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Kunstberichte

Quer durch die Galerien

Stille ist in jedem Fall Einbildung

Was man mit dem

Was man mit dem "Ding" macht? Man steckt es sich an. Wie eine Brosche. Yasunori Watanuki fantasiert in Silber über die Zauberblume Karou. Yasunori Watanuki

Von Claudia Aigner

Wie heizt man ein Iglu mit einem einzigen Blatt Papier, wenn man aber nicht einmal ein Feuerzeug verwenden darf? Und wie macht man sich einen Kaffee, wenn man nichts als heißes Wasser und eine Backoblate zur Verfügung hat (weil einem vorher ein Sadist alle Kaffeebohnen weggenommen hat)?
Wir erinnern uns an die zwölf Prüfungsaufgaben des Herkules. Die waren etwas anders (aber nicht weniger übermenschlich). Die konnte der Schutzpatron der Fitnessstudios nämlich fast alle mit seiner Keule lösen. Bei obigen Intelligenztests freilich, da muss der Prüfling schon tüchtig mit dem Kopf draufhauen. Bis zur Gehirnerschütterung. Ich kenn’ einen, der würde das hinkriegen.

Galerie Lindner: Die Welt entsteht im Kopf

Der Heinz Gappmayr, der gerade 80 geworden ist, erwürgt zwar nicht den Nemeischen Löwenzahn (oder: pflückt man den?) und er mistet auch nicht die Ställe des Augias aus (er traut sich wahrscheinlich höchstens den Malkasten des Herrn Jolly zu – und ließe da bloß die drei Primärfarben übrig), und es läge ihm völlig fern, am Ende der Welt Hesperidenessig zu stehlen. Aber die Heizung in einem Iglu anmachen, das könnte er gewiss.

Auf besagtes Blatt Papier schriebe er voller Optimismus (denn er glaubt an die Macht der Sprache, Realität zu erschaffen) „20 Grad Celsius“, würde es zu einem Papierflugzeug falten und den Flieger, der die Wärme an Bord hat, in die eiskalte Schneehütte schießen und den Eskimos die Zimmertemperatur bringen. Und dann den Anorak, Modell „Inuk“, und die Angoraunterwäsche ausziehen, weil nur Analphabeten eine Gänsehaut kriegen.

Aus diesem Grund wäre ich vorsichtig, wenn der Heinz G. sich gastfreundlich erkundigt: „Kaffee oder Tee?“ Denn dann muss man damit rechnen, dass er statt der Kaffeebohnen oder Teebeutel seine berüchtigten Transferlettern zückt, sie auf eine Oblate pickt (also die Wörter „Kaffee“ oder „Tee“, oder in religiöser Anmaßung: „Wein“) und diese dann im heißen Wasser versenkt. Im Glasbecher (wegen dem Vitrinen-Effekt). Und dann auf die wundersame Wandlung der Oblate wartet. Im Sprachzentrum des Hirns. Wer lesen kann, der schmecke.

Lesen bis zur Gehirnerschütterung

Doch die ultimative Herausforderung, an der alle scheitern würden, nur nicht der G., wäre diese: Ein Zimmer soll rot ausgemalt werden, es sind aber nur Tiegel mit gelber Farbe da. Kein Problem für einen intellektuellen Maler und Anstreicher (oder einen „visuellen Poeten“ wie den G.): Der streicht die Wände gelb und kritzelt da und dort das Wort „Magenta“ drüber. Der Verstand des Betrachters mischt das dann zum gewünschten Rot zusammen.

Die Farben entstehen sowieso im Schädel. Die Zapfen auf der Netzhaut, die für Blau, Grün oder Rot am empfindlichsten sind, werden durch einfallendes Licht angeregt und das Gehirn addiert alles zu einer Farbempfindung.
Solche Prüfungen finden bestenfalls die Sprachwissenschaftler oder Neurologen aufregend und da steigen sogar die Kreuzworträtsellöser aus? Das wäre in dem Fall ziemlich wurscht. Denn obiges hat der G. ja – noch – nicht getan. Folgendes freilich schon.

Die grauen Zellen färben sich blau ein

Das Opus „Primärfarben“ (gemeint sind die Grundfarben der Maler, nicht die der Physiker, die ja ins Licht und nicht ins Pigment schauen, also nicht Rot, Grün und Blau und auch nicht die Primärfarben der Autofahrer: Rot, Gelb, Grün wie die Ampel): ein gelber Streifen, ein roter und daneben auf zahnpflegekaugummiweißem Grund: der Schriftzug „Blau“.
Da drückt wirklich erst die graue Masse hinter der Stirn auf die blaue Farbtube. Sehen und Denken werden austauschbar. (Das Blatt reicht allerdings nicht an jenes heran, wo geradezu genialisch kompakt und paradox auf einer blauen Grundierung „gelb“ steht. In roter Farbe. Für den fortgeschrittenen Intellekt wäre die Schrift jetzt schwarz, weil sich an der Stelle in gewisser Weise alle drei Primärfarben vereinen.)

Ein andermal behauptet der G. bei zwei völlig identischen grünen Flächen, die eine wäre aus Gelb und Blau entstanden, die andre aus Blau und Gelb. Eine Spitzfindigkeit. Effektvoll poetisch ist seine „Stille“. Stille ist in jedem Fall Einbildung. Wo der Mensch ist, kann sie nicht existieren. Der ist weder imstande, sein Handy auf „lautlos“ zu stellen, noch seine Stimmbänder.

Und wenn einer im Gefolge von John Cage einen Moment des Schweigens dirigiert, weigert sich das Publikum standhaft, Hustenzuckerln zu lutschen. Wie sorgt nun der G. für die Abwesenheit von Störgeräuschen? Nein, er notiert nicht auf einer Malerleinwand den frommen Wunsch „0 Dezibel“, knüllt den Stoff zusammen und knebelt damit einen Konzert-Huster.
Zuerst mutet es ja wie ein Sehtest an, denn von der „Stille“ ragen nur die obersten Buchstabenränder aus dem monochromen Blau heraus, das das Wort verschluckt wie das Meer einen Nichtschwimmer. Da schießt mir doch sofort Goethes Gedicht „Meeres Stille“ ein (über die Depression eines Seemanns in Fortbewegungsnot, dem der Sprit, die Brise, ausgegangen ist): „Tiefe Stille herrscht im Wasser, / Ohne Regung ruht das Meer, / Und bekümmert sieht der Schiffer / Glatte Fläche ringsumher.“ Und der Gappmayr, dieser konzeptuelle Minimalist der Güteklasse A, braucht nicht einmal Salz in seinem Blau.

Galerie V & V: Schmuck ist kein Schmarotzer

Der braucht den Menschen nur als Unterlage. Der klammert sich an die Ohrläppchen und die Kleidung wie Epiphyten an Baumäste und Büsche, wie Pflanzen, die auf andern Gewächsen leben. Wie Flechten und Moose, die das Mondlicht in einer romantischen Anwandlung versilbert hat, muten die komplex filigranen, perfektionistisch bizarren Stücke von Yasunori Watanuki an (der ein wahrer Könner ist). Die Broschen: manieristischer „Schimmelpilzbefall“ auf dem Gewand. Unglaublich flaumig und flockig.

Daneben macht Markus Felberbauer praktikable Vorschläge, wie man nackerte Glühbirnen bekleiden kann („birnen.wickel“). Indem man Streifen aus Lampenschirmfolie kreativ und in steigenden Schwierigkeitsgraden um sie herum windet, ohne dass sie dann aussehen wie „Tutenchamun als Glühbirne“.

Quer durch die Galerien*

Galerie Lindner

(Schmalzhofgasse 13/3)

Heinz Gappmayr. Bildobjekte.

Bis 2. Dezember

Di. bis Fr. 14 bis 18 Uhr

Galerie V & V

(Bauernmarkt 19)

Schmuckgebilde — Yasunori Watanuki.

birnen.wickel — Markus Felberbauer.

Bis 26. November

Di. und Mi. 14 bis 18.30 Uhr

Do. 14 bis 21 Uhr

Fr. und Sa. 11 bis 18 Uhr

Freitag, 11. November 2005


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