Ein weißer Schäferhund tänzelt einem entgegen, koffeinfreier Kaffee wird die schmalen steinernen Treppen hinauf zum Gartensalettl getragen, die Flasche Rotwein aus dem hauseigenen Weinanbau bleibt ungeöffnet, dafür teilt man sich später eine Nussschnecke.
Arnulf Rainer ist zu Gast im Haus seiner Jugend, im Atelier seiner künstlerisch entscheidenden Entwicklungen, in Gainfarn bei Bad Vöslau. Das 1870 erbaute Spätbiedermeierhaus gehörte einst seiner Familie, danach einem Zahntechnikzulieferer, dann dem weniger gut beleumundeten Fischer von der Fischer-Deponie und heute Fritz Humer, dem ehemaligen Wolford-CEO, der seinen berühmten Besucher liebevoll umsorgt.
Schnell versteht man den Reiz dieses idyllischen Anwesens zwischen Ländlichkeit und Bürgerlichkeit – mit einem Ausblick, der jeden entschädigt, dem diese Mischung weniger behagt. Kann so ein Blick über das Wiener Becken denn ungemalt bleiben? Arnulf Rainer, heuer 80, sitzt mit dem Rücken zur Landschaft. „Über dieses Stadium war ich damals schon hinaus. Wenn es einem gefällt, kann man es ja fotografieren“, meint er ungerührt. Und die Landschaftsfotografie, die hat er erst in den vergangenen zehn Jahren für sich entdeckt, auf der kargen Insel Teneriffa, wo er die Winter verbringt.
Auch die ersten menschenleeren Landschaftsaquarelle aus seiner Schulzeit gehen nicht unmittelbar auf das Wiener Becken zurück, in das er geboren wurde – sein Vater war Maschinenbauingenieur, Betriebsleiter in den Krupp-Werken im nahen Berndorf. Die surrealistische Phase war ebenfalls schon vorbei, als er nach dem Krieg von seiner Familie zurück nach Gainfarn geschickt wurde, um in dem von den Russen verlassenen Haus nach dem Rechten zu sehen – „ich war damals schon Proportionsideologe“.
Mit politischer Ideologie dagegen wollte er sich in seiner Jugend
nicht belasten, das Künstlertum war ihm von Anfang an Ausweg, Rettung:
Die Nationalsozialisten wählten ihn und seinen Zwillingsbruder zwar
aufgrund besonderer Begabung für eine Eliteschule, die Napola
(Nationalpolitische Erziehungsanstalt) in Traiskirchen aus – „es war
alles frei, Verpflegung, Reiterausbildung, meine Eltern haben nicht
Nein sagen können“. Doch Rainer – „Ich war wohl zu neurotisch“– hielt
das Gemeinschaftsleben dort nicht aus, nur am Wochenende durfte er nach
Gainfarn zurück.
Mit dem Rad über den Semmering. Der einzige
Ausweg aus dieser Situation schien der Wunsch, Künstler werden zu
wollen. „Ich war immer der beste im Zeichnen.“ Nach langen Kämpfen,
erzählt Rainer, entließ man ihn 1944 doch noch, damit er auf die
Kunstgewerbeschule wechseln konnte, wo man damals mit 14 aufgenommen
wurde. „Aber da waren schon alle Kunstschulen gesperrt und ich habe die
Oberschule in Baden besucht.“
Luftangriffe habe es hier keine gegeben, „Baden war ja eine
Lazarettstadt.“ Als die Russen dann aber an der Grenze im Burgenland
standen, erinnert sich Rainer, habe es geheißen, dass auch die
14-Jährigen zum Volkssturm müssten, zuerst Panzergräben ausheben. „Da
habe ich es mit der Angst zu tun bekommen, natürlich. Auch mein Vater,
der zu alt war fürs Militär, wäre jetzt drangekommen. Er ist dann zu
Fuß über Mariazell nach Kärnten, wo die Verwandtschaft ist, und ich bin
mit dem Rad über den Semmering. Ich hatte immer Angst, dass sie mich
bei einer Kontrolle herrausfischen. Aber ich hatte Glück.“
Zufällig
zur modernen Kunst. In Kärnten besuchte er schließlich erst einmal die
Baufachschule und lernte Hochbautechniker. „Die haben mir die Liebe zur
modernen Architektur dort ausgetrieben.“ Wie kam er dann aber erstmals
mit der zeitgenössischen, der modernen Kunst in Berührung? „Der
Vormieter unserer Wohnung hat Kunstbücher hinterlassen, etwa über van
Gogh. Das war mein erster Kontakt.“
Weil sein Lehrer so auf den Dadaismus schimpfte, begann er sich als
Gegenreaktion mit 17 Jahren besonders dafür zu interessieren. Er las
die linke Zeitschrift „Der Plan“, in Klagenfurt wurden auch die
„Surrealistischen Publikationen“ herausgegeben. Damals lernte er die
zehn Jahre ältere Malerin Maria Lassnig kennen, sie wurden ein Paar,
gingen 1951 gemeinsam nach Paris.
Objekte aus Matador-Steinen.
Nach Gainfarn kehrte er 1953 aber allein zurück. Hier entstanden die
ersten Zentralgestaltungen, die Farbproportionen „und Plastiken aus
Matador-Steinen, in die ich Steckerl hineinsteckte und solange stutzte,
bis eine formale Spannung entstand“. Fast zehn Jahre lang blieb er im
Haus seiner Kindheit, arbeitete im heutigen Salon, auf der Terrasse, am
Dachboden der Scheune.
Ein auf Lebensgröße aufgeblasenes Foto aus dieser Zeit, auf dem ein selbstbewusster blutjunger Arnulf Rainer vor seinen Bildern steht, beide Hände in die Seiten gestemmt, wird auch am Beginn der Eröffnungsausstellung stehen, die ab kommenden Sonntag das neue Arnulf Rainer Museum in Baden einweiht. Das ehemalige Frauenbad, wo Rainer schon in den frühen 70ern ausstellte, ist mit dem üblichen Glas und Holz zum modernen Ausstellungsraum adaptiert worden, besonders charmant die alten Umkleidekabinen, in die je ein Bild gehängt wurde.
Die Größe, die Proportionen hier sind jedenfalls angenehm menschlich, die Atmosphäre intim, man hat die Ruhe, auch kleinformatige Preziosen aus Rainers Besitz zu studieren. Konzentriert hat man sich auf Werke aus der Frühzeit, die teils noch nie zu sehen waren. Einziger Wermutstropfen: Man bekam keines der frühen Kreuze geliehen – ihr Zustand ist zu prekär, außerdem sei man als Museum noch nicht eingeführt, meint Rainer.
Um sein allererstes Kreuz, das ebenfalls im Gainfarner Biedermeierhaus entstand, ist es ihm besonders leid: Es ist hinten noch mit Holz aus den Weingärten zusammengenagelt. Angeregt, „herausgefordert“ dazu wurde er durch die Begegnung mit dem legendären „Kunstpriester“ Monsignore Otto Mauer 1953, der übrigens oft nach Gainfarn kam – „er war einer meiner ersten Käufer“.
Das erste schwarz-gelbe Kreuz aber wählte Mauer nicht für sich
selbst aus, sondern für seine Galerie St. Stephan, wo es 1955 der
Industrielle Manfred Mauthner-Markhof erwarb. „Er hat es dann an seinen
Sohn vererbt, der es in seiner Firma hinter dem Schreibtisch hängen
hatte. Es wurden sogar Telefonnummern auf das Bild gekritzelt! Es ist
in einem Zustand, dass man es nicht ausstellen kann.“ Rainer ist
empört.
Aller Anfang ist schwer? Die Proportionsstudien, die
Kreuze, die ersten Selbstübermalungen – Rainers Zeit in Gainfarn war
prägend für seine künstlerische Entwicklung. „In der Zeit zwischen 20
und 30 findet man als Künstler die Grundlagen, aus denen das spätere
Werk herauswächst.“ Seine Eltern haben ihn damals dabei unterstützt,
„sie haben meine Leidenschaft gemerkt und meinen Fleiß“, erinnert er
sich. Trotzdem heißt die Ausstellung „Aller Anfang ist schwer“ – es
scheint wohl schwerere gegeben zu haben, meint man und lässt den Blick
über Weinberge und Haus streifen.
Rainers Vater hatte das Haus in den 20er-Jahren für seine eigenen Eltern erworben. 1939, als Rainer zehn Jahre alt war, zog die Familie dann selbst hier ein.
War er nicht privilegiert, auch im Vergleich zu seinen Kollegen in
der Wiener Kunstszene? „Privilegiert war ich nur insofern, als ich
gesund war und Nebentätigkeiten machen konnte.“ Denn dass man allein
von Malerei leben konnte, war damals keinesfalls üblich. Im Winter ging
Rainer in der Nacht nach Wien Schnee schaufeln, um Geld zu verdienen.
Außerdem sei das Haus heruntergekommen und es sei klar gewesen, dass er
es nicht behalten werde, dass die vier Geschwister es verkaufen würden,
um sich jeweils eigene Existenzen aufzubauen.
Retrospektive in
München. Seither habe sich das Haus stark verändert, bei drei Besitzern
aber eine logische Entwicklung, versucht Rainer Sentimentalität gar
nicht erst aufkommen zu lassen. „Schon mein Vater hat modernisiert und
zwei gusseiserne Aufgänge zur Terrasse weggerissen, heute undenkbar!“
Rainer selbst lebt in Oberösterreich und Teneriffa, er braucht große
Ateliers, die er hier nicht haben hätte können.
In Teneriffa wird er am 8. Dezember auch seinen 80. Geburtstag feiern. Eine große Retrospektive ist dann im Frühjahr „in einem großen Museum in München“ geplant. In Österreich, in Wien konnte bisher noch keine Station fixiert werden, das Museum moderner Kunst sei nicht an einer Übernahme interessiert gewesen, „das macht mich doch ein bisschen wütend“.
Sagt er und geht vorsichtig die Steintreppen hinunter, vorbei an den Feigenbäumen, die sein Vater noch pflanzte und vorbei an den Friedhofsengeln, die er in den 50er-Jahren im Garten aufgestellt hat, um hier wieder eine Atmosphäre des 19.Jahrhunderts einziehen zu lassen. In Baden werden derweil die letzten Bilder gehängt, die Verneigung vor einem berühmten Sohn, der bereits zum zweiten Mal zurückgekehrt ist.