Freud, Marx Brothers und Pornografie | |
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Matthias Herrmann sammelt Zitate. Aus
Lifestyle- und Schwulenmagazinen, aus Interviews mit "Stars" wie Cher oder
Helmut Lang, aus Texten zu Kunst und Kultur. Und er interpretiert diese
Statements mit seinem eigenen Körper, posiert vor der Kamera in der
Abgeschiedenheit des Studios. Die Textzitate werden wie Preisschilder im
Supermarkt einfach mitfotografiert.
Durch Witz entschärft Matthias Herrmann, der als kommerzieller Fotograf auch diverse
Safer-Sex-Kampagnen entworfen hat, bewegt sich an der Schnittstelle
zwischen Kunst, Pornografie und Erotik. Er schlüpft mit Hilfe einfacher
Requisiten wie etwa einer roten Clown-Nase in die Rolle
unterschiedlichster Personen - schrill, gewagt, exhibitionistisch und vor
allem witzig. "Denn Albernheit ist eines der großen Geschenke, die die schwule Psyche
dieser Welt des Leidens mitbringt", meint der in New York lebende Künstler
AA Bronson im Katalog, und "nicht erst seit Freud wissen wir, dass der
Witz eine kathartische Wirkung hat", ergänzt Hermann, der mit politischer
Kunst, die mit unerschütterlichem Bierernst vorgibt, ein Problem lösen zu
können, nichts am Hut hat. Der Provokateur, der nicht schocken will Ab dem 3. Dezember zeigt die Kunsthalle Wien nun Matthias Herrmanns
neueste "Textpieces", die "weniger sexuell aufgeladen" sind als jene, die
soeben in Buchform (Edition Stemmle) erschienen sind, um - wie Herrmann
meint - den Betrachtern im öffentlichen Raum den Einstieg zu erleichtern,
um nicht in ein "Pornoeck" gedrängt zu werden. Denkanstöße zur Gender-Debatte Matthias Hermann im Gespräch:
Haben die Arbeiten auch einen gesellschaftskritischen Aspekt, indem
sie für eine größere Akzeptanz einer Minderheit plädieren? Mit dem Wort "Gesellschaftskritik" kann ich sehr wenig anfangen. Es
geht mir um den altmodischen Begriff der Zivilcourage, im täglichen Leben
genauso wie in der Kunst, wo Zivilcourage ja Teil des Berufes sein
muss. Als ich aus Deutschland nach Österreich gekommen bin, war ich anfangs
sehr erstaunt, wie wenig Zivilcourage die Leute hier oft haben, wie ungern
Dinge ausgesprochen werden. Das zeigt sich in den vielen Scheinehen
Homosexueller, aber auch in der Ausländerdebatte, wo immer nur
beschwichtigt und heruntergespielt wird. Die SPÖ hat im Wahlkampf
beispielsweise nie gesagt: "Wir stehen zu einer gewissen Quote an
Ausländern. Sie sind uns wichtig und willkommen." Und in der
Geschlechtspolitik ist das genauso, obwohl sich durch das Outing einiger
Prominenter in den letzten Jahren einiges geändert hat. Ich glaube, es ist
heute wichtiger denn je, den Mut zu haben und zu sich stehen. Wie sehr spielen Sie mit Voyeurismus und Exhibitionismus ? Ich fühl' mich nicht als Exhibitionist, aber irgendwo muss ich schon so
was haben, sonst könnte ich nicht machen, was ich mache. Aber: Voyeurismus
und Exhibitionismus sind a priori ja nicht unbedingt etwas Schlechtes. Die
gesamte Sensationspresse würde ohne den Voyeurismus nicht funktionieren,
und ich finde es ganz in Ordnung, dass die Kunst sich diese Strategien
aneignet, um erfolgreich zu sein. Um dem Voyeurismus aber ein bisschen aus dem Weg zu gehen, nehme ich
immer nur mich als Modell. Nach zwei Fotos sind die Details dann sozusagen
am Tisch und somit fällt das Ausbeuterische, das Fotografie oft hat, weg.
Es ist mir angenehm, dass ich die Frage nach Ausbeutung nur mit mir selbst
ausmachen muss. Künstler wie Nan Goldin müssten sich meiner Meinung nach
oft fragen, ob sie ihre Freunde nicht fotografisch ausnützen. Ist das Feld der männlichen Sexualität immer noch
tabubehaftet? Tabus sind aber immer nur regional zu verstehen und man muss sich immer
auch fragen, wieso gibt es ein bestimmtes Tabu, wem nützt es? Amerika
würde kollektiv eine Krise kriegen, wenn man dort wüsste, dass
Doktorspielen unter Kinder hier zu Lande als normal angesehen wird.
In der Körperdarstellung ist mittlerweile aber wohl schon jedes Tabu
gebrochen worden, auch wenn der männliche Blick auf den männlichen Körper
ein noch nicht so stark bearbeitetes Feld ist, wobei es schade ist, dass
es in erster Linie Homosexuelle sind, die sich damit
auseinandersetzen. Tipps: Matthias Herrmann: "Textpieces" vom 3. bis 12. Dezember im Container
vor der Kunsthalle
Wien "Matthias Herrman Textpieces 1996 -1998" Künstlerbuch (Edition Stemmle)
mit Texten u.a. von Peter Weirmair und Gerald Matt. | ||||||||