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Tim Plamper. Reflection is a Wall

24.01.2019 - 02.03.2019

unttld contemporary, Wien / Österreich

Jenseits meines bloßen Körpers liegt eine Zukunft
Lara Konrad. Übersetzt von Jennifer Segebrecht

Letzten Endes beschließe ich, mich auf den Rand meines Hotelbettes zu setzen und mich zu fingern, in der Erwartung, es werde mir das Gefühl geben, ich könne zu der Welt da draußen gehören, deren Teil ich in den letzten Tagen wurde, seitdem ich in dieser befremdlichen Stadt angekommen bin, die bislang zu nichts von mir selbst geworden ist.
Ein Ort, der erinnerungslos ist, weil er neu ist und daher leer an Bedeutung, ist ein Ort, der stillschweigend grausam ist in seiner scheinbar ewigen Gleichheit.... Und diese Art der Betäubung fühlt sich immer an, als würde sie ewig währen. Es ist lustig und grausam, aber mehr noch, denke ich, ist es seltsam, wie wir immer nur für die Erinnerung an alles leben. Fühle ich mich bloß deshalb sinnlos in diesem Hotelzimmer, in dieser Stadt, weil mich kein Ort hier die Vergangenheit lieben und somit meine Zukunft lieben lässt? In Erwartung neuer Welten war ich bislang am glücklichsten, denn die Sinnhaftigkeit ist es, die uns in den Momenten am Leben erhält, in denen wir vergessen, dass wir immer schon verendet sind.
Ich reibe meine Finger an den Wänden meiner Fotze, schnell und hart und ohne Gefühl. Als wäre mich zu fingern das Ein­zige, was ich tun kann, wenn ich mich auf meinen Körper besinnen möchte, der am Leben ist, doch irgendwo weit entfernt und vielleicht nicht mehr menschlich erreichbar. Woher wissen wir, dass wir leben, gerade genug leben, dass es bedeutet, wir seien tatsächlich echt in unserem Wesen? Ich fingere mich härter und schaue aus dem Fenster, ohne wirklich irgendwo hinzuschauen. Autos und Menschen, sie kommen und gehen. Die Feindseligkeit unserer gleichzeitigen Existenz überwältigt mich plötzlich. Während ich versuche, mich in diesem Hotelzimmer selbst zu ficken, rinnen die Menschen dort draußen durchs Leben wie Wasser. Diese gewaltige Distanz, die inmitten unserer räumlichen Nähe haust – die Absurdität all dessen. Wir sind zusammen, aber wir sind in einer solch kollektiven Vereinzelung zusammen, dass ich nicht weiß, wie ich bewusst aufhören kann, zu dieser mir innewohnenden Einsamkeit zu gehören, die überall dort zu brüten beschließt, wo ich existieren will. Immer nur dann, wenn die äußere Welt Teil unserer eigenen Welt wird, denke ich, beginnt die menschliche Einsamkeit sich auszubreiten. Schnell und herrlich real, jeglichen Sinn aus unseren Knochen entleerend. Wie uns doch die Gegenwart von Menschen immer schon jede Art existenziellen Schmerzes nehmen konnte, während sie uns gleichzeitig daran erinnert, dass wir auf ewig hoffnungslos in unserer Individualität sein werden. Ich glaube, deshalb sind wir in den warmen, unmöglichen Armen der Natur fähig, mit unserer menschlichen Wahrheit fortzufahren, ohne dass die Bedeutung ins Wanken gerät. Die Stadt ist der Ort, an dem wir realisieren, dass wir nichts von all dem jemals entkommen sind. Ich will mit meinen Fingern kommen, während ich auf dem Rand meines Hotelbettes sitze, weil es beweisen wird, dass ich mir ein Zuhause in meiner ureigenen Zerbrechlichkeit schaffen kann. Mein Zuhause ist mein Körper, in dem das Verlangen nach mir selbst – und nur nach mir selbst – wachsen kann und so sehr weiter wachsen kann, dass ich mich für einen Moment vollständig in meiner menschlichen Unvollständigkeit fühlen werde, auf einmal vergessend, wie es ist, immer jemanden gebraucht zu haben. Ich will kommen, damit ich leben kann. Und ich will jeden Tag so leben, als würde nichts von all dem bestehen bleiben.
In den Momenten, in denen es mir Angst machte, lebendig und am Leben zu sein, war es nicht die Zukunft, die mich in der Gewissheit meiner Wirklichkeit gelähmt hat. Während der wenigen und vielen Male, die ich an Hoffnungslosigkeit gestorben bin, war es immer die Gegenwart, in der ich am gegenwärtigsten war. Auf dieselbe Weise passiert es genau jetzt, genau hier. In diesem Hotelzimmer, das in dieser Stadt ist, die in diesem Land ist, das in diesem Leben ist, das ich lebe, aber von dem ich nicht weiß, wie ich dazugehören kann. Das letzte Mal, als ich wissentlich irgendwo dazugehört habe, war, als meine Mutter und ich ins Auto stiegen, während wir uns von meinem Onkel und seiner Frau verabschiedeten. Und ich fühle mich schlecht, weil ich nicht wirklich erklären kann, warum. Es hatte etwas mit dieser enormen Schwelle zwischen seiner und unserer Realität zu tun – ich konnte lebhaft spüren, wie es sich entfaltete, einen bestimmten Sinn von Freiheit in meiner Sehnsucht errichtete, der sich plötzlich materialisierte und ich wollte nichts, als weiterhin meine Vergangenheit zu begehren, die auf einmal eine so liebenswerte Vergangenheit war. Menschen, was für komplexe Biester wir vom Moment unserer Geburt an sind. Denn nichts fühlte sich tröstlicher an, als die Misere meines Onkels zurücklassen zu können, mir des unfassbaren Glücks bewusst, das das Leben zu dem macht, was es ist. Diese unerwartete, süße Zuflucht, die seine Misere meiner damaligen Kinderwelt gewährte. Und auf gewisse Weise war ich so dankbar. Jahre sind vergangen und inzwischen weiß ich, wie es ist, diese Art von vorübergehendem Zuhause in anderen errichtet zu haben. Es fühlt sich so schrecklich real an, Menschen, die plötzlich realisieren, dass sie bessere Menschen sind.
Ich fühle, höre vielmehr die zunehmende Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen, meinen Fingern und meiner Fotze. Wasser, es beginnt zu fließen, weil das Leben nah ist. Es liegt eine solche Zärtlichkeit darin zu wissen, dass der Körper im Begriff ist, von sich als Körper abzulassen, gleich nachdem er es am meisten war. Muskeln lassen nach. Der Verstand ist weder Erinnerung, noch ein Neubau aus Fragen, der ununterbrochen zusammenbricht, weil unsere Wahrnehmung des Lebens sich fortwährend ändert. Jetzt, mit nichts als dem Willen zu kommen, weil ich weiß, dass ich kommen kann, ficke ich mich am härtesten, denn alles, was ich will, ist überleben.
Ich komme, und während ich komme, bin ich mir nicht sicher, ob auch nur irgendetwas davon bedeutet, dass ich mich verändert habe. Da draußen weiß immer noch jeder, wie man lebt, und hier drinnen habe ich währenddessen alles, was ich bin, erschöpft, ohne eine neue Art von Geschichte zu beginnen, die zu einer anderen Art von Ende führt. Wie kann ich meine höchstmögliche Realität hinauszögern, wenn sie nicht einfach immer nur zu bleiben wünscht? Ich will gut darin sein, zu leben, nicht einfach nur besser. Und vielleicht beginnt und endet es genau hier – in diesem meinem Leben, das immer nur fragen wird, was es bedeutet, überlebt zu haben, wenn zu leben das Einzige war, was ich jemals getan habe.


[Quelle: Einladung]

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last modified at 16.05.2019


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