seinem Paris-Aufenthalt in der Klasse für
Metallbearbeitung an der Angewandten auseinander setzt. Die Köpfe
und Körper aus Drähten, Röhren und Rahmen erweisen sich jedoch
künstlerisch als Sackgasse. Zu artifiziell, zu „schön“ erscheinen
sie ihm, der sich stattdessen mit Literatur zu beschäftigen beginnt,
mit Kafka, Horkheimer, Marx und der Situation des Menschen in einer
entfremdeten Produktions- und Konsumwelt. Gänzlich anonyme Formen
beschäftigen ihn: die PVC-Flaschen der Putz- und Kosmetikmittel, die
Kunststoffvasen und -lampenschirme.
Kurzfristig träumt er
davon, Plastikskulpturen in unbegrenzter Auflage zu erzeugen: im
Sinne einer „Zertrümmerung der Aura“, wie sie auch in Walter
Benjamins Kultessay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit“ beschrieben wird. Gironcoli erwacht unsanft aus
diesem Traum, als er feststellen muss, dass die Herstellung der Form
für PVC-Plastiken teurer ist als jeder Bronzeguss. Ihm wird klar,
dass er als Künstler Handwerker bleibt.
Weil er jedoch die
billigen, anonymen Materialien als adäquat für seine Situation
empfindet, arbeitet er mit Karton und später mit Polyester. Es
entstehen reduzierte Kopf- und Körperformen, gestrichen in matten
Bronzetönen, die tatsächlich an industrielle Produkte erinnern.
Hakenkreuze und Hunde
Parallel zu einer sich in Europa und den USA
ausbreitenden Objektkunst – Christo verpackt Stühle, Warhol stapelt
Waschpulverschachteln, und Daniel Spoerri klebt die Reste eines
Abendessens auf der Tischplatte fest – baut Gironcoli dann ab Ende
der sechziger Jahre surreale Installationen von kafkaesker
Bedrohlichkeit.
Elektrostecker, Stromgeräte und Kabel
signalisieren Gefahr, dornenartige Gebilde durchstoßen Polster,
Gerüste aus dem Turnsaal erinnern an Folterinstrumente. Und erstmals
erscheinen auf den Skulpturen und den sie begleitenden Zeichnungen
Symbole: Hakenkreuze, Totenköpfe, Flugzeuge. Und immer wieder Hunde
– als Wächter, Freunde und Bedroher. „Im Vorhof der kalten Hölle“
titelt eine Rezension, von „stumpf metallischen Todeszellen und
unheiligen Altären“ ist die Rede.
Im Frühwerk des
Einzelgängers Bruno Gironcoli sind immer auch die Themen der
österreichischen Kunst seiner Generation erkennbar: die
Bandagierungen des Aktionisten Rudolf Schwarzkogler, die Rituale
Hermann Nitschs, die Gewalt bei Günter Brus, die homoerotischen
Sado-Maso-Eruptionen bei Attersee oder das Kult-Design von Walter
Pichler und Hans Hollein.
Eine Radikalzäsur im Leben
Gironcolis war die Berufung zum Professor und Nachfolger des
verstorbenen Fritz Wotruba an die Akademie der bildenden Künste am
Wiener Schillerplatz. Die Berufung erfolgte jedoch nicht aus
Wertschätzung für den damals 41-Jährigen, sondern um Alfred Hrdlicka
abzuwehren.
Dieser war der Favorit der politischen Studenten
und versetzte als erklärter Kommunist die Professoren in panischen
Schrecken. Gironcoli nutzte die Chance und wurde ein hochgeachteter
Lehrer, der eine Reihe hervorragender Schüler hervorbrachte. Sein
bis jetzt erfolgreichster, Franz West, erklärte diesen Lehrstil so:
„Einen sensibleren Unterricht kann es kaum geben, man wurde
behandelt wie in einem Pflanzengehege, es wurde einem keine Meinung
aufgeprägt, man konnte sich tatsächlich entwickeln.“
Ironie und Melancholie
Für Gironcoli
selbst bedeutete die Professur ein gesichertes Einkommen und ein
riesiges Atelier am Rande des Praters. Hier konnte er, sehr zum
Leidwesen seines Ateliernachbarn Joannis Avramidis, ungeheure Mengen
des starke Dämpfe ausströmenden Polyesters zu immer größeren
Skulpturen verarbeiten. Dabei war ihm klar, dass die Zeit eines wild
provozierenden Schaffens für ihn als wohlbestallten
Staatsgeldempfänger vorbei war. Pornografie, so erklärte er in einem
Interview mit Edelbert Köb, dem heutigen Leiter des Museums moderner
Kunst im Museumsquartier, sei einfach inadäquat geworden.
Nicht inadäquat waren jedoch seine Ansprüche, in der Kunst
eine Form für Lebensbilder zu finden, die auch unabhängig von der
materiellen Situation bestehen. Er fand diese Form, indem er frühere
Themen wie Gewalt, Kind-Eltern-Traumata, Sexualität, ästhetisierte,
dekorierte und deshalb fast unerträglich, aber doch wieder
faszinierend intensiv machte.
Ständige Wiederholungen –
sowohl von Einzelsymbolen wie Herzen oder Embryos als auch der
wuchernden Strukturen von parallel entstehenden Riesenskulpturen –
verbinden Ironie mit einer latenten, tiefen Melancholie. Es ist ein
obsessives Werk, eine unendliche Geschichte. Die Großskulpturen,
realisiert mit der Hilfe von polnischen Arbeitern, an denen der
Künstler die bei uns verloren gegangene Identifizierung mit
Handarbeit schätzt, sind unverkäuflich, er hat sie gegen alle
Vernunft des Kunstmarkts und gegen sein ganzes Privatleben ertrotzt
und rauft jetzt um Standplätze für sie.
Seit Jahren trotzt
Bruno Gironcoli auch seiner schweren Krankheit, einem heimtückischen
Gehirntumor. Er wurde operiert, ist fast blind. Er kämpft gegen die
Zeit. In den Giardini von Venedig wird sie seinem Werk für fünf
Monate geliehen.