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Ulrich Wulff. PQRS

Einladung: Ulrich Wulff. PQRS. 2018

16.03.2018 - 21.04.2018

Galerie Bernd Kugler, Innsbruck / Österreich

Der Künstler präsentiert in seiner Ausstellung PQRS kleinformatige Malereien, die man auf den ersten Blick zwei ganz unterschiedlichen Serien zuordnen kann. Bei näherer Betrachtung allerdings offenbaren sich Ähnlichkeiten und Korrespondenzen zwischen eher abstrakten und eher figürlich-erzählerischen Bild-Formeln.



Die gegenstandslosen, ´strengeren´ Bild-Typen sind Querformate mit einem spiegelbildlich angelegten Schema: In der Mitte befindet sich ein T-förmiger Balken, der die Komposition vertikal teilt.... Rechts und links davon erstrecken sich schlanke, rechteckige Streifen bis knapp über die Bildmitte. Die darunter befindlichen horizontalen Flächen erzeugen einen wichtigen Kontrast zu dieser vertikalen Gliederung.



Der Betrachter könnte sich hier an Malereien erinnert fühlen, die er aus der amerikanischen Kunst der 1960er Jahre kennt (Barnett Newman, Fred Sandback), bzw. an entsprechende europäische Anverwandlungen des Color Field Painting aus den 1980er und 1990er Jahren (Günther Förg, Helmut Federle).



Wer mit Ulrich Wulffs Kunst vertraut ist, erkennt aber auch das Motiv des Klaviers, das im Rahmen seiner konzeptuellen Malerei als Skulptur, als Körper in Erscheinung getreten ist. Dabei geht es unter anderem um einen vorgestellten Resonanzraum, der eine Aktivität im ´Inneren´ evozieren kann. Es schwingt etwas mit, ein vielleicht nur gedachter, ein unhörbarer Klang. Die Tastatur hingegen verweist auf das Thema Technik: die Maschine, bzw. die Mechanik, die man betätigen kann und muss, damit sich ´Etwas´ ereignet.



Die in der Bildmitte der Tastatur-Bilder angesiedelten Balken wirken jedoch als Unterbrechung eines vorgestellten Spielflusses. Hier ist ein Störfaktor, ein Riss, gar ein schwarzes Loch. Die

eigentümliche Struktur ist von einem technischen Gerät abgeleitet, dem Maschinenstenographen des Italieners Antonio Michela Zucco. Seine Erfindung wird seit 1880 im italienischen Parlament in Rom verwendet, um Reden der Abgeordneten in Echtzeit in eine kodierte Kurzschrift, bzw. durch die Erweiterung einer MIDI-Schnittstelle in Buchstaben zu übertragen.



Neben den Motiven Kommunikation, Kodierung, Extrahierung und Transformation (die man malereigeschichtlich auch auf die Abstraktion beziehen kann) eröffnet der Künstler einen historischen Diskurs, bei dem es um antike Traditionen (die Stenoschrift, die sogenannten Tironischen Noten stammen aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert), um die machtpolitische Strahlkraft des Imperium Romanum, um Sprachgebrauch in der Politik u.a. geht. Der Titel der Ausstellung, der eine Permutation der Buchstabenfolge SPQR ist, dem Hoheitszeichen eines einstigen Weltreichs, verweist in diesem Zusammenhang auf eine Identitäts- bzw. Machtverschiebung.



Eine zweite Ansammlung von Bild-Miniaturen in der Ausstellung ist durch starke Farb-Form-Kontraste und vereinfachte figurative Elemente gekennzeichnet, die zum Teil Comic-haft anmuten. Der Typus des Clowns tritt in Erscheinung – ein alter Bekannter, der sich bereits seit der Jahrtausendwende mit Unterbrechungen in Wulffs Bildwelt aufhält. Der Clown ist nicht nur eine Metapher des Künstlers und gesellschaftlichen Außenseiters (siehe z.B.: Heinrich Böll: Ansichten eines Clowns), sondern zugleich ein Bild des ´wirklichen´ Menschen. Paradoxerweise braucht es Maskierung und Rollenspiel, um den ´eigentlichen´ Menschen im Rahmen eines Abstraktionsvorgangs bloßzustellen. Die Erkennungsmerkmale des Clowns verselbstständigen sich dabei als autonome Elemente. Seine runde Nase erscheint als ´freischwebende´ Kugel im Bildraum; seine verlängerten Wimpern strecken sich fühler- oder gar tastaturartig zu einer intensivierten Wahrnehmung aus.



Mit den unterschiedlichen Sujets tritt stets eine Dualität in Erscheinung: In der Regel stehen sich

zwei Figuren gegenüber, begegnen und beobachten sich, mit dem Potential einer Kontaktaufnahme; oder es handelt sich um ein ´multiples Ich´, das ´Zwiesprache´ hält. Die in Profilansicht dargestellten, schablonenhaften Figurationen lassen den Betrachter außen vor – er ist bloß Zeuge von dem, was sich ereignet.



In der Ausstellung PQRS offenbart die Zusammenführung der figurativen Gemälde mit den eher

abstrakten Bildformeln trotz aller Unterschiede auch prinzipielle Gemeinsamkeiten: Sie sind, mal mehr und mal weniger formal bestimmte, polare oder spiegelbildliche Konstellationen, bzw. spannungsvoll inszenierte Identitätsbefragungen.



Dualität herrscht jedoch nicht nur innerhalb der Bilder, sondern spielt auch in einem größeren Kontext eine Rolle. Malereigeschichte – insbesondere die der Abstraktion seit Kasimir Malewitsch und Piet Mondrian – trifft auf einen technologiehistorischen und zugleich gesellschaftsbezogenen

Diskurs. Als verbindender Aspekt tritt sowohl mit der Stenographie als auch mit der Frage des Bildgegenstands das Moment des Substrats in Erscheinung. Ulrich Wulff fusioniert einhundert Jahre nach den formalen ´Erfindungen´ der künstlerischen Avantgarden, und im Bewusstsein dessen, was sich in der Zwischenzeit ereignet hat, malerei-immanente Aspekte und konkrete Bedeutungsebenen aus Geschichte und Gegenwart. Beide Dimensionen – die man verkürzt als Kunst und Wirklichkeit bezeichnen kann – werden sowohl einander angenähert und miteinander zur Deckung gebracht, als auch gegeneinander ausgespielt. Diese pendelartig bewegte, niemals zur Ruhe kommende Spannung aus Immanenz und Kontextualität gilt es für den Betrachter nachzuvollziehen, wenn er oder sie sich der Vitalität nähern will, die Wulffs künstlerischer Arbeit inne wohnt.



Thomas Grötz


[Quelle: Einladung]

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last modified at 03.01.2019


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