Wie heizt man ein Iglu mit einem einzigen Blatt Papier, wenn man aber
nicht einmal ein Feuerzeug verwenden darf? Und wie macht man sich einen
Kaffee, wenn man nichts als heißes Wasser und eine Backoblate zur
Verfügung hat (weil einem vorher ein Sadist alle Kaffeebohnen weggenommen
hat)?
Wir erinnern uns an die zwölf Prüfungsaufgaben des Herkules. Die
waren etwas anders (aber nicht weniger übermenschlich). Die konnte der
Schutzpatron der Fitnessstudios nämlich fast alle mit seiner Keule lösen.
Bei obigen Intelligenztests freilich, da muss der Prüfling schon tüchtig
mit dem Kopf draufhauen. Bis zur Gehirnerschütterung. Ich kenn’ einen, der
würde das hinkriegen.
Galerie Lindner: Die Welt entsteht im Kopf
Der Heinz Gappmayr, der gerade 80 geworden ist, erwürgt zwar nicht den
Nemeischen Löwenzahn (oder: pflückt man den?) und er mistet auch nicht die
Ställe des Augias aus (er traut sich wahrscheinlich höchstens den
Malkasten des Herrn Jolly zu – und ließe da bloß die drei Primärfarben
übrig), und es läge ihm völlig fern, am Ende der Welt Hesperidenessig zu
stehlen. Aber die Heizung in einem Iglu anmachen, das könnte er
gewiss.
Auf besagtes Blatt Papier schriebe er voller Optimismus (denn er glaubt
an die Macht der Sprache, Realität zu erschaffen) „20 Grad Celsius“, würde
es zu einem Papierflugzeug falten und den Flieger, der die Wärme an Bord
hat, in die eiskalte Schneehütte schießen und den Eskimos die
Zimmertemperatur bringen. Und dann den Anorak, Modell „Inuk“, und die
Angoraunterwäsche ausziehen, weil nur Analphabeten eine Gänsehaut
kriegen.
Aus diesem Grund wäre ich vorsichtig, wenn der Heinz G. sich
gastfreundlich erkundigt: „Kaffee oder Tee?“ Denn dann muss man damit
rechnen, dass er statt der Kaffeebohnen oder Teebeutel seine berüchtigten
Transferlettern zückt, sie auf eine Oblate pickt (also die Wörter „Kaffee“
oder „Tee“, oder in religiöser Anmaßung: „Wein“) und diese dann im heißen
Wasser versenkt. Im Glasbecher (wegen dem Vitrinen-Effekt). Und dann auf
die wundersame Wandlung der Oblate wartet. Im Sprachzentrum des Hirns. Wer
lesen kann, der schmecke.
Lesen bis zur Gehirnerschütterung
Doch die ultimative Herausforderung, an der alle scheitern würden, nur
nicht der G., wäre diese: Ein Zimmer soll rot ausgemalt werden, es sind
aber nur Tiegel mit gelber Farbe da. Kein Problem für einen
intellektuellen Maler und Anstreicher (oder einen „visuellen Poeten“ wie
den G.): Der streicht die Wände gelb und kritzelt da und dort das Wort
„Magenta“ drüber. Der Verstand des Betrachters mischt das dann zum
gewünschten Rot zusammen.
Die Farben entstehen sowieso im Schädel. Die Zapfen auf der Netzhaut,
die für Blau, Grün oder Rot am empfindlichsten sind, werden durch
einfallendes Licht angeregt und das Gehirn addiert alles zu einer
Farbempfindung.
Solche Prüfungen finden bestenfalls die
Sprachwissenschaftler oder Neurologen aufregend und da steigen sogar die
Kreuzworträtsellöser aus? Das wäre in dem Fall ziemlich wurscht. Denn
obiges hat der G. ja – noch – nicht getan. Folgendes freilich schon.
Die grauen Zellen färben sich blau ein
Das Opus „Primärfarben“ (gemeint sind die Grundfarben der Maler, nicht
die der Physiker, die ja ins Licht und nicht ins Pigment schauen, also
nicht Rot, Grün und Blau und auch nicht die Primärfarben der Autofahrer:
Rot, Gelb, Grün wie die Ampel): ein gelber Streifen, ein roter und daneben
auf zahnpflegekaugummiweißem Grund: der Schriftzug „Blau“.
Da drückt
wirklich erst die graue Masse hinter der Stirn auf die blaue Farbtube.
Sehen und Denken werden austauschbar. (Das Blatt reicht allerdings nicht
an jenes heran, wo geradezu genialisch kompakt und paradox auf einer
blauen Grundierung „gelb“ steht. In roter Farbe. Für den fortgeschrittenen
Intellekt wäre die Schrift jetzt schwarz, weil sich an der Stelle in
gewisser Weise alle drei Primärfarben vereinen.)
Ein andermal behauptet der G. bei zwei völlig identischen grünen
Flächen, die eine wäre aus Gelb und Blau entstanden, die andre aus Blau
und Gelb. Eine Spitzfindigkeit. Effektvoll poetisch ist seine „Stille“.
Stille ist in jedem Fall Einbildung. Wo der Mensch ist, kann sie nicht
existieren. Der ist weder imstande, sein Handy auf „lautlos“ zu stellen,
noch seine Stimmbänder.
Und wenn einer im Gefolge von John Cage einen Moment des Schweigens
dirigiert, weigert sich das Publikum standhaft, Hustenzuckerln zu
lutschen. Wie sorgt nun der G. für die Abwesenheit von Störgeräuschen?
Nein, er notiert nicht auf einer Malerleinwand den frommen Wunsch „0
Dezibel“, knüllt den Stoff zusammen und knebelt damit einen
Konzert-Huster.
Zuerst mutet es ja wie ein Sehtest an, denn von der
„Stille“ ragen nur die obersten Buchstabenränder aus dem monochromen Blau
heraus, das das Wort verschluckt wie das Meer einen Nichtschwimmer. Da
schießt mir doch sofort Goethes Gedicht „Meeres Stille“ ein (über die
Depression eines Seemanns in Fortbewegungsnot, dem der Sprit, die Brise,
ausgegangen ist): „Tiefe Stille herrscht im Wasser, / Ohne Regung ruht das
Meer, / Und bekümmert sieht der Schiffer / Glatte Fläche ringsumher.“ Und
der Gappmayr, dieser konzeptuelle Minimalist der Güteklasse A, braucht
nicht einmal Salz in seinem Blau.
Galerie V & V: Schmuck ist kein Schmarotzer
Der braucht den Menschen nur als Unterlage. Der klammert sich an die
Ohrläppchen und die Kleidung wie Epiphyten an Baumäste und Büsche, wie
Pflanzen, die auf andern Gewächsen leben. Wie Flechten und Moose, die das
Mondlicht in einer romantischen Anwandlung versilbert hat, muten die
komplex filigranen, perfektionistisch bizarren Stücke von Yasunori
Watanuki an (der ein wahrer Könner ist). Die Broschen: manieristischer
„Schimmelpilzbefall“ auf dem Gewand. Unglaublich flaumig und flockig.
Daneben macht Markus Felberbauer praktikable Vorschläge, wie man
nackerte Glühbirnen bekleiden kann („birnen.wickel“). Indem man Streifen
aus Lampenschirmfolie kreativ und in steigenden Schwierigkeitsgraden um
sie herum windet, ohne dass sie dann aussehen wie „Tutenchamun als
Glühbirne“.
Quer durch die Galerien*
Galerie Lindner
(Schmalzhofgasse 13/3)
Heinz Gappmayr. Bildobjekte.
Bis 2. Dezember
Di. bis Fr. 14 bis 18 Uhr
Galerie V & V
(Bauernmarkt 19)
Schmuckgebilde — Yasunori Watanuki.
birnen.wickel — Markus Felberbauer.
Bis 26. November
Di. und Mi. 14 bis 18.30 Uhr
Do. 14 bis 21 Uhr
Fr. und Sa. 11 bis 18 Uhr
Freitag, 11. November
2005