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Kunst im öffentlichen Raum: „Da kann kein All-inclusive-Club mit“

10.04.2009 | 17:56 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Herrnbaumgarten im Weinviertel hat sich ein neues Marien-Denkmal gewünscht – Johanna und Helmut Kandl haben eines geliefert, einen Marienbaum, der von Offenheit und Akzeptanz erzählt.

Am Ortseingang hängen hunderte alte Socken, die einen „Einzelsocken-Rundwanderlehrpfad“ begleiten. Ein „Verein zur Verwertung von Gedankenüberschüssen“ führt ein feines „Nonseum“, stellt eine rot-weiß-rot gestrichene „Nationalbank“ zum Rasten und ein „Gemeinderad“ zur Beschleunigung zur Verfügung. Auf der Homepage nennt sich Herrnbaumgarten sogar offiziell „verruckt“. Nur eine Autostunde von Wien entfernt und nur wenige Kilometer vor der tschechischen Grenze, hat ein Dorf sich schräg gestellt, beunruhigt seit den 80er-Jahren von ein paar rührigen Querdenkern.

Dass hier kein konventionelles Marienmarterl aufgestellt werden kann, wenn Frau Gertrude Schwalm ein solches 2004 anregt und Dorfseele Franz Schmid das gewohnt verlässlich ausführt – übrigens anlässlich 150 Jahre Dogma „Maria ohne Makel der Erbsünde empfangen“ – liegt also an höchst irdischen Umständen. Und so wandte man sich – nachdem man schon drei Künstlerentwürfe für überlebensgroße Marienstatuen eingeholt hatte – doch noch ans Land Niederösterreich, an Katharina Blaas, die Institution für Kunst im öffentlichen Raum.

Und die dachte sofort an die Kandls, Johanna und Helmut, erfahren mit heiklen Projekten, die Kommunikation verlangen, geerdet genug, um vorm Volksglauben nicht gleich Reißaus zu nehmen. Katholisch aufgewachsen, haben sich die beiden zwar „im Lauf unseres Lebens vom kirchlichen Glauben entfernt“. Das Phänomen Marienwallfahrt interessierte sie trotzdem: „Wir haben versucht, Distanz zu wahren, ohne ins Polemische oder Ironische zu verfallen oder uns über die Leute lustig zu machen.“

 

Devotionalien in Lärchenschreinchen

Ein Jahr lang vertieften sie sich intensiv in den Marienkult, bereisten Wallfahrtsorte in ganz Europa, filmten, fotografierten – und kauften an den Standeln rund um die Gedenkstätten Repliken der Gnadenstatuen bzw. -bilder. Seit zwei Wochen hängen 26 davon an einer Eiche auf einer Verkehrsinsel in Herrnbaumgarten. Bunt durcheinandermontiert auf einem Eisengerüst, unerklärliche schwarze Madonnen, weiße mit Sternenkranz, mit Kind oder ohne – alle geschützt von lärchenen Basic-Schreinchen, auf denen geschrieben steht, wo und wann sie gekauft worden sind. Etwa die Kopie der Ikone der „Mutter der Barmherzigkeit“ von Vilnius, 2009 vor Ort. Oder „Unsere liebe Frau vom Finsterwald“, 2008 in Einsiedeln, Schweiz.

Der „Marienbaum“ lehnt sich an eine alte Tradition an, die es etwa in Maria Grün im Prater gab, „wir haben das nur ein bisschen perfektioniert“, so Johanna Kandl. „Wenn man in einen kleinen Ort geht“, erklärt sie, „soll man sich an einen lesbaren Code halten, etwa den Baum, und ihn mit Inhalten füllen – etwa dass Maria in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich imaginiert wird. Das können auch Menschen verstehen, die sich sonst nicht mit Bildern beschäftigen.“

An praktisch allen Wallfahrtsmadonnen fiel ihnen auf, dass sie kunsthistorisch nicht sehr wertvoll sind, oft sehr klein und von Gewändern verhüllt. „Es geht also auch ums Nichtzeigen, etwas Gedankliches. Die meisten sind auch nicht von berühmten Bildhauern, sondern im Wald, als Treibgut, in der Erde gefunden worden – diese unklare Autorenschaft gehört wohl zum Auratischen dazu.“ Gab es vor Ort keine professionellen Kopien, ließen die Kandls welche anfertigen, von ihrer Assistentin und Malereistudentin Corina Vetsch, die sehr ernsthaft etwa „Unsere liebe Frau Sechsfinger“ aus Maria Laach wiederholte oder die „Maria Pötsch“ aus dem Stephansdom. Als Stellvertreterin für Guadalupe, den weltweit größten Wallfahrtsort, den jährlich 25Millionen Pilger besuchen, fungiert noch eine Kerze – aber die Mexiko-Reise ist schon geplant, „da müssen wir unbedingt noch hin“, meint Johanna Kandl. Überhaupt soll der „Marienbaum“ wachsen. Jeder Dorfbewohner ist eingeladen, selber Devotionalien aufzuhängen. Was wohl auch geschehen wird, die Gemeinde hat ihr neues Mariendenkmal akzeptiert – „zu 95 Prozent“, erzählt Initiator Schmid stolz. Auch die Kandls waren überrascht von der Begeisterung – der Schlosser etwa hat ohne Auftrag Vasen ans Gerüst geschweißt und erlebte beim Transport der Skulpturen sogar ein kleines Wunder – „eine Grünwelle auf der Brünnerstraße“, berichtet Kandl. „Und noch während wir gehängt haben, sind gleich Frauen gekommen und haben rundherum Primeln gepflanzt.“ Die Einweihung des Baums erwischte, Wunder zwei, den einzigen sonnigen Tag in Wochen. Nach der Messe sah sich die Dorfgemeinde dann – Wunder drei – fast geschlossen im Gasthof zwei Stunden lang Videos an, die die Kandls auf ihren Reisen aufgenommen haben.

 

Das Woodstock unter den Wallfahrtsorten

Besonders fasziniert hat sie Levo?a in der Slowakei, „das Woodstock unter den Marienwallfahrtsorten“, wie es die Kandls nennen. „Hier war alles ganz ruhig, am 2.Juli, zu Maria Heimsuchung, ziehen die Leute auf einen Berg, man hat Essen dabei, ist völlig unterschiedlich gekleidet, von den traditionellen kurzen Röcken, die stark abstehen, bis zu Hotpants und T-Shirts, auf denen „Sex Drugs and Rock'n'Roll“ steht. Zur Beichte stehen die Pfarrer auf der Wiese mit Regenschirmen als Sonnenschutz und die Leute knien sich davor auf die Wiese – das ist wie ein riesiges Tableau vivant“, schwärmt Kandl. „Dann wird im Gras gelagert, gegessen, getrunken – da kann kein All-inclusive-Club mithalten.“

Religiöser geworden ist sie durch ihr Herrnbaumgartener Engagement trotzdem nicht. „Es geht um das, worum es uns immer geht: Medien, Bilder, Kommunikation.“ Zumindest brächte sie jetzt mehr Verständnis auf für Leute, die wallfahrten: „Die Leute finden schnell Anschluss, Ausschlussmechanismen, die andere Orte haben, etwa wenn jemand dick ist, alt, behindert oder einen besonderen Dialekt spricht, gibt es an solchen Orten nicht – das ist ein Punkt.“


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