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Maria Peters. Denn der Mensch kann nicht Hund sein. Novelle montage No 1

Einladung: Maria Peters. Denn der Mensch kann nicht Hund sein. Novelle montage No 1. 2015

30.01.2015 - 14.03.2015

Kunstpavillon, Innsbruck / Österreich

„Eine gelungene Reise entwickelt sich von selbst und endet anders als geplant.
Meine Reise durch Deutschland sollte eine Studie über die Romantik werden. All die Hundegeschichten, die mir damals begegneten, und das Bild Verlorene Hoffnung oder Das Eismeer von Caspar David Friedrich in Hamburg, führten mich jedoch zunächst nach Grönland – und immer weiter über Island nach Amsterdam, hinein in den peristaltischen Schlund Rotterdams und weiter nach Nordzypern – und irgendwann wusste ich es gewiss, wie meine Geschichte verlaufen soll....
Und erst dann, als sich das Ziel des Denkprozesses abzeichnete, bestimmte ich den inhaltlichen Bogen der Erzählung und fügte die Teile in diesem Sinn zusammen. Aber weder der Text noch das Bild sind auf einen bestimmten Ort in der Erzählung fixiert. Die einzelnen Elemente sind Begriffe, die ich immer wieder neu verwenden kann.
In meinen Ausstellungen entwickelte ich die Geschichte weiter, variierte sie, ließ sie wuchern und ausufern. Reagierte spontan auf Raum und Umgebung. In dieser Novelle montage N° 1 findet die Anordnung nun einen vorläufigen Schlusspunkt – in der Form des Buches (und der Webversionen) wird ein ganz bestimmter Moment meiner Arbeit festgehalten.“ (Maria Peters)

In der Ausstellung Denn der Mensch kann nicht Hund sein Novelle montage N° 1 im Kunstpavillon montiert Maria Peters Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken, Text- und Videoarbeiten und Objekte mit Wandzeichnungen und –texten zu einer Rauminstallation, die als begehbare Erzählung funktioniert und ergänzt durch einen Lesebereich und das Buch Denn der Mensch kann nicht Hund sein Novelle montage N° 1 Ausdruck der komplexen und gleichzeitig sehr lustvollen Arbeits- und Denkweise der Künstlerin ist.
Für die Bild-Text-Erzählmethode hat die Künstlerin eine eigene Arbeitsweise entwickelt, die es ermöglicht Raumcollagen in das Medium des Buches zu übersetzen bzw. umgekehrt Inhalte des Buches wieder in den Raum zu transferieren. Ähnlich wie Denkprozesse, die häufig nicht linear verlaufen, ist das Sampeln von Erfahrungen, die auf Reisen, in Diskussionen oder beim Lesen gesammelt wurden, eine Praxis, die sie kultiviert hat und die die RezipientInnen zum Querlesen einlädt, oder dazu anregt – um den Begriff, den Maria Peters für diese Arbeitsmethode erfunden hat, zu benutzen – eine persönliche Novelle Montage zu kreieren. Die Möglichkeit der Simultanität verschiedener Ebenen legt zudem eine Webversion mit Blog nahe, an der die Künstlerin zurzeit arbeitet, die aber bereits parallel zur Buchproduktion und der Entwicklung der Ausstellung mitgedacht wurde.
Der hier vorgeschlagene Rundgang durch die Ausstellung ist folglich eine Variante, eine von vielen Lesarten.

„Diese Geschichte beginnt im Ottoneum, einem kleinen naturhistorischen Museum in Kassel, das mit seinen knarzenden Parkettböden und labyrinthischen Räumen noch den Charme einer Wunderkammer hat.“, steht im Eingangsbereich handschriftlich unter einem Gemälde mit dem Titel Balto träumt vom Eismeer geschrieben. Ein Schlittenhund – im Buch erfahre ich über seine heldenhafte Tat – blickt von der Hafenkante auf sich kräuselnde Wellen. Das Bild ist fast ein Seestück im Sinne der Romantik inklusive eines im Untergang befindlichen Schiffes, von dem nur noch die Takelage aus dem Wasser ragt, wäre da nicht die Silhouette einer modernen Stadt.

Im linken Seitenraum lese ich den ersten Wandtext, der – wie ich vermute – von der Künstlerin selbst auf einer Reise verfasst wurde: „Wünsche schleichen sich an wie Raubkatzen. Sie zeigen sich selten direkt, sondern machen sich nach und nach bemerkbar. Sie äußern sich in Symbolen, ändern unsere Handlungen, führen uns wie von Geisterhand in Situationen oder an Orte, deren Bedeutung sich oft erst später erschließt. Und dann – ganz plötzlich – springen sie uns von hinten an.“ Ich nehme den Hinweis auf eine symbolische Ebene mit und entdecke später, dass dieser Text auch auf dem Rücken des Buches steht und somit die Herangehensweise von Maria Peters beschreibt. Auf meinem Rundgang erfahre ich nun einiges über die Lebensbedingungen der Schlittenhunde in Grönland, begegne Kuriositäten aus dem volkskundlichen Bereich und bin erstaunt darüber, wie sich das Verhältnis von Mensch und Hund im Laufe der Jahrhunderte verändert hat, worüber mir Zitate aus alten Kirchenverordnungen Aufschluss geben.

„Kann der heilige Barnabas auch Analphabeten heilen?“, steht neben dem gemalten Bild Hund im Grab des heiligen Barnabas auf Nordzypern. Der Heilige heilte Kranke durch das Auflegen des Matthäusevangeliums. Wird hier die Denkfaulheit des Volksglaubens aufs Korn genommen? Das auf einem Miniaturmonitor gezeigte Video daneben, das eine mechanisch mit dem Schwanz wedelnde Hundekrippenfigur zeigt, legt das nahe. Hinter mir an der freihängenden Wand ist das Gemälde Kojote an der Nordsee platziert. Das Tier, das an einem Stück Stoff zerrt, erinnert mich nicht zufällig an Joseph Beuys, der sich für eine Woche lang mit einem Kojoten in einen Käfig sperren ließ. Maria Peters hat die Videoarbeit auf ihrer Deutschlandreise in der Kunsthalle Hamburg gesehen und beschreibt im Buch, dass es sie besonders berührt hat, wie der Kojote um die Gunst des seltsamen, in Filzdecken gehüllten Wesens gebuhlt hat.

Inzwischen habe ich mir das Buch mit auf meinen Weg durch die Ausstellung genommen, bin auf den Geschmack gekommen und lese quer – all diese Versatzstücke aus Erlebtem und Gelesenem, die sich neu verknüpfen! Das Nachwort von Maria Peters endet aufschlussreich: „Und jedes Erlebnis und jedes Gespräch schreibt die Geschichte mit. Denn nichts geht verloren, wenn man mit einer Sammlerin spricht.“

Im hinteren Raum werden weiter die Themen Sehnsucht und Treue verhandelt. Den Cynocephalus, einen hundsköpfigen Menschen, als der gerne bekehrte Heiden, also gezähmte Wilde wie der heilige Christophorus, dargestellt wurden, kombiniert die Künstlerin mit dem platonischen Mythos des Kugelmenschen, der in zwei Hälften geteilt wurde, wodurch erotisches Begehren nach der jeweils fehlenden Hälfte erzeugt wurde. Sie erklärt die Beziehung zwischen Menschen und Hunden so, dass alle einst Kynokephalen gewesen wären und erst die Trennung in Hund und Mensch dazu geführt hätte, dass sich diese beiden Hälften seither suchen. Das Ölbild Hund in der Neubauruine und der daneben stehende Wandtext machen deutlich, dass der Hund sich, wenn er wählen kann zwischen der Gemeinschaft mit Menschen und einem Leben in der Wildnis, für die Zivilisation entscheidet. „In seinem Buch ‚Die Möglichkeit einer Insel‘ bezeichnet Michel Houellebecq den Hund als Liebesmaschine mit Umkehreffekt.“ Das Bild Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand zeigt den Autor mit seinem Hund auf der Schulter im Schlosspark von Schönbrunn, für dessen zum barocken Gesamtkunstwerk gehörenden Gartenanlagen spezielle Gerüste benötigt werden, um die Bäume und Sträucher gehörig zu trimmen.
An der Schlüsselstelle der Erzählung in der Ausstellung taucht erneut der tapfere Schlittenhund Balto auf. Wieder als – diesmal skulptural gearbeitete – Rückenfigur schaut er auf den zentralen Satz: „Denn der Mensch kann nicht Hund sein.“ Erkenntnisgewinn und Lust auf Kultur stehen über der Sehnsucht nach der Wildnis – zumindest in der Vorstellung vom Paradies der Künstlerin, die diese als das Ziel „die Nähe der Vollendung“ zu erreichen beschreibt. Die untoten Ahnen wachen über das Paradies, das Maria Peters als immerwährender Glückszustand nicht besonders erstrebenswert erscheint: „Vom Baum des Lebens konnten wir nicht mehr kosten. Die Schlange war klug genug, sich ihren Spaß mit uns zu machen: uns nur zur Erkenntnis, nicht aber zum ewigen Leben zu verführen. Doch seis drum. Das Wissen um den Tod macht uns produktiv.“ So produktiv, dass sie mit Gevatter Tod für das Bild Der Tod und das junge Mädchen sogar einen Pakt schließt und gemeinsam mit Gunter Bakay in der Sylvesternacht 2013/14 einen Globus retuschierte, indem sie alle Namen, Orte und Beschriftungen übermalten: Der zweite Versuch – Reset.
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Der Tod und das Mädchen, 2014. Foto: WEST. Fotostudio
Das Globusobjekt hat in dem kleinen Studiobereich beim Büro seinen Platz gefunden, wo auch eine Leseecke eingerichtet ist. Es steht entleert von all seinen Bezeichnungen und Einschreibungen im Gegensatz zu den umfangreichen literarischen Quellen und den Linol-Intarsien-Drucken auf Papier, die eine Art von analogem „copy and paste“ sind – eine Technik, die es erlaubt Versatzstücke wie Granatäpfel oder Mariendarstellungen in eine dystopische Urlandschaft einzubetten.

Recherchen über eine universal verständliche Sprache führen – zumindest in unserem Kulturkreis – zur Genesis und zum Turmbau zu Babel (Babel = Wirrsal). Als die Menschen begannen, den Turm zu bauen, gab es eine Weltunion: „Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte“. Womöglich, weil die Menschen sich angemaßt hatten, den Turm bis in den Himmel zu bauen, schickte Gott ihnen die Sprachverwirrung. Maria Peters, die von einer friedlichen Weltunion träumt und sich wünscht, dass die Menschheit erkennt, welche Stärke in der Einigkeit läge, macht sich an einen zweiten Versuch: Ihr babylonischer Turm ist eine instabile Angelegenheit – farblich an Bruegel angelehnt montiert sie modernistische Elemente mit Szenen, die nicht zufällig an Ground Zero und das Trauma von 9/11 erinnern. Irgendwie hat sich auch die Kon-Tiki, ein einfaches Floß, das bei einer Expedition in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts eingesetzt wurde, um zu beweisen, dass eine Besiedlung Polynesiens von Südamerika aus möglich gewesen war, in das Bild eingeschlichen.
Motive wie diese kommen häufig im Werk von Maria Peters vor: jemand bricht auf, um etwas zu erforschen, will das Eismeer malen, das Paradies oder Atlantis finden. Diese Sehnsucht die Welt zu verbessern, macht Menschen erfinderisch und schöpferisch. Diesem Gedankengang folgend trägt jeder mehr oder weniger stark eine Vorstellung vom Paradies in sich – und sei es auch die, auf fortwährendes Jauchzen und Frohlocken verzichten zu wollen und es lieber mit dem Stein des Sisyphos aufzunehmen.

„Der Drang zur Kunst ist einer der positiven Nebeneffekte des Sündenfalls. Denn im himmlischen Paradies gäbe es nichts zu tun.“

Ingeborg Erhart

[Quelle: kuenstlerschaft.at]

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last modified at 18.10.2016


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