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The Objective #1: Franz Zar

Einladung: The Objective #1: Franz Zar. 2017

22.09.2017 - 07.10.2017

school, Wien / Österreich

Erster Text

Die bildende Kunst fasst in institutionalisierter Form den Drang des Menschen, aus der Gesamtheit aller von ihm geschaffenen Dinge die schönsten auszuwählen, zu sammeln und in ihrer Beschaffenheit zu untersuchen, um Schönheit zu einer reproduzierbaren Eigenschaft zu machen. Die spezifische Leistung der bildenden Kunst besteht in der geistigen wie materiellen Herstellung eines Raums, in welchem die Auswahl, die Sammlung und die Untersuchung jener Dinge geschehen kann. In seiner konsequentesten und bis heute gültigen Form ist dieser Raum eine Errungenschaft der Aufklärung, seine materielle Manifestation ist das Museum und seine konstitutive Eigenschaft ist die Autonomie.... Er ist einzig für die Beurteilung und Kategorisierung sichtbarer sowie ideeller Schöpfungen nach ausschließlich ästhetischen Kriterien bestimmt (auch eine Idee besitzt ästhetische Wirkung).

Daraus folgt, dass nur solche Schöpfungen in diesem Raum sinnvoll erörtert werden können, die keine andere Funktion haben, als präsentiert und betrachtet zu werden. Keine darüber hinausgehende Funktion kann in diesem für die Analyse autonomer Ästhetik geschaffenen Raum für sich genommen relevant sein; sie tritt lediglich als untergeordnetes Element der ästhetischen Wirkung in Erscheinung. Die derart ausgewählten, gesammelten und im Vergleich zueinander beurteilten Schöpfungen (den Bestand der ersten Museen und damit die erste Festsetzung des modernen Kunstbegriffs bilden Malerei, Skulptur und Zeichnung) werden gemeinhin unter dem Begriff (bildende) Kunst zusammengefasst.

Die beiden größten Zäsuren in der Entwicklung des modernen Kunstbegriffs sind die Publikation der ersten Kunstgeschichte im 16. Jahrhundert (Giorgio Vasari) und die Erfindung des Museums im 18. Jahrhundert. Erstere bildet die geistige Voraussetzung für zweitere. Das Museum tritt nicht als Gefäß in Erscheinung, das einen bereits existierenden Bestand an Kunst bloß aufnimmt, sondern es ist vielmehr ein Medium, das durch seine Praxis des Präsentierens bestimmter Objekte die Festlegung dessen, was Kunst überhaupt ist, erst hervorbringt. Die Kunst des 20. Jahrhunderts ist in ihrer historisch einzigartigen Vielgestaltigkeit und Innovationskraft nur vor dem Hintergrund der Institution Museum zu verstehen. Ihre Aufgabe und ihr Anliegen bestehen im Wesentlichen in dem ständigen Versuch, den gesammelten und etablierten Bestand an musealisierten Werken zu erweitern.

Diesen Versuch der Erweiterung anzunehmen oder abzuweisen (bzw. zu ignorieren) ist die Aufgabe des Kunstdiskurses. Das wichtigste Medium der Präsentation und Rezeption von Kunst ist nicht die Ausstellung, sondern die publizierte Reproduktion. Damit untrennbar verbunden ist der das Kunstwerk reflektierende Text, dessen Funktion im Wesentlichen aus folgenden Bereichen besteht:

Erstens die Begründung, warum ein im Grunde beliebiger Gegenstand nun in die Tradition bspw. der abendländischen Skulpturen- oder Malereigeschichte einzufügen ist und welche Rolle dieser neue Gegenstand, das besprochene Kunstwerk in diesem historischen Zusammenhang hat. Zweitens die Etablierung werkimmanenter Hierarchien. Das Lebenswerk eines Künstlers bspw. wird in das Frühwerk, einige Hauptwerke und das Spätwerk gegliedert, mit zeitgenössischen sowie historischen Positionen verglichen und bewertet. Die Vielzahl künstlerischer Positionen wird in übergeordnete Kategorien gegliedert (z.B. „deutscher Expressionismus“). Innerhalb dieser Kategorien wiederum werden weitere Differenzierungen eingeführt, z.B. die Bestimmung der Pioniere und ihre Abgrenzung von den epigonalen Positionen. Drittens die Verknüpfung der behandelten Gegenstände mit anderen Wissensdisziplinen wie z.B. Geschichte, Literatur, Philosophie oder Psychologie.

Durch die drei genannten Aufgabenfelder leistet der erörternde Text sowohl die Auswahl der Werke, wie auch deren historische, ideelle und formale Kategorisierung. Durch die Selektion des Diskurses ergibt sich, welche Objekte ihren Weg in die Ausstellungsräume und Archive der Museen finden, um als Publikation (z.B. in Form des Lexikons, des Ausstellungskatalogs, der Monographie) Teil des etablierten, historisierten, systematisierten Kunstbestands zu werden. Ein anschauliches Modell dieser Mechanismen bietet der Setzkasten. Die bildende Kunst ist nicht die Gesamtheit der im Setzkasten befindlichen Objekte, sondern sie ist der Setzkasten selbst. Ihre Aufgabe besteht in der Legitimation immer neuer Fächer.

Die spezifische Bedeutung der Reproduktion für die bildende Kunst besteht darin, dass ein Objekt ausschließlich in Form einer reproduzierten, publizierten Fotografie Eingang in den Kunstdiskurs finden kann. Die Ausstellung kann ohne begleitende Publikation niemals über eine lokal und zeitlich eng begrenzte Wirksamkeit hinauskommen, selbst wenn sie von mehreren hunderttausend Personen besucht würde. Nur die Reproduktion erlaubt es einem Objekt, ob öffentlich ausgestellt oder nicht, über enge zeitliche und räumliche Beschränkungen hinaus rezipiert und reflektiert zu werden. Erst die Möglichkeit, auch viele Jahre nach dem Besuch einer Ausstellung ein Objekt immer und immer wieder in reproduzierter Form zu betrachten, lässt die eingehende Reflexion überhaupt erst zu.

Nur das gut eingeprägte, verinnerlichte Objekt kann reflektiert werden. Erst durch die Reproduktion kann es über die räumlich zeitlichen Grenzen des Objekts hinaus eingeprägt und verinnerlicht werden. Nur durch die Reproduktion ist der internationale, epochenübergreifende Diskurs denkbar. Allein in Form eines medialen Derivats, d.h. der veröffentlichten, fotografischen Reproduktion kann das Werk in den Kunstdiskurs eingeführt werden, durch welchen wiederum die Eingliederung in die museale Sammlung genauso wie der Erfolg am Kunstmarkt ermöglicht wird. Eine der wesentlichsten Aufgaben des Museums seit seiner Erfindung ist die Öffentlichmachung von Inhalten, die bis dahin lediglich einer kleinen Elite vorbehalten waren. Das Museum ist ein Projekt der Aufklärung, und somit ist jede quantitative Verbreitung der museal präsentierten Inhalte in dessen Sinn. So wie das gedruckte Flugblatt, der gedruckte Text Agenten der Aufklärung sind, so ist das reproduzierte Abbild Agent des musealisierten Objekts.

Die reproduzierbare Abbildung von Kunstwerken hat ihre wesentlichste und kunsthistorisch bedeutendste Aufgabe aber nicht in der Heranführung von Kunstobjekten an eine möglichst große Anzahl von Rezipienten, sondern in der Verbreitung künstlerischer Innovationen innerhalb der Kunstproduzenten selbst. Die Renaissance ist ebenso wie die Reformation ohne Reproduktionsverfahren wie Holzschnitt und Kupferstich undenkbar, wie erstere ja ohnedies auf die Neurezeption der Kopien antiker Texte zurückgeht, somit selbst eine Verkettung diverser Reproduktionsvorgänge. Die bildende Kunst und ihre Funktionen, die Beschreibung und Reflexion einer großen Anzahl von Werken unter systematisierbaren Aspekten, ist als institutionalisierte Wissensdisziplin ohne die Reproduktion von Text und Bild nicht realisierbar. (Franz Zar)

[Quelle: Einladung]

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last modified at 03.10.2017


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