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Die Zeit im Bild festgehalten

23.08.2007 | SN
Bei allem Fleiß, aller Akribie und allem Vorankommen: Das menschliche Leben bleibt unvollendet. Dies zeigt der Künstler Roman Opalka in seinen Zahlenbildern. MAGDALENA MIEDL

Magdalena Miedl Salzburg (SN). Wie kann man Zeit malen? Kann man Zeit überhaupt malen? Der französisch-polnische Künstler Roman Opalka hat dafür einen Weg gefunden und arbeitet seit 1965 an seinem Lebenswerk "1-unendlich". Wie ein "Big Bang", ein Urknall sei es gewesen, als er die Ziffer 1 in die obere linke Ecke einer Leinwand gemalt habe, erzählt der 76-jährige Künstler. Seither dehnt sich das Werk aus: Auf immer gleich großen Leinwänden im Format 196 mal 135 Zentimeter malt er sorgsam eine Zahl nach der anderen auf einen grauen Untergrund.

Dass die Zahlen gemalt und nicht geschrieben werden, darauf legt er hohen Wert. Nach der ersten Million begann Roman Opalka, dem Grau der Grundierung jeweils einen minimal erhöhten Weiß-Anteil zuzufügen. Mittlerweile ist die Zahl 5,555.555 geschrieben, der Künstler befindet sich irgendwo in der Gegend von 5,560.000, und der Untergrund ist beinahe weiß. Die Zahlen sind mit bloßem Auge nur mühsam zu erkennen, die Tafeln wirken monochrom.

Warum tut er das? Warum hat Roman Opalka, der 1965 ein arrivierter, wenn auch junger Künstler war, plötzlich begonnen, Zahlen zu schreiben? Warum hört er damit nicht mehr auf? Mehr noch: Als wollte er der Vergänglichkeit ein Schnippchen schlagen, beendet er in seinem Malprozess niemals eines seiner Details, wie er die Tafeln nennt, sondern beginnt noch innerhalb desselben Prozesses eine neue Tafel, so dass er zu Beginn eines Arbeitstages nie vor einer komplett leeren Leinwand steht.

Zu Beginn experimentierte Roman Opalka noch: Die erste Leinwand war schwarz grundiert, die Zahlen weiß. Auf einer anderen waren es schwarze Zahlen auf rotem Untergrund, dann rote Zahlen auf rotem Untergrund. "Es war natürlich naiv, zu glauben, dass ich da rot oder grün malen kann", sagt Roman Opalka in der Rückschau. Denn die Strenge seines Konzepts erlaube nur das Schwarz und das Weiß - und das Grau als Synthese der beiden.

"Das Grau ist für mich keine symbolische Farbe, es ist für mich die der unsichtbaren Bewegung geworden", schreibt Roman Opalka über das "Sfumato" in seinem Werk. Er zieht den Vergleich mit Leonardo DaVincis Maltechnik des rauchig-unklar Umnebelten. Die unsichtbare Bewegung, auf die sich Opalka bezieht, ist jene zwischen zwei Bildern, die einander so ähneln, dass die Veränderung kaum merklich ist.

Ein weiterer Teil von Opalkas "1-unendlich" ist die Fotografie, die er am Ende jedes Arbeitstages von sich anfertigt: Mit immer gleichem Hemd, ähnlichem Haarschnitt, neutralem Gesichtsausdruck. Fotografien, die an aufeinander folgenden Tagen entstanden sind, unterscheiden sich kaum voneinander. Doch Gradmesser der Zeit sind diese unsichtbare Bewegung, diese minimale Veränderung in den Linien von Opalkas Gesicht oder im Grauwert der Leinwand.

Der Künstler verbindet keine besonderen Ereignisse in seinem Leben mit bestimmten Zahlen. Eher sind es besondere Zahlen, die zu erinnernswerten Momenten führen: Wie die Zahl 1, die 22, 333, 4444 - die Faszination der Zahlenspielerei ist eine Verlockung. Als er bei der Zahl 666.666 angekommen sei, habe er sich überlegt, wie lang er zur nächsten besonderen Zahl brauchen würde: Sieben Mal die sieben, 7,777.777 - etwa dreißig Jahre, erzählt Roman Opalka.

Seit dieser Überlegung sind 35 Jahre vergangen, und die magische Zahl ist noch in weiter Ferne. "Man muss verstehen, dass die 7,777.777 eine außerordentliche Zahl ist - sie ist in einem Menschenleben gerade noch erreichbar", sagt der Künstler. Für die darauf folgende dieser Zahlen, 88,888.888, reichten mehrere Generationen nicht aus - weder, um sie aufzuschreiben, noch, um sie zu sprechen.

Sein Leben komplett den Zahlen unterworfen Seit einigen Jahren gibt es Tondokumente, auf denen Roman Opalka seine Zahlen laut ausspricht, während er sie schreibt. Das Sprechen und Schreiben erfolgt simultan, wobei dem Künstler die Tatsache entgegenkommt, dass seine polnische Muttersprache die Zahlen exakt in der Reihenfolge ihrer Schreibweise wiedergibt. Diese Aufzeichnungen haben in späterer Zeit an Bedeutung gewonnen, da die Leinwände immer heller und die Zahlen immer schlechter sichtbar werden.

Roman Opalka spricht von einem Opfer, wenn er sein Leben und seine Arbeit beschreibt. Es sei ein Opfer gewesen, als Maler auf die Farbe zu verzichten. Und es sei ein Opfer, sein Leben so komplett diesem gigantischen Werk zu unterwerfen. "Doch jemand musste das machen!" Es ist das Memento mori, die unvermeidliche Endlichkeit des menschlichen Lebens, das dem Werk seine Kraft verleiht. Wenn der Künstler Roman Opalka aufhört zu existieren, dann wird auch sein Werk unvollendet bleiben.

Die Galerie im Traklhaus zeigt bis 22. September eine Auswahl von "Details" aus der Sammlung Lenz Schönberg, zusammen mit Fotografien und Tondokumenten. Roman Opalka arbeitet zur Zeit an seinem 227. Detail. Er unterrichtet im Sommer an der Salzburger Sommerakademie für Bildende Kunst eine Klasse zum Thema Installation.

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