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Doris Theres Hofer. All Ways Going Nowhere

Einladung: Doris Theres Hofer. All Ways Going Nowhere. 2018

12.01.2018 - 08.02.2018

Startgalerie im Museum auf Abruf, Wien / Österreich

Seit etwas mehr als einem Jahr arbeite ich an einer umfangreichen Bilderserie: Gestickt werden alle möglichen Fehlversuche des Kinderspiels „Haus vom Nikolaus“ – insgesamt 266 Wege ins Nichts. Mein künstlerisches Tun ist ein langweiliges Spielen – mit der Zeit, dem Zufall und Fehlern, und das in einer Art abwesender Anwesenheit. Das Verschwenden der Zeit wird ganz und gar zu einem Verschwinden in der Zeit. „All Ways Going Nowhere“ – bin ich fort oder doch ganz hier? Doris Theres Hofer

Christoph Bruckner

Die Reterritorialisierung der Zeit - zur postprekären Kunst von Doris Theres Hofer



Das Modell des Künstlers hat in den letzten Jahren eine Wirkmächtigkeit erreicht, die selbst die nach gesellschaftlichem Einfluss trachtenden Utopien der Moderne übersteigt.... Noch sind zwar noch nicht alle Künstler, wie Beuys einmal sagte, aber viele arbeiten schon wie welche: selbstausbeuterisch, prekär, projektbezogen. Ausgehend von den 1960er Jahren wurde dieser Arbeitsmodus von der Managementliteratur der 90er Jahre popularisiert und ist mittlerweile ein politisch gefördertes und gefordertes Ideal, das auch in der Kunstwelt in den letzten Jahren unter dem Begriff Postfordismus intensiv diskutiert wurde. Widerstandsstrategien gegen das postfordistische Modell der Arbeitsorganisation wurden im Laufe der Zeit einige vorgeschlagen. Dem Primat des „anders sein“ hält Ulrich Bröckling ein „anders anders [...] sein“ 1 entgegen, was aber nur zu einem „anders anders anders sein“ führen kann und so zu einem endlosen Regress. Sehr populär war auch die Verweigerungshaltung des Schreibers aus Herman Melvilles „Bartleby der Schreiber“, der auf Arbeitsaufforderungen mit den Worten „I would prefer not to“ 2 zu antworten pflegt. Das hat zu einer Vielzahl an Sammelbänden und Symposien geführt, die das Nichtstun propagieren. Abgesehen von diesem Paradox funktioniert Bartlebys Verweigerungshaltung nur in einem literarischen Zusammenhang und würde in der Realität meist die sofortige Kündigung nach sich ziehen. Einen durchaus gangbaren Ausweg aus dem Durchgriff des Postfordismus auf die gesamte Lebenszeit des unternehmerischen Selbst und die daraus folgende zunehmende Vermischung von Arbeits- und Freizeit präsentiert Gerald Raunig in seinem Buch „Industrien der Kreativität“, in dem von einer „selbstbestimmten Reterritorialisierung von Zeit und Raum“ 3 die Rede ist.

An einer solchen Reterritorialisierung zumindest der Zeit arbeitet auch die Künstlerin Doris Theres Hofer. 2016 bis 2018 verwirklichte sie unter dem Titel „All Ways going Nowhere“ eine 266teilige Stickarbeit, die auf allen möglichen Fehlversuchen beim Kinderspiel „Haus vom Nikolaus“ basiert. Bei der enorm elaborierten Herstellungsweise dieser Arbeit nähert sich Hofer, wie zumindest auch teilweise in ihren anderen Serien, einer genuin fordistischen Arbeitsweise an. Der verberuflichte Arbeitnehmer des Fordismus hatte zwar keine kreativen Freiheiten, dafür aber eine relative ökonomische Sicherheit und eine klare Unterscheidung von Arbeits- und Freizeit. Hofers Acht-Stunden-Arbeitstag, der für die Fertigstellung der Arbeit notwendig war und den die Künstlerin nicht als einschränkend oder monoton beschreibt, sondern als meditativ und beruhigend, ähnelt sehr diesem Modell der Arbeitsorganisation. Hofer arbeitet zumindest in dieser Serie wie der fordistische Arbeiter, der „niemals aufhört anzufangen“, während „der Unternehmer in eigener Sache nie mit irgendetwas fertig [wird].“ 4 Die Durchsetzung und Kommunikation eines solchen fordistischen Werkentwurfs bleibt natürlich genauso wie alle anderen Werkentwürfe an die Kontingenzen postfordistischer freiberuflicher Arbeit gebunden. Die organisatorische Arbeit findet auch bei Hofer nicht in der Produktionszeit statt, womit doch wieder ein Verwischen der Grenzen von Arbeits- und Freizeit stattfindet.

Hofer bezieht sich nicht nur wie im Craftivism, also jener künstlerischen Bewegung die Handarbeitstechniken für ihre Arbeiten übernimmt, auf Hobbykreativität, sondern nähert sich dieser auch strukturell an. Schließlich geht es bei der Hobbykreativität im Gegensatz zum professionellen Gestalten darum, möglichst viel Zeit tot zu schlagen. Die Künstlerin stellt sich durch die Verwendung des Stickens und die Übernahme bestehender Strukturen wie eben des Kinderspiels „Haus vom Nikolaus“ auch gegen den paradoxen kreativen Imperativ „Sei kreativ!“, der die Anrufungen des postfordistischen kreativen Selbst begleitet. Hofer begleitet ihre Stickereien notwendigerweise mit Zählungen auf Postkarten, die sie an sich selbst schickt. Der Bezug auf künstlerische Modi des Fordismus, etwa auf die Aufzeichnungssysteme von On Kawara, Hanne Darboven oder Roman Opalka, passt als Moment der Verweigerung von Kreativität ebenfalls ins Bild. Neben den Themen (Arbeits)zeit und Raum spielen Zufall und Fehler eine große Rolle in Hofers Werkentwurf. Zwei Serien von gestickten Bildern, die zwischen 2012 und 2016 entstanden, basieren auf unbeabsichtigten Farbspuren auf Atelierwänden und Schmierzetteln. Obwohl diese Spuren ursprünglich nicht als Malerei gedacht waren, sondern zufällig entstanden sind und die Künstlerin immer wieder bewusst „falsche“ Kompositionen verwendet, zum Beispiel mit den visuell schwereren Elementen oben oder am rechten Rand, sind diese Bilder eigentlich nicht falsch. Das semantische Feld ist heutzutage schon so breit, 5 dass es fast unmöglich ist, keine gültige Malerei zu produzieren. Die Fehler von gestern produzieren die richtigen Bilder von heute. Vielleicht ist es gerade diese Einsicht, dass Fehler, wie schon John Cage sagte, eine Fiktion sind, 6 die Hofer dazu brachte, den Fehler zumindest als Motiv ins Zentrum von „All Ways going Nowhere“ zu rücken. Die Bilder sind natürlich auch nicht falsch und zeigen vielleicht einen Weg, der nicht ins Nichts führt, sondern an einen künstlerisch „richtigen“ Ort.

1 Bröckling, Ulrich: Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Suhrkamp. Frankfurt am Main 2007. S. 283 / 2 Melville, Herman: Bartleby the Scrivener. Bartleby der Schreiber. Übersetzung von Karlernst Ziem. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 1975. S. 30 / 3 Raunig, Gerald: Industrien der Kreativität. Streifen und Glätten 2. Diaphanes. Zürich 2012. Hinterer Umschlag / 4 Bröckling S. 71 / 5 Vgl. Metzger, Rainer: Sichtbarkeit und Evidenz. Komplize Komplexität: Zur künstlerischen Arbeit von Heimo Zobernig, in: Wiehager, Renate (Hrsg.): Heimo Zobernig. Galerie der Stadt Esslingen am Neckar. Cantz. Ostfildern-Ruit 1998. S. 8 / 6 Cage, John: Silence. 50th Anniversary Edition. Wesleyan University Press. Middletown 2011. S. 168





KURZBIOGRAPHIE

geboren 1979 in Linz, studierte Grafik und Druckgrafik an der Wiener Kunstschule und Abstrakte Malerei bei Erwin Bohatsch an der Akademie der bildenden Künste Wien, Diplom 2016. Lebt und arbeitet in Wien.

[Quelle: www.musa.at]

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last modified at 03.01.2018


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