Salzburger Nachrichten am 1. September 2006 - Bereich: Kultur
Wenn alles einfach schwierig ist

Das Medienkunstfestival Ars Electronica erörtert in Linz mit Ausstellungen und Symposien das Verhältnis von Einfachheit und Komplexität in einer digitalen Welt.

CLEMENS PANAGLLINZ (SN). In der computergesteuerten Wirklichkeit ist nichts weniger einfach zu erfüllen, als die Sehnsucht nach Einfachheit. Klingt paradox? Ist aber so. Denn damit all die benutzerfreundlichen digitalen Werkzeuge, die auf Knopfdruck CDs kopieren, Bilder perfektionieren oder den Musikheimwerker wie einen Profi klingen lassen, auch wirklich freundlich zu ihren Benutzern sind, müssen hinter den Bedienungsoberflächen die komplexesten Prozesse ablaufen. Wegzudenken sind sie aus dem Alltag längst nicht mehr - Computer gehören wie selbstverständlich zur Arbeits- und Lebensumgebung.

Wenn der US-Medienkünstler John Maeda etwa seine sieben Bildinstallationen im Linzer Kunstmuseum Lentos unter dem Titel "Nature" zusammenfasst, lässt er keine Grashalme in Endlosschleife tanzen, sondern komplexe Strukturen und Farbflächen, mit denen er "die natürlichen Ausdrucksformen des Computers" erforschen will.

Mit der Ausstellung von Maedas Zyklus ist das Lentos zum dritten Mal Zweigstelle des Linzer Medienkunstfestivals Ars Electronica, das gestern, Donnerstag, eröffnet wurde. Maeda ist nicht nur als Künstler und Kurator des Festival-Symposiums präsent, er ist vor allem auch ein Vordenker auf dem Gebiet, das die Ars Electronica heuer zum Motto erhoben hat: "Simplicity - the art of complexity". Als Künstler und Informatikprofessor am renommierten MIT Media Lab in Massachussetts ist er zudem der ideale Mann für ein Festival, das sich an den Schnittstellen zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft bewegt. Mathematik habe er auf Wunsch seines Vaters studiert, erklärte Maeda beim Pressetermin am Donnerstag, das Kunststudium habe er nachgeholt, als er die elterlichen Auflagen einer soliden Ausbildung erfüllt hätte. Von der Malerei zurück zum Computer habe ihn da sein Kunstlehrer getrieben: "Du bist jung, mach etwas Junges!"

Frische Zugänge zeigt auch in diesem Jahr die Ausstellung "Cyber Arts06" im Linzer O.K. Centrum für Gegenwartskunst, wo die 19 Arbeiten zu sehen sind, die heuer mit dem "Prix Ars Electronica" ausgezeichneten worden sind. Obwohl der Wettbewerb nicht unter dem Festivalmotto "Simplicity" stand, ist es in manchen Positionen wiederzuentdecken.

"Hello, World" nennt der in Deutschland lebende Koreaner Yunchul Kim sein geschlossenes System, bei dem Morsesignale durch eine 246 Meter lange, vielfach gebogene Röhre geschickt, von einem Computer in digitale Codes umgewandelt und dann als akustische Signale wieder in die Röhre gespuckt werden. Für das Werk erhielt Yunchul Kim eine lobende Erwähnung in der Sparte Interactive Art.

Der Musikwelt wollen es Yuko Mohri und Yuko Mihara aus Japan einfacher machen: Sie lassen Erik Saties Klavierstück "Vexations", das der ausführende Pianist nach Empfehlung des Komponisten 840 Mal in Folge spielen soll, von einem Computerklavier abspulen. Die Umgebungsgeräusche werden aufgenommen und zur Musik gemischt.

Die Goldene Nica des diesjährigen "Prix Ars Electronica" ging an den US-Künstler Paul DeMarinis. In seiner Arbeit "The Messenger" verweist er auf frühe Versuche elektricher Datenübertragung mittels telegrafischer Leitungen. An sein E-Mail-Konto hat DeMarinis in der Installation drei Empfängersysteme angeschlossen: Wenn eine Mailbotschaft Buchstabe für Buchstabe an diese übertragen wird, tanzen als Alphabet gereihte Plastikskelette, tönen Waschschüsseln oder blinken Buchstaben in Reagenzgläsern. Der Rückblick auf die Urgeschichte der Fernkommunikation solle den Blick dafür schärfen, "was wir in der Gegenwart eigentlich so gedankenlos tun", erläutert DeMarinis.

Die Gedankenlosigkeit der einen ist das Geschäft der anderen. In seinem Projekt "S. U. I." zeigt der Japaner Ryota Kimura plastisch auf, wie sehr das Leben in der Digitalwelt überwach- und kontrollierbar wird. Wenn der Besucher ein (echtes) elektronisches Ticket des U-Bahnnetzes von Tokyo auf einen Scanner legt, werden nicht nur die gefahrenen Stationen ausgelesen. Wenn der Scanner das Fahrverhalten analysiert hat, erscheint ein "Dienstleistungsagent der Zukunft" und erklärt dem Kartenbesitzer dessen Persönlichkeits-, Job- und Konsumprofil. So einfach geht das.