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Quer durch Galerien

Terminator der Rotzglocken

Von Claudia Aigner

300 Jahre Wiener Zeitung!Es stimmt schon: Ein Baum, den man bereits um zwanzig Deka Extrawurst herumwickeln kann, den man in eine Schreibmaschine einspannen, pardon: in einen Computerdrucker legen kann oder in den man sich gegebenenfalls, falls der Baum ein noch schlechteres Karma gehabt hat, hineinschneuzen kann, der steht nicht mehr auf. Aber er ist wenigstens nicht ganz umsonst für die Papierindustrie irgendwo im Wald k. o. gegangen, auch wenn er vielleicht lieber dort wäre, wo sich Wolf und Rotkäppchen gute Nacht sagen.
Solcher Bäume, die bis zur Unkenntlichkeit domestiziert und quasi so handzahm gemacht wurden, dass sie sich jetzt widerstandslos mit meinen Artikeln bedrucken lassen, solcher Bäume also, denen man den Wald in keinster Weise mehr ansieht, haben sich nun Studenten der Ungarischen Universität für Angewandte Kunst hingebungsvoll angenommen. In der Galerie Gigant (Singerstraße 16/1/3) sieht man deshalb bis 6. Dezember den Wald vor lauter Papier nicht mehr. Lenke Illésy etwa hat den (prosaisch ausgedrückt:) Terminator der Rotzglocken kunstvoll zweckentfremdet. Gemeint ist natürlich das auch bei uns derzeit vermutlich auflagenstärkste Blatt im Lande (das Taschentuch nämlich, in der schnupfenfreien Zeit ist es selbstverständlich immer noch die "Kronen Zeitung"). Aus dem banalen Schneuztüchl hat Illésy herausgeholt, was man nie in ihm vermutet hätte: zarte ornamentale Reliefs oder sogar so etwas wie die abstrakte Antwort auf Dürers "großes Rasenstück" (eine Art Zottelteppichfleckerl). Und bei Tanja Boukal, die das Geheimnis hütet, wie man Papier am Spinnrad spinnt, wird gar Papier zu Holz. Fast eine Wiedergutmachung. Boukal hat von Holzplanken einen geradezu augentäuschenden Papierguss angefertigt.
Wir leben halt nun einmal in einer Verpackungsgesellschaft. Nicht nur zu Weihnachten, wo die Verhüllungsfundamentalisten alles kompromisslos einpacken und
sozusagen "die Geschenkspapier-Sau rauslassen". Wenigstens die Wellpappe hat Orsolya Sztrakay dem Samsara entrissen (dem ewigen Kreislauf zwischen Altpapiercontainer und Wiedergeburt). Noch dazu sehr dekorativ. Und was ist Mode anderes als Verpackung aus Scham vor der Anatomie? Cecília Reok hat da gleich eine Kunsthistorikerin so lange effektvoll, man könnte sogar sagen: kultiviert spektakulär in Papier eingeschlagen und verschnürt, bis sie kaum viel mehr Bewegungsfreiheit hatte als eine Praline in der Pralinenschachtel. Es ist schon erstaunlich, was man alles anstellen kann mit der unscheinbar genialen (oder genial unscheinbaren?) Erfindung mit Namen Papier, ohne die ich und die Germanisten und die Postboten ja arbeitslos wären.
Die Siebdrucke von Andrea Kalteis (bis 20. Dezember in der Halle Steinek, Pramergasse 6) kann man angeblich ohne Risiko in der Waschmaschine waschen. Sie kommen also "typisch" hausfraulichen Ambitionen sehr entgegen. (Ui, jetzt wird es in den USA wieder Produkthaftungsklagen geben: "Die Farben von meinem Warhol sind total verblasst, obwohl ich ihn erst dreimal gewaschen habe. Mit ,Fewa Color'.")
In ein paar Selbstporträts hat Kalteis lieb herumgestickt, lauter süße Insekten. Eine Frau, die reumütig und geläutert zur Nähnadel heimgekehrt ist? Wahrscheinlich nicht. Denn daneben hat sie ihren Schädel geknackt, und es ist tatsächlich eine Nuss in der Schale. Eindeutig eine Anspielung. Böse Ironie. Und sie hat die Ästhetik des Webens reizvoll erweitert, etwa ein Webstück abfotografiert (ihre Spezialität: Luftballone verweben) und dann in ein abstraktes Stoffmuster verwandelt. Lauter kleine Luftballone von hinten (von dort, wo man ins Blasinstrument Luftballon hineinpustet).

Erschienen am: 28.11.2003

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