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Ich bin eine andere Welt. Künstlerische Autor_innenschaft zwischen Desubjektivierung und Rekanonisierung

22.11.2013 - 12.01.2014

xhibit, Wien / Österreich

Mit der historischen Avantgarde der 1910er und 1920er Jahre wird die traditionell unangefochtene Position des Autors/der Autorin erstmals als Ausdruck eines modernen selbstreflexiven und selbstkritischen Kunstverständnisses in Frage gestellt. Das wohl bekannteste Beispiel ist Rrose Sélavy, ein Pseudonym, das Marcel Duchamp verwendete um gängige Auffassungen von Geschlechterrollen und künstlerischer Kreativität zu subvertieren. In den 1960er und 70er Jahren stellen Künstler_innen erneut vor dem Hintergrund subjekt-kritischer Diskurse wie sie Roland Barthes und Michel Foucault führen, verstärkt den_die Autor_in, das künstlerische Subjekt, damit verbundene Produktionsweisen und deren institutionelle Rahmenbedingungen zur Disposition....

Strategien wie die Verwendung von Pseudonymen, Alter Egos oder die Kreierung fiktiver Personen als Ausdruck künstlerischer Souveränität haben auch heute nichts an Aktualität eingebüßt. Vor allem neue Medien haben die Möglichkeiten für einen bewussten Identitätstransfer oder -wechsel, eine selbst gewählte »positive Desubjektivierung«, (Claire Fontaine) erweitert. Kollektive Autor_innenschaft selbst befindet sich heute an den Bruchlinien eines dekonstruierten, postmodernen Subjektbegriffs und anarcho-aktivistischer Formen von Widerstand und Kapitalismuskritik, die nicht anders als gemeinschaftlich organisiert werden können (und müssen). Gleichzeitig verweisen diese Formationen auch auf Problemkreise von virtueller Identität und regulativen Phantasmen einer diesbezüglichen Sicherheitspolitik. In diesem Sinne verhandelt ICH BIN EINE ANDERE WELT die Motive, die Künstler_innen veranlassen, als fiktive Personen oder anonym in Kollektiven aufzutreten und/oder zwischen Fiktion und Realität angelegte Narrative zu kreieren anhand dreier thematischer Blöcke.

Bilder von Kollektivität und deren gesellschaftspolitische Implikationen sind für Künstler_innen eine Strategie, um Kritik an Strukturen von Autor_innenschaft und Urheberrechtssystemen und am Individualisierungsdruck des Post-Fordismus zu üben: sei es als medienkritische Reflexion über die Dynamiken innerhalb von Gruppen selbst (Barbara Kapusta); als anarcho-humoristisches Re-enactment einer Revolutionsphantasie (The Buried Alive Group), in der die agierenden immer nur maskiert auftreten; oder als unmittelbare Kritik an (künstlerischer) Identität (Janez Janša, Janez Janša, Janez Janša), bei der die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem zunehmend verschwinden.

Eine weitere zentrale künstlerische Strategie in der Ausstellung stellt die Konstruktion und Einbettung fiktiver Figuren in reale (historische) Ereignisse dar, die von vielen erlebt und bezeugt werden können. Die Kunsthistorikerin Carrie Lambert-Beatty schlägt hierfür den Begriff der »Parafiktion« vor, und meint damit Fiktionen, in denen sich reale Personen und Fakten mit fiktionalen überschneiden. Diese Form der Fiktion ist nicht gleichzusetzten mit jenen aus Literatur oder Theater, sondern bewegt sich an der Schnittstelle zur Plausibilität und zielt darauf ab, vom Publikum als real und faktisch wahrgenommen werden zu können. Zahlreiche Künstlerinnen in der Ausstellung bedienen sich der »Parafiktion« um auf blinde Flecken und Leerstellen im (kunsthistorischen) Kanon hinzuweisen, und durch die Verortung marginalisierter (meist weiblicher) Figuren deren Teilhabe an der Geschichte zu legitimieren (Ursula Bogner, Justine Frank, Lora Sana, Ronda Zheng). Die Fokussierung auf bereits vorhandene Figuren oder Biografien, sei es aus Literatur, Kunstgeschichte oder dem realen Leben (Zoe Crosher, Matthias Klos, Mathilde ter Heijne, Mario Garcia Torres), die aktiviert werden, um ebenfalls auf vergessene oder historisch nie relevant gewordene Positionen zu verweisen, stellt darin eine weitere Ausprägung dar. In beiden Fällen erlangen diese Narrative oder Charaktere ihre Plausibilität erst durch die Imagination oder das Wissen des Publikums.

Im dritten Block geht es um Entwürfe persönlicher Kosmologien: dabei sind fiktive Charaktere darin eher Alter-Egos, Doppel- und Wiedergänger_innen, die entweder das auktoriale Subjekt entlasten sollen (Judith Fischer), Kritik an überkommenen Geschlechterrollen und deren Klischees erlauben (Ursula Bogner) oder mit Hilfe surrealer, magisch-aufgeladener Szenarien die Möglichkeit zu pointierter gesellschaftspolitischer Kritik (Maxim Komar-Myshkin) bieten. Eine Gemeinsamkeit dieser Strategien liegt sicherlich in ihrem Verweis auf eine beinahe schizophrene Spaltung des Subjekts zwischen Absenz und (multipler) Präsenz in bereits existierenden mannigfaltigen Rollenbildern. Ähnlich wie in den Reflexionen über Kollektive und Anonymität lässt sich hier eine Strategie der Desubjektivierung feststellen, die eine Deterritorialisierung festgeschriebener Macht-Wissens-Dispositive zum Ziel hat.

Eine Sammlung von Texten und Künstler_innenbüchern knüpft an die Wurzeln dieser Taktiken in einer literarischen Tradition (siehe Werkliste) an und ist integraler Bestandteil der Ausstellung. Das Veranstaltungsprogramm von ICH BIN EINE ANDERE WELT entstand in enger Zusammenarbeit mit der Akademie der bildenden Künste Wien: sowohl Lehrende (C. Dertnig) als auch Absolvent_innen
(B. Kapusta, SUPER VÉRO) sind in der Ausstellung sowie bei der Tagung vertreten; neue Arbeiten wurden in Kooperation mit universitätsinternen Stellen entwickelt (J. Fischer etwa in Zusammenarbeit mit der Bibliothek). Dadurch ergibt sich nicht nur eine besondere Ortsspezifik, sondern gleichzeitig eine Präsenz der Vielfalt der an der Akademie vertretenen künstlerischen Positionen.

[Quelle: www.akbild.ac.at]

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zuletzt geändert am 02.03.2018


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