Artikel aus profil Nr. 23/2003
Marktlücken erspäht

Mit Mut und Konsequenz hat sich die Wiener Generali Foundation im internationalen Kunstleben positioniert.
Jeden Morgen, wenn sie ihr Büro betritt, gießt Sabine Breitwieser Kunst. In einer flachen Holzkiste sprießt das Ziergewächs Soleirolia, das in Amerika „Baby Tears“ (Kindertränen) heißt; in der Mitte des Beets ist die Silhouette eines B52-Bombers ausgespart.

Das Stück stammt von der amerikanischen Konzeptkünstlerin Martha Rosler und wurde von Breitwieser, der Leiterin der Generali Foundation, für die Kunstsammlung der Versicherungsholding angekauft.

Und nicht zum ersten Mal fragten sich dabei einzelne Vorstandsmitglieder des traditionsreichen Unternehmens: Ist das tatsächlich Kunst? Seit fünfzehn Jahren sammelt Generali das, was nicht unbedingt unter „Firmenkunst“ fällt: utopisches Design von Walter Pichler, Video-Installationen von Gottfried Bechtold. Und immer wieder Arbeiten von ausländischen Künstlern: Dan Graham, Gordon Matta-Clark oder eben Martha Rosler.

Dass so spröde Kunst in den personenverliebten österreichischen Medien mit-unter stiefmütterlich behandelt wird, schmerzt Dietrich Karner, Vorstandsvorsitzender der Generali Holding und Präsident der Generali Foundation: „Wir haben die Latte sehr hoch gelegt und bekommen international bestätigt, dass wir uns sehr gut positioniert haben.“

Eine große Personalausstellung des amerikanischen Konzeptkünstlers Dan Graham etwa, die im vergangenen Jahr in einer Reihe von wichtigen europäischen Museen gezeigt wurde, bestand zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus Leihgaben der Wiener Generali Foundation. Eine der Installationen, „Video Space“, wurde 1995 für die Eröffnungsausstellung der neuen Räume der Foundation in der Wiedner Hauptstraße 15 in Wien-Wieden eigens in Auftrag gegeben und nahm dann einen zentralen Raum bei der zehnten documenta 1997 in Kassel ein. Und „eine repräsentative Personalausstellung von Valie Export“, erklärt Sabine Breitwieser, „ist ohne unsere Sammlungsbestände nicht mehr denkbar“.

Dabei begann alles, wie Karner versichert, „ganz zufällig, wie meistens die guten Dinge“. 1988 übersiedelte die Holding in eine neue Firmenzentrale in der Wiener Landskrongasse und stand vor der Aufgabe, in den neuen Räumen auch Platz für Kunst zu schaffen. Karner, damals gerade seit kurzem Generaldirektor, holte sich Beratung. Eine Runde von Kunstleuten, darunter der Maler Max Weiler, der Leiter der Secession, Edelbert Köb, und Kunstkritiker Kristian Sotriffer bestärkten den Manager in der Idee, „eingefahrene Geleise verlassen und Marktlücken erspähen“ zu wollen, was dem Image eines Versicherungsunternehmens als Risikomanager durchaus entsprechen würde. Als Gattungsschwerpunkt fasste man Skulptur ins Auge, als Vision wurde definiert, Kunst zu sammeln, die „international wichtig, aber in Österreich noch nicht anerkannt“ ist. Außerdem sollte es Kunst sein, die gesellschaftlich Stellung bezieht.

Damit positionierte sich die Generali Foundation auch deutlich gegen die Kunstaktivitäten anderer österreichischer Geldinstitute. Die Bank Austria etwa, deren Vorgängerin Länderbank in den siebziger Jahren Fotokunst gesammelt hatte, verlegte ihre Tätigkeit weit gehend auf große historische Ausstellungen in ihrem Kunstforum und konkurriert darin mit den Bundesmuseen. Die Bawag sammelt und zeigt vorwiegend österreichische Kunst ohne erkennbare Richtung (von Attersee bis Caramelle). Die Erste Bank hat in den achtziger Jahren in Zusammenarbeit mit der Galerie St. Stephan eine selektive Kollektion hochpreisiger internationaler Kunst zusammengetragen und engagiert sich derzeit in junger Kunst aus den osteuropäischen Ländern, während andere Institute, wie etwa die Raiffeisenlandesbank Tirol, sich der regionalen Kunst verschrieben.

Erweiterte Skulptur

Um die Positionierung der Generali Foundation glaubwürdig umzusetzen, sollte ein Kurator bestellt werden, der gemeinsam mit einem unabhängigen, alle drei Jahre wechselnden dreiköpfigen Beirat über die Ankäufe entscheidet. Das Management – das wurde ausdrücklich festgehalten – sollte keinen Einfluss haben.

Zur Kuratorin wurde Sabine Breitwieser bestellt. Die promovierte Juristin aus Oberösterreich, als Organisatorin der Wiener Galerie und Künstlergruppe REM mit dem aktuellen Kunstgeschehen vertraut, bezeichnet die Anfänge in der Foundation als „learning by trying“. So stellte sich bald heraus, dass die klassische Skulptur eines Wotruba, Hoflehner, Urteil oder Avramidis bereits „ums Eck“, nämlich in der Bawag-Foundation, gesammelt wurde und auch im Museum moderner Kunst vertreten war. Hingegen wurden andere, aktuelle Künstler, deren Arbeiten im internationalen Kunstdiskurs zum Begriff „erweiterte Skulptur“ gezählt werden, im Museum moderner Kunst nur marginal wahrgenommen. Breitwieser: „Franz West und Valie Export wurden vom Museum extrem spät gesammelt.“

1200 Kunstwerke von 160 Künstlerinnen und Künstlern bilden heute den Bestand der Generali-Sammlung. Von Anfang an war der Kuratorin, die 1991 zur künstlerischen Leiterin und Geschäftsführerin bestellt wurde, klar, dass Sammeln, wenn es Wirkung zeigen soll, nur Sinn macht in Verbindung mit Ausstellungen einerseits und mit wissenschaftlicher Aufarbeitung andererseits. Breitwieser fordert „Bewahren, Erhalten, Vermitteln – die klassischen Museumsaufgaben, die aber die meisten Museen unter extremem Quotendruck nur mehr mangelhaft wahrnehmen“.

Statt Quotendruck verspürt die künstlerische Leiterin die Verantwortung, mit privatem Geld umzugehen, auch wenn die Anlagen der Holding in Kunst nur ein Sechshundertstel der Immobilienanlagen ausmachen. Breitwieser hat ein Aufwandsbudget von derzeit 1,58 Millionen Euro – „damit können wir drei Ausstellungen im Jahr machen“ – und einen Ankaufsetat von 250.000 bis 300.000 Euro: Letzterer bestimmt auch die Auswahl der Sammlung: „Gehypte Künstler können wir uns nicht leisten, und das ist gut so.“

Öffentlichkeitsarbeit

Der Foundation geht es nur so gut wie dem Unternehmen. „Wenn der Konzern die Werbebudgets kürzt und Personal einspart, so müssen auch wir das zur Kenntnis nehmen“, weiß Breitwieser. Zwölf zum Teil nur halbtags tätige Mitarbeiter, davon die meisten Frauen, werken für die Foundation. Den größten Arbeitsaufwand stellen neben der Beantwortung von Anfragen internationaler Institutionen die Bibliothek, die Mediathek und das Archiv – alle öffentlich benutzbar – dar.

Nächstes Jahr endet Dietrich Karners Zeit an der Spitze der Generali Holding. Dass sein Abgang die Foundation gefährden könnte, kann sich ihr Begründer und Mentor nicht vorstellen: „Wer immer mein Nachfolger ist, wird den Imagewert, auch für die weltweite Generali, erkennen.“ Das soll noch heuer eine internationale Wanderausstellung mit 300 Werken aus der Generali Foundation untermauern.

Autor: Horst Christoph


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