Database > Exhibition / Event > Two Sophisticated Austrian Artists in Self-Portraits

Two Sophisticated Austrian Artists in Self-Portraits

Einladung: Two Sophisticated Austrian Artists in Self-Portraits. 2018

27.01.2018 - 17.03.2018

Galerie Lisi Hämmerle, Bregenz / Österreich

„ICH … und die Kamera“

Der Kontrast zwischen dem vergleichbar jungen fotografischen OEuvre von Sabine Groschup und dem in bald 40 Jahren analoger Fotografie auf u¨ber siebzigtausend Kleinbildnegative angewachsenen Werk von Paul Albert Leitner, ist auf den ersten Blick erkennbar. Während Leitner, der klassisch ausgebildete Fotograf, sein universelles fotografisches Programm von Kunst und Leben mit formaler Strenge und akribisch-genu¨sslicher Detailversessenheit verfolgt, kommt Groschups ruhelose Digitalkamera im Alltäglichen und in jeder Beziehung forschend zum Einsatz; egal ob sie ihren Apparat auf sich selbst oder auf andere(s), nahezu alle(s) lenkt – spätestens hier treffen sich die beiden Tiroler Ku¨nstler u¨brigens.... Formale Aspekte und „Schulen“ – fu¨r Leitner durchaus von Bedeutung – sind ihre Sache eher nicht.

Spielen in Leitners Selbstporträts Inszenierung, Pose, (s)ein Hang und seine Lust zur Extrovertiertheit sowie der obligatorische „Foto-Anzug“ eine besondere Rolle – gerne und in schöner Regelmäßigkeit kombiniert mit originellen Fundstu¨cken (Requisiten) oder anderen surrealen Elementen – surreal ist eines der ihm von seiner Ausstellungspartnerin aufgestickten Lieblingsworte in „Collaboration-Work“ –, stehen Groschups Selbstporträts und Werkzyklen mit Selbstbildnissen fu¨r Introspektion und eine ausgeprägte Selbstbewusstheit (self-awareness). Dabei kommt der von ihrer Lehrerin Maria Lassnig beschriebene und u¨ber Jahrzehnte malerisch und auch filmisch verfolgte Ansatz der „body awareness“ und „body sensation“, von „Körperbewusstsein“ und „K.rpergefu¨hl“ zum Tragen. Wie in ihren fru¨hen, handgemalten Animationsfilmen und Folienmalereien wird er von der Fotoku¨nstlerin Sabine Groschup aufgenommen, jedoch mit der Kamera vollfu¨hrt und in unterschiedlichsten Formaten und Bearbeitungen präsentiert. Das wiederum zieht sich durch das gesamte bildnerische Schaffen von Groschup: Der uneingeschränkte Einsatz von Medien und Techniken einhergehend mit der Erforschung ihrer ku¨nstlerischen Potentiale. Sie ist ganz und gar Medienku¨nstlerin so wie Leitner den Ku¨nstler-Fotograf par excellence repräsentiert, der „Kunst ist Leben“ proklamiert und zum Beweis dafu¨r sein Leben zur Kunst (v)erklärt.

(Auszug aus einem Katalogtext in Progress von Georg Weckwerth)


SABINE GROSCHUP / PAUL ALBERT LEITNER
TWO SOPHISTICATED AUSTRIAN ARTISTS IN SELF-PORTRAITS

„Haben Sie sich schon einmal selbst fotografiert?“ Aktuell ein Anachronismus das zu fragen. Die Frage könnte daher nur lauten: Wann haben Sie sich zuletzt selbst fotografiert und aus welchem Grund? Aber ist das tatsächlich von Interesse? Die sozio-kulturell interessantere Frage wäre also: Wer von ihnen hat sich noch nicht selbst fotografiert, und warum?

Das Einfrieren des eigenen „Ichs“ mittels Fotografie ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Und unsere Spezies scheint geradezu auf die „smarte“ Möglichkeit gewartet zu haben, das eigene Ich laufend ins rechte Licht und in den Mittelpunkt zu ru¨cken. Das Ergebnis: eine Mega-Flut von Selbstbildnissen, die die Wahrnehmung des eigenen Selbst (enorm) verändert.

„Two Sophisticated Austrian Artists in Self-Portraits“ – als Wanderausstellung angelegt – widmet sich dem fotografischen Selbstporträt aus ku¨nstlerischer Perspektive. Die Schau bewegt sich bewusst im Fahrwasser der massenhaften Ich-Beschau – ohne dieses Phänomen direkt zu thematisieren. Dazu passend vereint das Ausstellungsprojekt Einzel- respektive Ich-Präsentationen von zwei sehr unterschiedlichen, national wie international gefragten österreichischen Ku¨nstlerpers.nlichkeiten. Sie hat ihn schon lebensgroß gemalt. Er hat sie bereits mehrfach porträtiert. Solistisch stellen sie zum ersten Mal gemeinsam aus. Der eine, Paul Albert Leitner, Jahrgang 1957, fotografiert sich selbst – analog – seit u¨ber 30 Jahren. Die andere, Sabine Groschup, Jahrgang 1959, wurde im Studium der Malerei bei Maria Lassnig zur Selbstbetrachtung „erzogen“ und selbstporträtiert sich bis heute malerisch/zeichnerisch. Fotografisch bannt sie ihr Selbst wieder, seitdem sie ohne eigenes Zutun vor einigen Jahren eine nunmehr filmlose, digitale Spiegelreflexkamera in die Hände bekam.

Das ku¨nstlerisch-fotografische Selbstporträt, konzeptuell durchdacht, sorgsam geplant, fortlaufend vollzogen und durchdrungen von kreativem Sendungspotential versus dem Tsunami von Ich-Bildern aus 1000 und meist (k)einem trifftige(re)n Grund als … Nein, nicht „Was oder wer bin ich?“ – das wäre tatsächlich spannend – sondern ganz profan: „Das bin ICH! ICH war hier!“

Gar nicht Ich-bezogen findet „Two Sophisticated Austrian Artists in Self-Portraits“ seinen Ausgangspunkt im zweiteiligen „Collaboration-Work“ (2015/16), einer ungewöhnlichen, raffiniert angelegten und umgesetzten Gemeinschaftsarbeit von Sabine Groschup und Paul Albert Leitner. Ihre unu¨bersehbare Uneigennu¨tzigkeit wird durch die vertiefte Auseinandersetzung des einen mit dem anderen und dessen Werk im doppelten Sinne verstärkt und steht konträr zum Habitus des Narzissten, des vermeintlich Selbstverliebten im klassischen Selbstporträt.

Fu¨r das einzelne Werk – inszeniert, realisiert und präsentiert im Stile des britischen Ku¨nstlerpaars Gilbert & George („die unter Anwendung vieler ku¨nstlerischer Techniken und Mischformen und mit dem Anliegen eine niederschwellige, einfach verständliche „Kunst fu¨r alle“ zu schaffen, vor allem sich, ihr Leben, ihre Gedanken und Gefu¨hle in großformatigen Werken inszenieren“) – u¨berarbeitete der jeweils andere das Selbstporträt der/des Kollegin/en mit nicht-fotografischen Mitteln, bevor daraus neue Fotoarbeiten entstanden.

Sabine Groschup bestickte Paul Albert Leitners Ganzkörper-Selbstporträt im mit Hirschhornknöpfen besetzten Trachtensakko mit zu langen Ärmeln, kombiniert mit stilbrechender Krawatte, mit Lieblingsworten des Ku¨nstlers wie „Odyssee“, „Paris“, „Dollar“, „daydream“, (…). Sie unterlegte es zudem mit der Nationalflagge seines Sehnsuchtstaates Kuba und verewigte zu guter Letzt auch noch Leitners auf sich selbst gerichtete Canon-Kamera samt Stativ.

Paul Albert Leitner beklebte Sabine Groschups von ihm arrangiertes (Selbst)Porträt mit knallbunten papierenen Formen, Notizblockabrisskanten, Airmail-Chevronwinkeln und Schnittmusterstreifen in Anspielung auf die auch als Trickfilmerin, Schriftstellerin und mit Textilien arbeitende bildende Ku¨nstlerin. Er transformierte ganz bewusst ihr Selbstbildnis im gelben Kleid auf schwarzen Basics zu „Pop Art“ – eine wichtige Inspirationsquelle fu¨r Leitner und Referenzkunst fu¨r beide Kunstschaffende.

Das „Collaboration-Work“ made by Groschup & Leitner ist ein kraftvolles Signal. Es steht als singuläres Werk im Zentrum von „Two Sophisticated Austrian Artists in Self-Portraits“ exemplarisch fu¨r ein Mehr an Miteinander versus der aktuell grassierenden, allgemeinen Ich-Bezogenheit, auch in der Kunst.

Dem Selbstporträt inhärent sind Selbstbetrachtung, Ich-Befragung, Selbstdarstellung. Mit ihren Präsentationen richten sich beide Ku¨nstler mit ausgestreckter Hand an den Betrachter. Dieser ist eingeladen mit auf die Reise zu gehen, diesen intimen Prozess zu begleiten und wie bei Gilbert & George „Leben, Gedanken und Gefu¨hle“ der Ku¨nstler nachzuvollziehen. Mit welcher Erkenntnis, auch fu¨r das eigene Selbst, das obliegt naturgemäß „dem Auge des Betrachters“.

Unter dem Titel „Selbstporträts (Déjà-vu)“ sind 43 sorgsam ausgewählte, analoge Farbfotografien aus eineinhalb Jahrzehnten von Paul Albert Leitner in der Ausstellung versammelt. Die ju¨ngsten Aufnahmen entstanden 2015 während einer Artist-in-Residence in London. Einen größeren Block bilden sogenannte „erweiterte Selbstporträts“, in denen zwei sich aufeinander beziehende Einzelsujets als Diptychen installiert werden. Wie die beiden Aufnahmen „‘Daydream’, Self-Portrait, Hua Tong Xin Hotel, Room No 1309, Beijing, China 2010“ und „Beijing, China 2010“. Im Querformat der Ersten liegt der Fotograf im weißen Hemd und mit weißen Baumwollhandschuhen ru¨cklings auf einem weißbetuchten Bett. Seine Augen sind hinter einer knallroten Schlafmaske verborgen. Das Rot findet sich als Farbtupfer in dem kugelförmigen Dru¨cker eines der beiden Kugelschreiber wieder, die in der Brusttasche des Ruhenden stecken. Im Hochformat der zweiten Aufnahme ist im Gegenlicht die Spitze eines Strommasten zu sehen wie man ihn aus Asien kennt, mit einem Wust an schwarzen Leitungen und Kabeln. Leitners Tagtraum. Eine andere Besonderheit sind „Doppelporträts“, ein eigener Werkkomplex in Leitners Rubrikensystem fotografischer Themen. Sie sind als Unterrubrik der Hauptrubrik „Selbstporträt“ zugeordnet. Ein solches Doppelporträt („Selbstporträt mit Sabine Groschup, Weiden am See, Burgenland, Österreich 2015“) vor rot-weißroter Fahne, steht am Beginn seiner Präsentation. Ein analoges Making-of Foto der Doppelporträt-Session mit der Ausstellungspartnerin im Burgenland ist im Übrigen das Sujet der Ausstellung.

Demgegenu¨ber steht die Präsentation von auf Fotografie basierender Werkkomplexe oder Werkzyklen der letzten Jahre von Sabine Groschup. Sie werden in unterschiedlichsten Formaten, Formationen und Präsentationsformen in der Ausstellung installiert. Darunter das 12-teilige „PRÄSENZ“ (2012), eine Doppelporträtreihe aus eigenem Selbstporträt und einem auf die Fotoleinwand gestickten, sich wie in einer filmischen Bewegung mehr und mehr in das jeweilige Sujet hineinschiebenden Körpers. Oder die eineinhalbminu¨tige Animation „UNTERWEGS“ (2012), gestaltet aus rund eintausend Selbstporträts der Ku¨nstlerin, die im fast täglichen Rhythmus innerhalb eines Jahres entstanden. Erstmals zu sehen sind großformatige Pigmentdrucke, in denen jeweils mehrere Selbstporträts kombiniert mit assoziativem Bildmaterial wie Wolken, Pflanzen, Architekturdetails etc. zu einer mittels Zufallsprogramm angeordneten Bildkomposition verschmelzen (2016). Die beiden Arbeiten „Passbildlyrik (ohne Worte)“ und „Ausweislyrik (schneeweißes ruhendes Meer)“ sind eigens fu¨r die Ausstellung entstanden. „Passbildlyrik“ geht dabei mittels von der Ku¨nstlerin gefalteter Papierschiffchen-Edition (250 + 25 AP) auch auf Reisen. Eine Auswahl von Aufnahmen einer länger zuru¨ckliegenden, geschlossenen Serie von Selbstporträts, die noch analog fu¨r den fu¨nfminu¨tigen Animationsfilm „Ghosts – Nachrichten von Wem“ (2000) realisiert wurden, ist als Bindeglied zu den analogen Fotoarbeiten von Leitner zu sehen, der – O-Ton Leitner – „in der digitalen Welt noch nicht angekommen ist (Stand 2016)“. Groschups Präsentation trägt in Referenz an ihre Lehrerin Maria Lassnig den Titel „Self-awareness (u. dgl.)“.

Formal unterscheidet sich die zur Ausstellung kommende Fotokunst von Sabine Groschup und Paul Albert Leitner unu¨bersehbar. Doch jeder fu¨r sich und beide gemeinsam treffen mit der ganzen Wucht ku¨nstlerischer Inspiration und Durchdringung den Nerv einer fu¨r die Konzeption der Ausstellung maßgeblichen Intention: In Zeiten von „Selfie-Mania“, ja eines regelrechten Selfie-Wahns(inns), einhergehend mit der bereits erwähnten oberflächlichen, oft penetranten Ich-Bezogenheit, bedeutet ein wirkliches Selbstporträt mehr als nur sich selbst zu fotografieren. Dort die besagte und zu beklagende Bilderflut der meist sofort geposteten „Hier-bin-ICH“-Belanglosigkeit. Hier die wohlu¨berlegte, konzeptuelle, manchmal intuitive Selbstinszenierung und die forschende Selbstbetrachtung einhergehend mit Selbstreflexion: Das Nachdenken u¨ber das eigene ICH in einem größeren Zusammenhang … im Auge der Kamera… beim Dru¨cken des (Selbst)Auslösers.

Georg Weckwerth, August 2016


[Quelle: https://www.galerie-lisihaemmerle.at]

READ MORE


show all
close all
+
Participants
[3]

No result

+
Archival documents
[1]

     

last modified at 22.02.2019


Art and Research Database - basis wien