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Nachruf: Der Mann, der den Geruch der Straße in die Kunst holte

13.05.2008 | 18:20 |  (Die Presse)

Robert Rauschenberg, Pionier der amerikanischen Pop Art und einer der Hauptvertreter der US-Kunst des 20. Jh., ist tot.

Einen „Titan der amerikanischen Kunst“ nannte ihn die „New York Times“ in einer ersten Reaktion auf die Nachricht von seinem Tod: Robert Rauschenberg, einer der Hauptvertreter der amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts, bahnbrechender Pionier der amerikanischen Pop-Art, Maler, Grafiker, Fotograf, Objektkünstler und vieles mehr, ist in der Nacht auf Dienstag im Alter von 82 Jahren gestorben.

„Keiner hat die überschäumende, ungezügelte Energie von Rauschenbergs Vorstellungskraft“, schrieb der Kunsthistoriker Robert Hughes einmal über ihn. „Er liebt die Geräusche, den Abfall und den Geruch der Straße.“ In North Carolina lernte der junge Künstler Anfang der 1950er Jahre den Choreographen und Tänzer Merce Cunningham und den Musiker John Cage kennen gelernt, beides Spitzen der damaligen Avantgarde und Beat-Generation, mit denen er später eigene Projekte schuf. Der Durchbruch kam mit dem Umzug nach New York, dort hatte er in der legendären Galerie von Leo Castelli seine erste Einzelausstellung. Seine „Combine Paintings“ (das wohl berühmteste davon ist das „Monogram“ von 1959) machten ihn zum Star.

Aus Fundstücken und Alltagsgegenständen bestehen seine neodadaistischen Collagen, dreidimensionale Installationen aus Alltagsobjekten und Farbe, in denen Rauschenberg die Grenzen zwischen Malerei und Skulptur durchbrach. Für seine Werke verwendete er gerne Fundstücke von der Straße und Gegenstände des täglichen Lebens, Glühbirnen, Küchengeräte oder Postkarten, Comics, Tapetenreste oder eine ausgestopfte Ziege. Im Unterschied zu anderen Materialkünstlern veränderte er seine Fundstücke nicht und betonte ihre Eigenständigkeit – er wollte Teile der „realen“ Welt unverändert in die Kunst hineinholen, wie er meinte: „Ich bin der Meinung, dass ein Kunstwerk wirklicher ist, wenn es aus Teilen der wirklichen Welt gemacht ist.“

Nicht nur wegen seiner Materialvorlieben bezeichnete sich Rauschenberg selbst gerne als eine typisch amerikanische „Straßenkötermischung“. Geboren wurde er am 22. Oktober 1925 als texanischer Ölarbeiter-Sohn Milton Ernest Rauschenberg. Sein Großvater väterlicherseits stammte aus Berlin und heiratete später eine Cherokee-Indianerin. Seine Großmutter mütterlicherseits war Schwedin, verheiratet mit einem Holländer.

Rauschenberg war nicht nur vom Dadaisten Kurt Schwitters beeinflusst, die Betonung des Spannungsverhältnisses von Kunstwerk und Lebenswelt verband ihn mit Künstlern wie John Cage, der Alltagsgeräusche in seine Kompositionen mit aufnahm. Mit Merce Cunningham initiierte Rauschenberg in den 1960er Jahren immer wieder Happenings und Theateraufführungen.


Eine „Rauschenberg-Renaissance“

1962 entdeckte Rauschenberg für sich das Siebdruckverfahren zeitgleich mit den ersten fotomechanisch vervielfältigten Siebdrucken von Andy Warhol, Ende 60er bis Anfang 70er begann er mit Elektronik zu experimentieren und gründete gemeinsam mit Billy Klüver das Projekt „Experiments in Art and Technology“ (E.A.T.).

Eine „Rauschenberg-Renaissance“ machte sich in den 80er-Jahren breit, als der Künstler das weltumspannende Projekt „Rauschenberg Overseas Culture Interchange“ (ROCI) begann: Der Künstler bereiste von 1984 bis 1991 zehn Länder, um in Zusammenarbeit mit den Künstlern vor Ort as jeweils Kulturspezifische bildnerisch zu verarbeiten. 1998 widmete ihm das New Yorker Guggenheim Museum ein große Retrospektive mit rund 400 Werken. sim

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2008)


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