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Kunstberichte

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Der Schweiß der Bienen

(cai) Ein Mann sollte das halt einmal in seinem Leben tun. Die Socken wechseln? I wo: einen Baum pflanzen. Es genügt aber sicher auch, wenn er ein Duftbäumchen aufhängt. Johannes Girardoni hat sein Soll ja deutlich übererfüllt. Gleich 924 an die Wand genagelt. Na ja, nicht direkt Duftbäumchen . Riechen tun die Dinger trotzdem ganz ordentlich.

Dinger? 462 Paar Socken mit der Würze des entfesselten Fußschweißes? Nein: 924 Plättchen aus gefärbtem Bienenwachs, die ihr betörendes Parfum ausdünsten. Der Betrachter ist praktisch willenlos wie ein Trüffelschwein im Trüffeldusel. Nur wer die Galerie Feichtner mit einer Kluppe auf der Nase betritt, könnte das als Fliesenleger-Minimalismus abtun und behaupten, es seien bloß deshalb zweimal 462 Stück, weil auf den zwei Wänden nicht mehr Platz wäre. Ich weiß es besser. "462 mal 2" ist eine Prognose . Und tatsächlich: Fast genau 924 Sekunden war ich länger dort, als wenn es nach Terpentin gerochen hätte. Weil man ja auch mit der Nase schaut. (Und gut 15 Minuten braucht, um 924 Wachsdinger abzuzählen, wenn man sich dauernd verzählt.)

Der Rest ist geradezu religiös. Ein bildloser Flügelaltar. (Für gläubige Atheisten?) Und die "Faceboxes": auratisch wie Ikonen. Holzkistln, sinnlich mit Wachs ausgekleidet, in die man andächtig sein Gesicht eintunken möchte. Holz und Wachs verschmelzen zu charismatischen Gebilden. Und wie viel Honig da drin steckt! Denn hier ist die Einheit der Energie nicht das Barrel Erdöl, sondern das Ein-Kilo-Honigglas. Bienen verbrauchen ganze sechs, um ein Kilo Wachs auszuschwitzen. (Mit wie viel Honig man sich wohl stärken muss, um die Kraft zu haben, 924 Nägel einzuschlagen?) Ähm: Männer sollten ihre Socken übrigens nicht nur einmal in ihrem Leben wechseln.

Galerie Feichtner
(Seilerstätte 19)
Johannes Girardoni
Bis 12. Jänner
Di. bis Fr. 10 bis 18 Uhr
Sa. 10 bis 16 Uhr
Benebelnd.

Immer dem Pinsel nach

(cai) Erhard Stöbe macht gerade eine schwarze Periode durch. Das ist keine Umschreibung für "tiefe Depression". Dass beim Picasso auf eine blaue eine rosa Periode gefolgt ist, heißt ja auch nicht, dass er Alkoholiker gewesen wäre und nachher eine Phase der sexuellen Umorientierung durchlebt hätte. Stöbe ist vielmehr ein "Schwarzmaler", grundiert seine Leinwände sehr unorthodox. Extrem "dunkelweiß" quasi. Und gibt sich dann auf dem Schwarz der Fabulierlust hin. Lässt in mysteriösen Nacht- und Nacktszenen mit fantastischen Wesen, Infantinnen oder Hindu-Göttern die brillantesten Farben aufleuchten, die in der düster romantischen Atmosphäre umso feuriger brennen. Und gibt unlösbare Rätsel auf: Wozu braucht eine Mickymaus in den Wechseljahren ein Aquarium mit nackerten Menschlein? (Andererseits: Was sollte sie sonst tun, in Entenhausen? Enten füttern?) Ungeniertes Drauflosmalen, das vor allem farblich punkten kann.

Galerie Peithner-Lichtenfels
(Sonnenfelsgasse 6)
Erhard Stöbe
Bis 17. Jänner
Di. bis Fr. 10 bis 18 Uhr
Sa. 10 bis 16 Uhr
Hieroglyphisch.

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General-Amnesie

(cai) Kein Wunder, dass die pittoresken Arrangements von Jessica Stockholder keinen Titel haben (nicht einmal den Verlegenheitstitel "Ohne Titel"). "Jenseits der Tupperware-Party", "Lethargie im Mistkübel", "Nur der Teppich war Zeuge" – das träfe alles nicht den Punkt dieser Assemblagen aus Teppichen, Papierkörben, Kühlschrankzubehör etc. Man könnte es für das Werk einer postapokalyptischen Haushälterin mit Amnesie halten, die den Zweck der Dinge vergessen hat und sie völlig neu ordnet, gestisch oder streng, auf Farbe und Form reduziert, handfeste abstrakte Gemälde daraus komponiert. Mit einer Raffinesse, die in Erstaunen versetzt.

Galerie nächst St.Stephan
(Grünangergasse 1)
Jessica Stockholder
Bis 12. Jänner
Mo. bis Fr. 11 bis 18 Uhr
Sa. 11 bis 16 Uhr
Verblüffend.

Mittwoch, 09. Jänner 2008

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