18.09.2003 18:45
Schmalz in Sepia
Ein "Passion
Cycle" der Britin Sam Taylor Woods in der Bawag Foundation - Foto
Die Bawag Foundation zeigt Sam Taylor Wood. Eine Ausstellung zum
Einfühlen und Nachdenken. Eine kleine Schau zur Größe der Gefühle. Mit einer
Erektion der Nähe, nicht der Macht.
Wien - Was man unbedingt wissen muss: Sam Taylor Wood ist berühmt.
Biennalen, Kunsthallen und Museen beweisen es. Und in deren Schlepptau nun auch
die Bawag Foundation.
Was man noch wissen muss: Die Avantgarde ist
bisweilen so schnell, dass sie nur kurz hinter der Nachhut zu finden ist. Ein
Beispiel: Der Softporno ist auch nach Mitternacht in keinem Sender mehr zu
finden, und die erste Breitband-Erektion im französischen Betroffenheitsfilm
auch schon wieder schlaff.
Jetzt kommt Kunst. Jetzt kommt Sam Taylor
Wood. Jetzt kommt The Passion Cycle. Und dabei geht es - um Gefühle. Da wird
geleckt und geblasen, da wird oben und unten gelegen, da wird zum Löffelchen
gegriffen, da wird zugepackt, aber sanft. Endlich kein Peitschen mehr und auch
kein Piercen, kein Dominieren oder Unterwerfen, kein Klinik- und auch kein
Farmsex.
Und alles nur zu zweit. Und endlich wieder dort, wo es am
schönsten ist, im Bett. Nur Ausnahmsweise am Stuhl - weil dort ein Spiegel
lockt.
Und nicht irgendein Bett ist das. Es ist ein Traum von einem Bett.
In einem Traum von einem Zimmer. So etwas von orientalisch, wie es das
eigentlich nur im vorvergangenen Jahrhundert gegeben haben sollte: mit
Glühbirnen in Kerzenform vor exquisiten Tapeten mit Vögeln und Bienen. Und über
allem dieser Sepiaton. Und könnte man jetzt mitriechen, es wäre Opium, das einer
liebevoll von Hand steil aufgezogenen Duftkerze entstäubte. Da lieben sich zwei,
und man liebt mit. Und denkt daran, mit wem man selbst je eine Scheidewand so
brüderlich geteilt hat.
Und vergisst, betört von reiner Leidenschaft, nur
allzu gern den kritisch reflexiven Unterton, der große und auch diese Kunst
begleitet. Fragen wirft sie auf, nach Augenblick und Nähe. Zerbrechlichkeit ist
Thema und auch die Flüchtigkeit des Glücks.
Schikaniert vom Stiefvater,
hat Sam schon als Kind bei Richard Wagner ihr Jenseits vom gemeinen Alltag
gefunden, vermerkt das Buch zur Schau. Das ist in rotes Leinen gebunden, die
Abbildungen sind schön, der Text ist einfühlsam. Es drückt Wärme aus. Und so
spielt man zeitvergessen Daumenkino und merkt, dass es echte Menschen sind, die
da sich gleich ergießen werden. Auch wenn sie keine Pickel haben, und in all der
Schwüle gar nicht schwitzen. Aber das wäre auch unpassend, schlüge sich mit dem
Elfenbein des vielgrammigen Kunstdruckpapiers, riebe sich am Wohlgeruch,
schwämme die ganze Poesie fort.
Wie die beiden nun aber zueinander
gefunden haben, wie es kam, dass zwei Fremde so ineinander geraten konnten,
erzählt wortlos ein Film. Nein zwei Filme sind es, die später erst zur Deckung
kommen. Ein Mann ist da und atmet schwer, Sehnsucht drückt auf seine Brust,
Erwartung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Und gegenüber die Frau: Barbusig
geht sie auf ihn zu, forsch durchmisst sie Londons Straßen. So eindeutig ihre
Richtung auch ist, so vage bleibt, ob sie auch zu ihm finden wird. Beinhart
trifft sich das Tageslicht mit der Kälte der Videokamera.
Und man gerät
ins Wanken. Sollen all die schönen Szenen aus dem Boudoir, soll diese Innigkeit
am Ende nur ein Traum gewesen sein? Ist die Vereinigung, ist das Verschmelzen
gar nicht möglich? Bleiben Mann und Frau am Ende doch zwei Filme? Verstört
betritt der Betrachter wieder die Einsamkeit der dichten Großstadtstraßen. (DER
STANDARD, Printausgabe, 19.9.2003)