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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Bildende Kunst 
20. Jänner 2009
17:26 MEZ

"Shooting into the Corner": Der aus Mumbai gebürtige Anish Kapoor hat eine Druckluftkanone zum Abschuss von Wachsvollgeschoßen entwickelt.


Luftdruckgestützter Formwille
Das MAK zeigt Anish Kapoor - In vier Installationen thematisiert Kapoor das Auf- bzw. Abtragen von Material als grundlegenden skulpturalen Akt

Wien - Vito Acconci hat 1993 die Ausstellungshalle des MAK sich selbst durchdringen lassen; eine 1:1-Kopie des eben erst neu gestalteten Museumsflügels schräg durch das Original geschoben (The City Inside Us); Chris Burden ging 1996 ebendort Beyond the Limits, ließ eine viele Tonnen schwere Straßenwalze rotieren, als wäre sie ein Allerweltsfahrgeschäft auf den Rummelplätzen dieser Welt; und nun lässt Anish Kapoor schweres Geschütz auffahren, beschießt eine Ecke der Ausstellungshalle mit schwerer roter Wachsmunition. Insgesamt werden es etwa zwanzig Tonnen sein, die Elf-Kilo-Kugel für Elf-Kilo-Kugel mit 50 km/h und richtig Lärm bis zum Ende der Ausstellung an die Wände prallen - um dort Spuren zu hinterlassen, einen Haufen roten Wachses oder: das Ergebnis einer automatisierten bildhauerischen Geste.

Anish Kapoor, mit dem Turner Prize 1991 bekannt geworden und spätestens seit seiner monumentalen Installation in der Londoner Tate Modern 2002 zum Superstar der Kategorie Skulptur geadelter Künstler, veranschaulicht in seiner Personale im MAK Grundlegendes: das Aufbringen bzw. Abtragen von Material, simple Techniken, einer amorphen Masse geometrische Grundformen abzuringen.

Rotes Wachs ist diesmal sein Material, aus dem hölzerne oder stählerne Schaber Kugeln oder Laibe formen, schwere Schablonen bedächtig perfekte Hohlräume schneiden. Seine Versuchsanordnungen zum Gewinn idealer Formen und glatter Oberflächen sind nicht nur von zunächst einschüchternder Größe, sie unterminieren auch jeden pädagogischen Ansatz schneller Vermittlung. So langsam wie beständig, als wären es Maschinen, um Tunnel in Bergmassive zu treiben, gehen Kapoors Apparate ihrer Bestimmung nach - fordern vom Betrachter, sich Zeit zu nehmen bzw. - so er an ein Endergebnis glaubt (oder ein solches braucht) - Wochen später wiederzukommen. Um nachzusehen, wie der Fortschritt ausschaut, um einen Mehrwert zu suchen. Oder: Um im bedächtigen Abrieb, im behutsamen Modellieren den schon weit weniger einschüchternden Zuckerbäcker zu erkennen, das work in progress eines fernen Patissiers und den Abfall als Reste von Glasur und Zuckerguss.

Gewaltige Dekorkanone

Und in der Kanone nicht nur das Kriegsgerät. Sondern zugleich auch die Lustschleuder, das Produkt gefinkelter Hinterhofingenieurskunst, eine Dekorkanone, den Prototypen des stärksten druckluftbetriebenen Dressiersacks der Welt, einen panzerbrechenden Spritzbeutel.

Anish Kapoor hat uns immer wieder tief ins Innere von Steinen blicken lassen, hat Hohlräume in Wände gezaubert, ganz so, als würden Kindermünder Luftballonfetzen nach innen saugen. Kapoor verlegt Trichter, die ebenso akustische wie visuelle Sensationen versprechen, und presst Unmengen von "Plastilin" so lange energisch durch Türstöcke, bis im Nebenzimmer ordentliche Quader zu stehen kommen.

Anish Kapoor hat im MAK einen halben Käselaib zur Aufstellung gebracht, lässt in seiner Elementarküche ebendort eine riesige Kuchenbombe oder Erdbeereishalbkugel schneiden und feuert Kugeln ab, den Raum zu erobern. Nicht, um diesen zu zerstören, nicht, um subkutan Schaden anzurichten, oder gar, um triefende Wundhöhlen aufzureißen. Vielmehr um das Verhalten seiner Projektile beim Auftreffen auf ihr Ziel zu beobachten, nachzusehen, welche formale Sensation sich beim Aufprall der Kugel ergibt, was von der brachial beschleunigten Idealform übrig bleibt - beim Aufpilzen.

Nur langsam fallen die zähen Geschoßreste von den Wänden ab, hinterlassen Patzen und Schlieren, pastos aufgetragene Wandgemälde. Am Boden sammeln sich die Überbleibsel der großkalibrigen Vollgeschoße, bilden einen blutroten Haufen, in dem heil gebliebene Projektilreste noch von der ursprünglichen Idealform künden und zugleich vom Eingriff, vom Akt ihrer Transformation in den jetzt anderen Zustand. (Markus Mittringer, DER STANDARD/Printausgabe, 21.01.2009)

Bis 19. April

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