Die Vollendung der Form Die Eisenbahn braucht die Schiene wie das Flugzeug die Luft oder das Schiff das Wasser. Der Konzept- und Medienkünstler Gottfried Bechtold hat mit ihr ganz anderes im Sinn und findet gemeinsam mit ihr eine Neudefinition der Skulptur. Michael Hausenblas Auf einem Feld in der Nähe von Bregenz ruht, aufgebahrt auf zwei Metallkonstrukten, eine 21 Meter lange Schiene aus Stahl. Gegen ihre Mitte zieht die Schwerkraft das Objekt in einer sanften Kurve nach unten. Früher sah man hier manchmal eine Hand voll Buben, die in einem Abstand von zehn Zentimetern Cola-Dosen auf dem Stück Eisen arrangierten, um diese dann mit dem Flobertgewehr aus gutem Abstand umzupusten. Manchmal hörte man nach dem Peng aus der Büchse ein Pling, nämlich dann, wenn das Kügelchen nicht die dünne Wand der Dose durchlöcherte, sondern mit all ihrer Wucht versuchte, sich mit der Eisenschiene anzulegen, dann aber ruckizucki die Rückreise antrat. Kam es zum Pling, schmissen sich die Burschen schnurstracks flach in die Wiese - verständlich. Der Gebrauch der Schiene als Schießstand für Lausbuben ist jedoch nicht der eigentliche Zweck des guten Stücks. Die "Schiene Kofler", nach einem bärtigen Schlosser benannt, stellt eine Arbeit des Künstlers Gottfried Bechtold dar, von dem der Medienkunstpionier Peter Weibel meinte, er sei am Wandel des Begriffes Skulptur maßgeblich mitbeteiligt. Die Schiene Kofler definiert ihre Form durch ihr Gewicht. Die Ausmaße der 998 Kilo schweren Skulptur entsprechen ihrer inneren Kraft, die gerade noch das Gewicht des Objekts trägt. Wäre sie auch nur ein bisschen länger, würde sie brechen. Eigengewicht und Tragkraft sind identisch, die Gravitation wird zum Mitgestalter. Ihr Durchhang misst, von der Horizontalen aus betrachtet, immerhin dreißig Zentimeter. [] Noch bis 14. Juli ist an der Project Wall der Kunsthalle Wien im Museumsquartier die "Porsche Kid's Line" von Gottfried Bechtold zu sehen. Präsentiert wird ein großer Teil der fast 1000 Kid-Crash-Porsches umfassenden Edition, deren Einzelstücke im Shop der Kunsthalle zu erwerben sind. Bechtold live: über seine Teilnahme an der documenta 5 im Jahre 1972, am Sonntag, dem 23.6. um 11 Uhr in der "Basis Wien", Fünfhausgasse 5, 1150 Wien. © DER STANDARD, 22./23. Juni 2002 Automatically processed by COMLAB News