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Zhanna Kadyrova. Alterations

27.06.2015 - 22.08.2015

Kunstraum Innsbruck, Innsbruck / Österreich

Die ukrainische Künstlerin Zhanna Kadyrova (*1982) zeigt mit Ihrer Ausstellung
Alterations (dt. Veränderung) erstmals eine Einzelausstellung im deutschsprachigen Raum. Die Arbeiten setzen sich direkt mit der politischen Gegenwart der Ukraine auseinander bzw. mit dem ideologisch und ästhetisch aufgeladenen Erbe der Sowjetzeit und dem Scheitern der Demokratiebestrebungen. Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit ist die Skulptur im öffentlichen Raum. Hieraus konzentriert Kadyrova drei Schwerpunkte: die Wahl der Materialen, das Verständnis von Volumen, Masse und Raum und die Interaktion mit dem Betrachter.... Für ihre Skulpturen und Rauminterventionen verwendet sie alltägliche Materialien, wie Asphalt, Beton, Fliesen oder Ziegeln. Die Oberflächen der Skulpturen überzieht sie mit Fliesenmosaiken, wie sie schon zu Sowjetzeiten zur Ausschmückung von Heldenporträts verwendet wurden. Die hierbei verwendeten Fliesen trotzten Wind und Wetter und sind deswegen an vielen Orten in der Ukraine noch zu finden. Kadyrova eignet sich den Stil des Konstruktivismus und des Sozialen Realismus an, um diesen in ein systemkritisches Bildrepertoire zu übersetzen.
Im Zentrum der Ausstellung steht die Installation Crowd. Year (2012), bestehend aus 33 einzelnen Glaspanelen, die Zeitungscollagen zeigen. Kadyrova sammelte im Jahr 2012 Tageszeitungen aus verschiedenen Ländern. Der Ausschnitt zeigt das Titelbild ohne Text. Auf der Freifläche sind alle im Blatt abgebildeten Personen zu einer Collage zusammengefasst. Die Künstlerin denkt hierbei über das Phänomen der Masse und ihrer Wirkung in der Gesellschaft nach. Wie wird die Masse im Spiegel der Tageszeitung abgebildet? Anhand der Personen erschließt sich schnell die Gewichtung der jeweiligen Berichterstattung, da die Personen nach Größe bzw. nach demografischen und themengebunden Schwerpunkten angeordnet sind. Das Phänomen der Masse als Bewegung einer Gesellschaft spiegelt auch die Politik und Gegenwart der Ukraine wider. Kadyrova selbst gehört zur jungen Künstlergeneration, die mit der Orangen Revolution 2003 bis 2004 zu arbeiten begann und zählt heute zu den wichtigsten jungen KünstlerInnen ihres Landes. Zahlreiche Auszeichnungen und Ausstellungen belegen dies. Die Arbeit Crowd. Year
findet derzeit ihre Fortsetzung im Pavillon der Ukraine auf der 56. Biennale in Venedig. Hierzu hat sie anlässlich des Jahrestags des Krim-Referendum am 16.3.2014 internationale Zeitungen gesammelt, um den Querschnitt der Berichterstattung zu diesem Jahrestag zu reflektieren. Im Sinne Elias Canettis „Masse und Macht“ bezieht sich Kadyrova auf die politische Wirkung der Masse als Abbild der Gesellschaft, genauso wie der Betrachter durch diese Masse hindurchgehen und seinen eigenen Standpunkt bestimmen kann. In ihrer Fotoserie Experiments
(2014) zeigt Kadyrova Panoramaansichten der Stadt Kiew, die sie punktuell mit Säure übergießt. Der visuelle Effekt entspricht den weißen Rauchschaden der Artilleriefeuer, wie wir sie aus der Berichterstattung aus Krisengebieten kennen. Schnell ist die Assoziation zum Krieg an der ukrainisch-russischen Grenze präsent. So hat die Künstlerin in ungewollter Vorahnung in einer Erstfassung dieser Arbeit ein Panorama von Donezk verwendet, das es heute in dieser Art nicht mehr gibt.
Die beiden weiteren Arbeiten konzentrieren sich auf das skulpturale Werk der Künstlerin. Die Arbeit Second Hand (2015) am Eingang beschäftigt sich mit der Darnitski Silk Factory, der ehemals größten Kleider- und Stoffmanufaktur zu Sowjetzeiten. Die Fabrik selbst wurde zum ideologischen und kollektiven Lebensmittelpunkt der Arbeiter und Arbeiterinnen, mit einem reichhaltigen Angebot für Gemeinschaftsaktivitäten, im Zusammenhang mit Freizeit, Kultur und Bildung. Zur Anlage gehörte auch ein ganzjährig betriebenes Gewächshaus. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR wurde die Fabrik stillgelegt und verfällt partiell, da aufgrund der Größe der Anlage kein neues Nutzungskonzept entwickelt werden konnte. Einzelne Gebäudeteile werden provisorisch als Shoppingmall benutzt und erschließen damit den einstigen kollektiven Arbeitsraum zu einem Ort der Individualökonomie. Anhand von Interviews befragt Kadyrova Menschen, die dort gearbeitet haben, zur aktuellen Situation. Die Kleidungsstücke sind nicht mehr aus Stoff genäht, sondern sprichwörtlich aus den Fliesenfragmenten der Gebäude herausgelöst, und fungieren als stille Zeitzeugen der voranschreitenden Veränderung.
Im Projektraum zeigt sie das Hologramm Monument to a New Monument (2007 bis 2009). Die Bewohner der Stadt Sharhorod, einer ukrainischen Kleinstadt nahe an der moldawischen Grenze, konnten sich nicht auf die Darstellung eines Denkmals einigen, woraufhin Kadyrova eine mit Tuch umhüllte Standfigur aus weißen Fliesen gestaltete. Die Bevölkerung war im Rahmen von Gesprächen und Treffen mit der Künstlerin in den Entwicklungsprozess der Skulptur eingebunden. Aus der Diskussion entstand eine neue Platzgestaltung mittels Bänken, Wegen und kleinen Grünflächen. Zhanna Kadyrova wurde daraufhin seitens der Stadt ein Ehrendiplom für Stadtentwicklung verliehen. In der gegenwärtigen politischen Situation der Ukraine, die gewachsene Familienstrukturen zwischen den Anhängern der russischen und ukrainischen Politik spaltet, wird deutlich, warum dieses Werk so zentral und wichtig für die Künstlerin ist. Mit einfachsten Stilmitteln – sei es die Zeitungskollage, das Fliesenornament oder die Panoramaansicht Kiews – bündelt Zhanna Kardyrova subtil eine Zeitzeugenschaft zum gegenwärtigen politischen Tauziehen in der Ukraine, ohne den ideologischen Kanon aufzugreifen, der seitens der politischen Kontrahenten gegeneinander ins Feld geschickt wird.

Karin Pernegger, Kunstraum Innsbruck

[Quelle: www.kunstraum-innsbruck.at]

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last modified at 03.09.2015


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