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springerin 1/18. Asoziale Medien?

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springerin 1/18. Asoziale Medien? [Inhaltsverzeichnis] 2018
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Wien / Österreich

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2018

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Umfangsangabe: [96] S. : zahlr. Ill. // „The Know-It-Alls“, die Alleswisser, nennt der amerikanische Autor Noam Cohen seine Studie über die Macher der schönen neuen digitalen Welt. Dass diese Welt erhebliche Schattenseiten, wenn nicht gar Abgründe in sich birgt, ist bekannt. Dass es die Alleswisser jedoch gezielt darauf angelegt haben, diese Abgründe profitmäßig bestmöglich für sich zu nutzen, und das seit Längerem, dies führt Cohens Buch deutlich vor Augen. (Eine Besprechung findet sich in dieser Ausgabe.) Weitgehend ohne Rücksicht auf soziale und politische Kollateralschäden arbeiten die großen Innovatoren aus Silicon Valley seit gut 20 Jahren daran, ihre Vision einer „verbesserten“ Menschheit Wirklichkeit werden zu lassen. Auch wenn das bedeutet, dass gesamtgesellschaftlich immer größere Spaltungstendenzen auftreten und eine winzige Elite sich immer stärker von der beklagenswerten Masse absetzt. Aber die Entwicklung, die von Google, Amazon, Facebook und anderen Tech-Giganten losgetreten wurde, ist in vollem Gange, und noch ist nicht abzusehen, wohin sie konkret führen wird. Ebenso wenig gilt es als ausgemacht, welche längerfristigen Auswirkungen dies in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Feldern zeitigen wird, ja welche unvereinbaren Parallelszenarien dies möglicherweise generieren wird. Gerade der Bereich der sozialen Medien nimmt hier eine besondere Rolle ein, funktioniert er doch als Kommunikator, Inkubator und Verstärker all dessen, was in anderen Domänen der Digitalisierung entscheidenderweise zum Tragen kommt. Doch auch hier ist gegenwärtig kaum mehr möglich, als den bisherigen Verlauf des neuen Mediengebrauchs nüchtern zu registrieren und einer kritischen Betrachtung zuzuführen – mit dem Ziel, seine krassesten Auswüchse in Hinkunft demokratiepolitisch vielleicht besser in den Griff zu kriegen. Selbst wenn die Vorzeichen dafür, egal wohin man blickt, nicht allzu verheißend sind. Die Ausgabe Asoziale Medien? setzt inhaltlich bei einem zentralen Anlassfall der jüngeren Vergangenheit an. Wie konnte es kommen, dass sich inmitten einer grundsätzlich liberal-demokratisch verfassten Öffentlichkeit die Stimme des Illiberalen und Autoritären immer platzgreifender durchsetzt? Welche Rollen spielen die sozialen Medien dabei, die, wie man inzwischen weiß, nicht nur Plattformen des freien, kultivierten Meinungsaustauschs sind, sondern zunehmend auch zu einer Tummel- und Schutzzone für extremes und extremstes Gedankengut geworden sind? Befördern diese sozialen Medien, wenn es ans politisch Eingemachte geht, in Wahrheit gerade das Abspalterische und Asoziale? Asozial, weil sie gegenüber der herkömmlichen, für alle auf gleiche Weise einsehbaren Medienöffentlichkeit verstärkt die Möglichkeit bieten, dass man nunmehr mit seinesgleichen leichter unter sich bleiben und sich in egal welch abstruser Gesinnung einzementieren kann. Und asozial auch deshalb, weil sie dem Gedanken Vorschub leisten, dass Gesellschaft nur bis dahin reicht, wo die Spiegelungen meines individuellen Ichs bzw. von meinesgleichen enden. Draußen ist feindlich, unverständlich, anders. Eine Reihe von Beiträgen geht diesen Wendungen und Verdrehungen des Sozialen in und mittels sozialer Medien nach. Olivier Jutel legt in seinem Essay das Augenmerk auf das Trauma, das der Sieg des Autokraten Trump im liberalen Lager hinterlassen hat. Doch anstatt sich auf gerechtere Werte zu besinnen, so Jutels ernüchterndes Resümee, wird in erster Linie nach technologischen Lösungen gesucht, um einer Eskalation des „Postfaktischen“ beizukommen. Dass sich derlei technologische Schadensbehebung vor allem in rechten bis rechtsextremen Kreisen größter Beliebtheit erfreut, rekapitulieren Marc Ries und Maria L. Felixmüller anhand der sogenannten „Mem-Kriege“ im Zuge der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Hier diente ein scheint’s infantiles Spiel – Fantasy-Figuren, die den kommenden „Führer“ präfigurieren – unbegreiflicherweise dazu, eine veritabel reaktionäre, rassistische Bewegung entstehen zu lassen. Auf die weiter zurückreichenden Grundlagen heutiger Techno-Gläubigkeit geht S. M. Amadae in ihrem Essay ein. Amadae verfolgt das weitverbreitete Credo des neoliberalen, selbstverantwortlichen und in letzter Konsequenz auch vor der eigenen Illiberalität nicht zurückschreckenden Selbst auf seine spiel- und informationstheoretischen Wurzeln in den 1940er- und 1950er-Jahren zurück. Damals, so Amadaes Befund, wurde der Grundstein gelegt für den heute nahezu universell gewordenen Imperativ der Berechenbarkeit (computability) von allem und jedem. Was, wie man immer deutlicher sieht, den „Fall-out“ zunehmender sozialer Separierung und Entsolidarisierung nach sich zieht. Nicht zuletzt haben die Ausläufer von Facebook, Instagram, WhatsApp oder Twitter längst auch den Kunstbereich erfasst. Abgesehen von geänderten Rezeptionsweisen beginnen sie auf das Machen und In-Umlauf-Bringen von Kunst verstärkt Einfluss auszuüben. Alessandro Ludovico befasst sich in seinem Essay mit der spezifischen Vernetzungsrealität, die von diesen Medien bewerkstelligt und in der künstlerischen Praxis auf teils recht eigenwillige Weise weiterverarbeitet wird. Thomas Raab und Hans-Christian Dany schließlich werfen literarische Schlaglichter auf die algorithmischen Regime, die sich hinter Jugendkulturen, Hipness-Diskursen und Dating-Plattformen gleichermaßen verbergen. Allen Beiträgen dieser Ausgabe ist das Ansinnen einer wiederzubegründenden, heute gefährdeten Sozialität gemein: Löst sich das Demokratisierungsversprechen, das den Kanälen der sozialen Medien innewohnt, in größerem gesellschaftlichen Ausmaß ein? Helfen diese Medien mit, eine multiperspektivische, plurale Öffentlichkeit zu generieren? Oder tragen sie, was gerade im gegenwärtigen Moment fatal wäre, zu einer immer größeren Segregierung zunehmend unvereinbarer Kultur- und Politsphären bei? [Quelle: www.springerin.at]

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