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Marianne Vitale. Huey, Dewey & Louie

14.09.2013 - 25.10.2013

Kunstraum Innsbruck, Innsbruck / Österreich

Die in New York lebende amerikanische Künstlerin Marianne Vitale (*1973) zeigt im Kunstraum Innsbruck ihre erste Einzelausstellung „Huey, Dewey & Louie“ in Österreich. Der Titel bezieht sich auf die Vornamen der drei Neffen von Donald Duck – die uns im Deutschen als Tick, Trick & Track bekannt sind – und steht assoziativ für die Anzahl der Skulpturen in der Ausstellung, ohne dem jedoch weitere Bedeutung zu geben. In der Ausstellung entwirft die Künstlerin ein komplexes System von kunsthistorischen und gesellschaftshistorischen Referenzen, anhand derer sie die Sozialisation künstlerischer Praxis untersucht....
Die Skulpturen bestehen aus Holz und Metal und zeigen unterschiedliche Brückenmodelle, die jeweils von einer Grillkonstruktion getragen werden. Die Modelle entsprechen den realen Brücken, die zur Erschließung Nordamerikas im 18. Jahrhundert errichtet wurden. Zur Gewährleistung der Stabilität der Brücken war es notwendig, sie mit einer Überdachung vor Wasser und schlechter Witterung zu schützen, da die Holzbauweise erst im 19. Jahrhundert durch die Verwendung von Eisen und Beton abgelöst wurde. Nur eine der Brücken zeigt den Übergang von der Holz- auf die Stahlbauweise bzw. den Architekturtyp der klassischen, aus Holz gebauten Eisenbahnbrücke. In diesem Sinn zitiert auch der Grill ein archetypisches Symbol nordamerikanischer Kultur. Er steht für die Lagerfeuer und den unbändigen Durst nach Freiheit und Abenteuer der Cowboys, die auf den Veranden und in den Gärten als maskuline und domestizierte Gegenwart weiter leben. So sammelt die Künstlerin auch ihre Freunde um sich, um in der weiten Natur gemeinsam das Verbrennen des Holzmodells zu begehen. Damit gibt Vitale dem Akt etwas Magisches und Verbindendes, aber ergründet im Ritual auch die Heterogenität und die Brüche der längst vergangenen Volkskultur.
Die Künstlerin setzte die Modelle bewusst dem Feuer aus. Die vormals solide Konstruktion weicht dem zur Kohle reduzierten Holz, obwohl der Grill keinen Anhaltspunkt zum Verbrennungsvorgangs der Brücke an sich zeigt, wie es die unbenützten und leeren Metallwannen belegen. Den Zusammenhang zum Verbrennen der Brücken zieht die Künstlerin aus dem weitläufig bekannten amerikanischen Zitat: „Never burn your bridges, you may need to cross them again“, was sinngemäß unserem Sprichwort entspricht: „Man sieht sich immer zweimal im Leben.“ Mit dem Verbrennen der Brücken läuft Marianne Vitale nicht Gefahr, ihre Brücken hinter sich abzubrechen, sondern stellt kritisch die Frage, aus welchem Blickwinkel der Verständniszusammenhang von Geschichte und Identität zu lesen ist.
Der Grill wird zum tragenden Sockel der Holzskulptur und gibt dem Gesamtbild Monumentalität, während die Brücke dadurch noch mehr dekontextualisiert und verkleinert erscheint. Auch wenn die Metallkonstruktion nüchtern und klar auf vier tragenden Füßen steht, ist der Versuch, diese als Zitat auf die Minimal Art zu lesen, irreführend. Die Begründung liegt in dem Verständnis der Minimal Art von Skulptur als primärer Einheit, die sich weder in additiven Elementen steigert noch durch ihre Form narrative Bezüge gibt. Das Zitat von Max Ernst bezogen auf den Surrealismus gibt eher einen Hinweis auf die künstlerische Praxis von Marianne Vitale. Das Neu-Arrangieren der Objekte ist nicht aus ästhetischen Überlegungen motiviert, sondern aus der Intention, ihnen etwas Surreales und Widersinniges zu verleihen. So formuliert auch Max Ernst in seinem surrealistischen Manifest: „Die zufällige Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf einem Seziertisch (Lautréamont) ist heute ein allbekanntes, fast klassisch gewordenes Beispiel für das von den Surrealisten entdeckte Phänomen, dass die Annäherung von zwei (oder mehr) scheinbar wesensfremden Elementen auf einem ihnen wesensfremden Plan die stärkste poetische Zündung provoziert.“[1]
Auch wenn das Feuer entsprechend der Symbolik des Phönix aus der Asche eine positive und reinigende Bedeutung erhält, steht hier nicht die Erneuerung im Vordergrund, sondern eine kritische Hinterfragung der eigenen künstlerischen Praxis. Woraus speist sich die Genese eines Kunstwerks oder die Sozialisation einer Künstleridentität? Vitale eignet sich unterschiedliche Referenzen an, ohne diese jedoch in ihren Quellen belegen oder kommentieren zu wollen. In diesem Sinne dekonstruiert Vitale mit der surrealen Kombination von Brückenbau und Barbecue die maskulinen Codes unserer Gegenwart, wie sie der Cowboy-Kultur des Lagerfeuers aber auch der amerikanischen Skulptur der Post-Moderne innewohnen, und bündelt damit deren eingeschriebene Beweislast nach Monumentalität und Überlegenheit in der Poesie des selbstironischen Scheiterns.
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[1] Ernst, Max: "Was ist Surrealismus?", in: Ausst.-Kat. Was ist Surrealismus?, Kunsthaus Zürich, 14.10.–4.11.1934, S. 3–7, in: Harrison, Charles/Wood, Paul (Hg.): Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 1, 1998, Ostfildern-Ruit, Verlag Gerd Hatje (engl.: Art in Theory 1900–1990: An Anthology of Changing Ideas, Oxford (UK) and Cambridge (USA): Blackwell Publishers, 1992).

[Quelle: kunstraum-innsbruck.at]

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last modified at 24.07.2017


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