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23.06.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung
Kritik Ausstellung: Raumzeit, Traumzeit: Kaum Zeit?
VON ALMUTH SPIEGLER
Das Kunsthaus Graz im Land der "Videodreams": Eine dunkle Versuchung ohne Orientierung.

L
angsam, sehr langsam schwebt die Kamera durch das Zimmer, streift Sofa, Tür, fixiert die jungen Hände, die über die Klaviertastatur fliegen. Immer schneller, immer lauter. Schnitt. Vor dem Haus kniet der Gärtner. Er starrt in den Swimmingpool. Schnitt. Eine Frau steigt aus der Dusche. Sie lauscht. Hat sie etwas gehört? War es nur ein Traum? Das tote Reh im Pool, die verstoßene Tochter, die wieder heimgekehrt ist? Alles Fantasien des Betrachters, der in der schwarzen Box kauert und sich von Teresa Hubbard und Alexander Birchler einlullen lässt mit einer Geschichte, die ihr Geheimnis kunstvoll hütet, deren Lücken wir selber füllen müssen. Eine Anstrengung wie ein Geschenk, das einem Kommerz-Kino immer mehr vorenthält.

Eine Anstrengung - wie jede reine Video-Ausstellung - ist auch "Videodreams". Aber man wird mit seltenen, zauberhaften Momenten belohnt - und verlässt den dunklen Bauch dieses so schwierig zu bespielenden "Friendly Aliens" vulgo Kunsthaus Graz diesmal wohlig und friedlich. Adam Budak und Peter Pakesch haben 15 Video-Arbeiten ausgesucht, die sich mit Illusion, Theatralik und Künstlichkeit befassen sollen. Eine gelassene, poetische Ausstellung, durch die man, versehen mit Kopfhörern, von einer Station zur nächsten wandert. Vorbei am schillernden Einblick in eine verlassene Nachtbar, den uns Mark Lewis eröffnet.

Ist es erst 20 Uhr oder bereits sechs? Die Kellnerin hinter der Theke bewegt sich kaum, erinnert an Manets "Bar in den Folies-Bergère". Nur hat der Betrachter keinen Stellvertreter im Bild - und der Raum beginnt sich irritierend zu verziehen. Ganz sachte nur. So leise, wie Janet Cardiff uns, ein paar Meter weiter, durch die Kopfhörer ins Ohr flüstert, als stünde sie gleich hinter uns: "Die Frau auf der Leinwand schaut aus wie in meinem Traum. Ich erzähl' ihn dir später." In unserer Einbildung wirbelt die kanadische Künstlerin uns mitten hinein in den kleinen Modell-Kinosaal, auf dessen Mini-Leinwand wir monstergroß starren - und uns von der vertrauten Frauenstimme manipulieren lassen.

Greller arbeitet Katarzyna Kozyra, was in Graz ein "Jugendverbot"-Schild nach sich zog. In ihrem Labyrinth aus intimen Video-Kabinen gefangen, muss man sich zwischen zwei Identitäten, zwei Welten, zwei - oder sind es drei? - Geschlechtern zurechtfinden. Einmal folgt man der polnischen Künstlerin durch die Berliner Drag-Queen-Szene, durch Schwulen-Clubs, in die Garderoben, zum Shopping. Der andere Strang zeigt Kozyra in den Händen eines exzentrischen Gesangslehrers, bei dem sie Cherubinos Arie aus Mozarts "Figaro" einstudiert: "Ich weiß nicht mehr, was ich bin und was ich tue."

Das einzige, aber durchgehende Problem von "Videodreams" lässt sich ähnlich formulieren: Ich weiß nicht, wo ich bin. Denn auch in Graz beachtete man nicht dieses so winzig erscheinende technische Problem, das Video-Ausstellungen so enervierend macht: die zeitliche Desorientierung. Hat das Video gerade erst begonnen? Ist es in der Mitte, am Ende? Aber, das weiß man in seinen Träumen ja auch nie.

Bis 19. 9., Di.-So. 10-18 h, Do. 10-20 h.

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