DiePresse.com | Kultur | Kunst | Artikel DruckenArtikel drucken


Wiens Geister und Affen

21.05.2011 | 18:24 | von Ulrike Weiser (Die Presse)

Wann ist Kunst im öffentlichen Raum gut? Dann, wenn man sie überhaupt bemerkt, sagt der neue MAK-Chef Christoph Thun-Hohenstein. Wichtig sei auch, dass das Werk nicht in der Umgebung verschwinde.

Zirka 15 Minuten sind vergangen, und keiner hat auf das Schild gesehen. Nicht dass der riesige weiße Affe, der breitbeinig vor der Kunsthalle am Karlsplatz hockt, nicht auffiele. Im Gegenteil. Viele bleiben stehen, schauen, zücken das Smartphone für ein Foto. Aber nähere Erklärungen, was der österreichische Grafikdesigner Stefan Sagmeister mit seiner aufblasbaren Skulptur „Everybody thinks they are right“ gemeint haben könnte, interessieren nicht. Christoph Thun-Hohenstein, Sagmeister-Fan und -Freund – und seit vergangener Woche designierter MAK-Direktor–, nimmt es gelassen: „Schätzungsweise 95 Prozent der Leute sind nicht über Kunst im öffentlichen Raum informiert“, sagt er. Es gehe aber nicht darum, dass Menschen Begleittexte auf Schildern lesen, sondern darum, „dass es bei den Leuten klickt“. Oder auf der Handykamera.

Gelegenheit zum „Klick“ gibt es, wie ein Stadtrundgang mit Thun-Hohenstein zeigt, viele. Denn im Frühsommer geht die Kunst auf die Straße, vor allem seit der Trend weg von permanenten Installationen hin zu temporären Projekten weist. Am Graben etwa entwickeln sich die „Großen Geister“, das Figuren-Quartett von Thomas Schütte, zu Touristenlieblingen. Und auf dem Vorplatz vorm Museumsquartier ist zwar derzeit Pause, aber schon Ende Juni kehren die luftigen „art to innovate“-Skulpturen wieder. Ebenfalls in der Warteschleife, aber hinterm Baustellenzaun schon sichtbar, windet sich „The Morning Line“: Der ornamentale, tintenschwarze Pavillon des britischen Künstlers Matthew Ritchie, der schon in Istanbul gastierte, fungiert von 7. bis 11. Juni als Plattform für ein Musikfestival auf dem Schwarzenbergplatz.

Große Fußstapfen. Gute Projekte allesamt, findet Thun-Hohenstein. Er wird sich künftig intensiver mit Kunst im öffentlichen Raum beschäftigen. Nicht nur, weil ihn das Thema, wie er sagt, schon lange „brennend“ interessiert, sondern auch, weil er als MAK-Direktor in große Fußstapfen tritt. Immerhin war sein unrühmlich verabschiedeter Vorgänger Peter Noever ein Förderer der „Straßenkunst“, mit der sich das MAK in die Stadt erweiterte. Das beginnt mit der permanenten Lichtinstallation von James Turrell auf der MAK-Außenfassade und setzt sich fort in Geschenken und Leihgaben – wie etwa der Skulptur von Donald Judd im Stadtpark oder Franz Wests Lemurenköpfen auf der Stubenbrücke. Noever beschenkte die Stadt aber nicht nur, er stritt auch gern mit ihr zum Thema – mal ging es um die gescheiterte Finanzierung großer Projekte („Urban Light“), mal um Kritik an der Straßenbeleuchtung oder darum, dass die Stadt seine Gaben verkommen lasse. Kunst im öffentlichen Raum, meinte er, sei im Idealfall „schmerzhaft“ und Wien in dieser Beziehung leider eine Provinzstadt.

Töne wie diese wird man vom verbindlichen Christoph Thun-Hohenstein („Ich bin ein ganz anderer Typ“) nicht hören, zu Wort melden werde sich „das MAK“ dazu aber weiterhin. Viel Potenzial für Stadtinterventionen sieht er etwa bei den Visualisten, die er aus seiner Zeit als Chef der Wiener Kreativwirtschaftsförderagentur „departure“ gut kennt. Böse Zungen meinen freilich, das liege auch daran, dass Lichtprojektionen kaum Konfliktpotenzial bergen.

Der Klick. Was aber ist für den neuen MAK-Chef überhaupt „gute Kunst“ im öffentlichen Raum? Eher permanente oder temporäre? Eine, die Menschen aktiv einbezieht, oder nur für sich steht? Und soll sie besser im Stadtzentrum stattfinden oder in den Außenbezirken? Thun-Hohenstein will sich nicht festlegen, nicht einmal auf eine Definition schlechter Kunst. („Okay, es gibt einige Brunnen, die mir nicht gefallen.“) Klar sei aber: „Gute Kunst im öffentlichen Raum muss – abgesehen davon, dass sie gute Kunst ist – vor allem bemerkt werden.“ Das bedeute, dass sie erstens „an Plätzen ist, wo viele Leute sind“, und zweitens, dass sie funktioniere, dass es eben „Klick macht“. Verspielte Werke wie der Sagmeister-Affe, gibt er zu, hätten es leichter.

Wichtig sei auch, dass das Werk von seiner Dimension her nicht in der Umgebung verschwinde. Tatsächlich gibt es in Wien mehr unsichtbare Kunstwerke als solche, die man – ob positiv oder negativ – kennt. Und nicht immer liegt es an der Ignoranz der eiligen Passanten. Selbst tollen Künstlern wie Olafur Eliasson, sagt Thun-Hohenstein, könne es passieren, dass sie untergehen. So seien dessen Wasserfälle im New Yorker East River trotz bombastischen Aufwandes letztlich zu dezent gewesen. Apropos New York: Für Thun-Hohenstein, der von 1999 bis 2007 das dortige Österreichische Kulturforum leitete, ist die Stadt ewiges Vorbild – auch in Sachen Kunst im öffentlichen Raum. Wobei er Wien – immerhin – große Fortschritte zugesteht.

Budgetnöte. Am Fortschritt beteiligt ist die „Kunst im öffentlichen Raum-GmbH“, die Wiener Projekte berät und basierend auf der Entscheidung einer internationalen Jury fördert. Jury-Präsidentin ist seit Herbst 2010 Kuratorin Lilli Hollein. Ihre Erfahrungen sind gemischt: „Es ist nicht so, dass alle Türen offenstehen“, sagt sie – auch wenn sich bei der Schütte-Installation die strenge City-Bezirksvorsteherin diesmal kooperativ gezeigt habe. Auch leide man unter der Budgetunsicherheit. 800.000 Euro sind veranschlagt (deutlich weniger als etwa in Niederösterreich), großteils aus dem Wohnbauressort, dessen Ressourcen drastisch gekürzt wurden. Heuer halte das Budget, sagt Hollein, aber es sei schwer, für die Zukunft ein permanentes, renommiertes Projekt zu planen, wenn man nicht wisse, wie viel Geld man haben werde. Und Finanzierung über Public Private Partnership? Auch schwer zu finden.

Nicht einfach sei auch die Lage beim neuen Hauptbahnhof: Kunst werde im Stadtbau zu spät mitgedacht. „Man sollte früher ansetzen und Künstler und Architekten zusammenspannen“, sagt Hollein. Dann werde auch die Kunst besser. Und davon profitierten, glaubt Thun-Hohenstein, wiederum die Museen. Schlechte oder schlecht vermittelte Kunst an der frischen Luft sei nämlich gefährlich für jene in geschlossenen Räumen, denn: „Sie kann Vorurteile gegenüber zeitgenössischer Kunst insgesamt verstärken.“


© DiePresse.com