Salzburger Nachrichten am 31. Juli 2006 - Bereich: Kultur
Tagebücher aus dem Inferno

Spielen mit dem Sound der Zerstörung und Weblogs aus Beirut: Libanesen wie Israelis nutzen das Internet zur persönlichen Auseinander-setzung mit dem Krieg.

CLEMENS PANAGLSALZBURG (SN). Die Trompete gibt hechelnde Geräusche von sich, als gelte es für ihren Spieler, um sein Leben zu laufen. Dann wieder klingt der Atem, der stoßweise durch das Rohr des Instrumentes geblasen wird, wie das Flattern eines Helikopters. Im Hintergrund sind Sirenen zu hören und immer wieder dumpfe Einschläge.

"Starry Night" hat der libanesische Musiker Mazen Kerbaj seine Geräuschimprovisation genannt, die er in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli auf seinem Balkon in Beirut eingespielt hat, während Detonationen die Stadt erschütterten. "Eine minimalistische Improvisation" steht als Begleittext neben dem Link im Internet (www.muniak.com/mazenkerbaj.html), über den ein Auszug des Stücks als MP3-Datei heruntergeladen werden kann. Und weiter: "Mazen Kerbaj: Trompete. Die Israelischen Luftstreitkräfte: Bomben."

Der 31-jährige Kerbaj ist Maler, Comiczeichner und einer der führenden Improvisatoren in Beiruts aktueller Musikszene. Aufgenommen und gespielt hat er etwa mit dem Wiener Trompeter Franz Hautzinger. Zu einer für Ende Juli geplanten US-Konzertreise ist der Beiruter Künstler nicht aufgebrochen. Stattdessen stellt er nun in seinem Internettagebuch aus Beirut täglich Zeichnungen zum Krieg im Libanon online (http://mazenkerblog.blogspot.com). Die Kommentare, die Surfer zu seinen Werken abgeben, kommen aus aller Welt: aus Wien, aus Kanada - und aus Israel.

"Helpless" nennt sich etwa ein User, der von seinem Traum berichtet, einmal "mit meinem Auto von Tel Aviv durch den Libanon bis Europa" zu fahren. Als "IsraeliMom" erzählt eine andere israelische Diskutantin von der Angst um ihre Kinder, und davon, dass es in Israel wie im Libanon "Idioten und intelligente Leute" gebe. Libanesen und Israelis diskutieren online Rasant haben sich in den vergangenen Jahren die Weblogs oder kurz Blogs genannten Onlinetagebücher im weltumspannenden Netz verbreitet: Als Medium zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, durch das jeder "Blogger" der ganzen Welt seine Welt erklären kann.

In Kriegsregionen gewinnt das Selbstdarstellungsmedium der Generation Internet eine andere Relevanz: Blog-Schreiber setzen Nachrichten mitten aus dem Inferno in die Welt, die mit distanzierten Medienberichten über Bombardierungen und Opferbilanzen meist wenig zu tun haben.

Weblogs aus dem Krieg sind kein Phänomen des Libanonkonflikts. In ihrem Blog "Bagdad burning" berichtet etwa seit 2003 eine junge Technikerin unter dem Namen "Riverbend" vom Irak-Krieg und der Besatzung. Ihre Tagebücher liegen mittlerweile auch als Buch vor ("Bagdad burning", Residenz). Jetzt kommen ähnliche Berichte aus Beirut. "Ich fand meine Mutter hysterisch lachend in der Wohnung. Die Explosion hatte sie einen Meter aus ihrem Sofa hochkatapultiert", schreibt die Künstlerin und Journalistin Mana in ihrem Blog "Manamania" (http://cedarseed.livejournal.com). Auch in ihrem Forum sind Diskussionen zwischen libanesischen und israelischen Internetnutzern an der Tagesordnung. Von der differenzierten Sichtweise mancher Israelis sei sie "am meisten überrascht gewesen" erläutert Mana kürzlich in einem Interview mit dem Magazin "Wired". "Ich dachte immer, die glauben kollektiv, dass alle Libanesen Israel hassen."

Der Weblog als friedliche Form der Auseinandersetzung zwischen den Menschen über Fronten hinweg? "Jedes Mal, wenn ich beginne, Israel zu hassen, kommt einer wie Du daher", schreibt in einem anderen Blog ein Libanese, der unverhofft auf einen offenen israelischen Diskussionspartner gestoßen ist.

Allerdings: nicht immer funktioniert der Diskurs so. "Wenn alle Libanesen sind wie Du, sollten die Israelis möglichst viele Libanesen töten", lautet eine Antwort auf einen Eintrag Manas. "Ich sitze im Bunker und leide wie ihr", hat ein anderer Israeli in Kerbajs Blog gepostet. "Aber das ist die Sache wert. Israel wird die Hisbollah vernichten."

Kerbaj hat unterdessen alle politischen Kommentare von seinem Blog verbannt. "Hier geht es ausschließlich um Kunst", erklärt er. Apropos: Mit seiner Improvisation "Starry Night" hat er größere Medienpräsenz erlangt als ihm lieb ist. Interviews gibt er keine mehr. Ob es nicht geschmacklos sei, zum Sound fallender Bomben zu improvisieren, sei er dabei mehrmals gefragt worden. Er habe mehrmals dieselbe Antwort gegeben: "Finden Sie es nicht geschmacklos, flüchtende Zivilisten zu bombardieren?" Auf den Draht zur Welt via Internet will er aber weiter nicht verzichten. "Hört nicht auf, uns zu schreiben", bat der Blogger vor einigen Tagen: "Wir müssen wissen, dass ihr da seid!"