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Pauline Boudry / Renate Lorenz. Silent Manifesto

16.12.2021 - 26.02.2022

Kunstraum Innsbruck, Innsbruck / Österreich

Silent Manifesto zeigt drei Filminstallationen, die anlässlich der Ausstellung im Kunstraum Innsbruck in eine neue Choreographie eingebunden werden. Die Installation inszeniert eine Konversation der Kunstwerke rund um Transparenz und Opazität, Unsichtbar-Werden und Die-Stimme-Erheben. Zwischen Stille, Rede, Musik, Camouflage, Kriegszustand und Asyl navigierend schlagen Pauline Boudry und Renate Lorenz vor, Bilder von Ästhetik und Politik mit einer Aufmerksamkeit für Ambiguitäten und Paradoxe zu entwerfen....

Ein verlassenes öffentliches Bad wird zum „Safe House“ und zur Bühne für eine Gruppe von geflüchteten Aktivist*innen, während die Szene langsam hinter einer Reihe von Vorhängen und dichtem Rauch zu verschwinden beginnt (Opaque). Eine Musikerin interpretiert John Cages Werk 4’33’’ indem sie Stille performt und dann einen Song über Komplizenschaft, Terror und das Überleben von Transgender-Personen an genau jener Stelle, an der sich zwischen 2012 und 2014 ein Refugee Protestcamp befunden hatte (Silent). In einer neongrünen „Uniform“ performt eine Person auf einer Flugzeug-Start- und Landebahn den Text der Internationalen Flüchtlingskonvention von 1951, während die menschliche Stimme langsam in eine Komposition elektronischer Musik übergeht (The Right To Have Rights). Kann Stille gleichzeitig Effekt von Unterdrückung und machtvoller performativer Akt des Widerstands sein? Wie können wir etwas Rauch in unsere Beziehungen lassen, der das Begehren nach Verstehen, nach Mauern der Trennung und Einhegung, nach einem richtigen Feind vernebelt?

Pauline Boudry und Renate Lorenz arbeiten mit Video und Film, eng verknüpft mit Performance: einerseits engagieren sie Protagonist*innen, die Musiker*innen, Choreograf*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen sind, als Performer*innen; andererseits situieren sie die Performances an der Grenze von Bühne und Off-Stage. Das Imaginäre verbindet sich mit dem Realen, was ihre Praxis im Raum zwischen konzeptueller Kunst, queerer Kultur und sozialen Bewegungen situiert. Die Performer*innen Aérea Negrot (Silent), Ginger Brooks Takahashi und Werner Hirsch (Opaque) oder MPA (The Right to have Rights) sind Gefährt*innen der Künstlerinnen. Die Arbeiten von Pauline Boudry und Renate Lorenz bilden einen Resonanzraum für Prozesse künstlerischer Produktion, die beteiligend, einladend und herausfordernd sind. Die im Kunstraum Innsbruck präsentierten Werke bringen ein Set von Referenzen, die eine Intertextualität zwischen den Vorschlägen der Künstlerinnen und historischen Arbeiten von John Cage, Édouard Glissant, Jean Genet u.a. entstehen lassen.

Neben den Filmen auf transparenten und semi-transparenten Screens, durch die das Publikum Teil der „Bühne“ wird, zeigt die Ausstellung auch eine Installation aus künstlichem Haar mit dem Titel Wig Piece (I Feel My Story´s Still Untold), 2021. Das Objekt evoziert einen Moment des Dazwischen, zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit, in Verbindung zu Körpern genauso wie zu der Geschichte der Skulptur. An der Wand platziert, kann Wig Piece etwas jenseits von Weiblichkeit, Drag oder Trans-Identität bezeichnen, es kann aber auch als ein Zeichen der Ablehnung und des Widerstands gegen das Kategorisiertwerden gelesen werden und eine Verbindung zu Strategien der Un/Sichtbarkeit darstellen.

Text: Ivana Marjanovic





Artists’ statements / Über die Kunstwerke

Opaque

Installation, mit Super 16mm / HD, 10 min. 2014
Performance: Ginger Brooks Takahashi, Werner Hirsch

Ein Vorhang, zwei Performer*innen, in den Überresten eines alten öffentlichen Swimmingpools. Die Performer*innen behaupten, Repräsentant*innen einer Untergrundorganisation zu sein. Der Vorhang stellt die Anonymität der Performer*innen her. Das Publikum ist schon lange gegangen, der Ort wirkt verlassen. Sobald der Vorhang gelüftet wird, erscheint ein weiterer. Dieser Vorhang, pinkes Zebramuster, verbindet die Kriegstechnik der Camouflage mit der Stylishness von schwulen Outfits und wird zum Showcase für eine Menge Rauch. Der dichte Rauch ist vielleicht die Folge von Bombardements oder er könnte ein Signal auf einer politischen Demonstration sein. Später ist eine Rede zu hören, basierend auf einem Text von Jean Genet. Das Thema? Der Wunsch nach einem echten einwandfreien Feind. Es geht um die Frage, wie man einen Krieg oder Widerstandskampf führt, ohne einen deklarierten und „sichtbaren“ Feind.
Verleihen die Vorhänge und Rauchwolken den Körpern, die sie verbergen und einhüllen, das Recht auf Opazität (Édouard Glissant)? Oder verwischen sie die trennenden Linien zwischen dem Gleichen und dem Anderen, zwischen Kompliz*innen und Feind*innen?

Kamera: Bernadette Paassen
Ton: Johanna Wienert
Set-Fotografie: Andrea Thal
Farbkorrektur: Matthias Behrens (Waveline)
Sound Design: Rashad Becker



Silent

Installation, HD, 7 min., 2016
Performance: Aérea Negrot

Silent startet mit einer Interpretation von John Cages Werk 4‘33‘‘ aus dem Jahr 1952. Die Partitur ist für welches Instrument auch immer entworfen und weist die Performer*innen an, ihre Instrumente nicht zu spielen während der gesamten Dauer der drei Teile von 30‘‘, 2‘23‘‘ und 1‘40‘‘. Die Musikerin Aérea Negrot performt die Partitur auf einer rotierenden Bühne am Oranienplatz in Berlin, wo sich zwischen 2012 und 2014 ein Refugee Protest Camp befand. Im zweiten Teil des Films singt sie einen Song, der für den Film komponiert wurde. Stille ist als gewaltsame Erfahrung im Sinne von Zum-Schweigen-gebracht-Werden beschrieben worden, oder als machtvoller performativer Akt des Widerstands, wie ihn weltweit Bewegungen des Ungehorsams praktizieren. Silent lotet aus, wie beide Momente miteinander verschränkt sind. Der Film fokussiert auf eine Performance von Stille, die Handlungsmacht, Stärke und sogar Vergnügen mit sich bringt, ohne die Spuren von Gewalt und Verletzlichkeit zu löschen. Silent setzt auf einen Dialog zwischen Schweigen und Die- Stimme-Erheben im Wunsch gehört zu werden, anstatt diese als einander ausschließende Gegensätze zu betrachten.

Musik; Miguel Toro und Aérea Negrot
Kamera: Bernadette Paassen
Ton: Felix Andriessens
Make-up: Nuria de Lario
Farbkorrektur: Matthias Behrens (Waveline)
Sound Design: Rashad Becker



The Right To Have Rights

Installation, HD, 8 min., 2019
Performance: MPA

The Right to Have Rights zeigt eine Peformer*in, die den Text der sogenannten Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 spricht, ein Protokoll, in dem 145 Staaten geflüchteten Menschen weitreichende Rechte garantieren und das – theoretisch – bis heute gilt. Anstatt diese Rede in einem Vorlesungssaal vor einem Publikum zu halten, wird sie hier auf eine leere Start- und Landebahn am ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin verlegt. Die Rede der Performer*in wurde teilweise digital bearbeitet und wird zu einem elektronischen Musikstück oder zu einem Song. Wer wird als „menschlich” angesehen und wem werden Rechte zugestanden?

Kamera: Bernadette Paassen
Dronen-Operator und DP Assistent: Daniel Liepke
Ton: Claudia Mattai del Moro
Make-up: Nuria de Lario
Color Grading: Waveline
Sound Design: Rashad Becker



Pauline Boudry

und

Renate Lorenz

sind Filmemacherinnen und bildende Künstlerinnen, die seit 2007 in Berlin miteinander arbeiten. Letzte Einzelausstellungen: Frac Bretagne (2021); Julia Stoschek Collection (2019), Berlin; Schweizer Pavillon, 58. Venedig Biennale (2019); Centre Culturel Suisse Paris (2018); CAMH Houston (2017); Kunsthalle Zürich (2015) Kunsthalle Wien (2015); Badischer Kunstverein (2013); CAPC Bordeaux (2013); South London Gallery (2012); Centre d´Art Contemporain Geneva (2011). Pauline Boudry und Renate Lorenz nahmen an zahlreichen Festivals und Gruppenausstellungen teil, zuletzt The Centre Pompidou (2021); Seoul Mediacity Biennale (2021).

Mehr Informationen: https://www.boudry-lorenz.de/


[Quelle: https://web.archive.org/save/https://www.kunstraum-innsbruck.at/archiv/ausstellungen/pauline_boudry_renate_lorenz]

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