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Heinrich Kühn: Als die Fotografie ihr Motiv verlor

03.08.2010 | 18:28 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

Bildende Kunst: Zwischen Landschaftsbildern und Auftragsporträts gelang Heinrich Kühn nicht nur die vollkommene Fotografie, sondern auch seine persönliche Idylle.

Laut, bunt und plakativ malt Walton Ford seine Tier-Universen. Diese Bilder befriedigen schnell unseren Wunsch nach Wiedererkennung, verlieren dann aber ihre Kinderbuch-ähnliche Harmlosigkeit durch erschreckend blutrünstige Details. Das ist unterhaltsam und ob der malerischen Perfektion beachtlich. Die wahre Sensation allerdings ist nicht diese Ausstellung, sondern die Personale von Heinrich Kühn nebenan in den Haupträumen der Albertina. Denn mit den Fotografien von Kühn und einigen Zeitgenossen ist dem Haus eine Ausstellung gelungen, die absolut fasziniert und zugleich ein spannendes Kapitel der Kunstgeschichte herausarbeitet: Anhand von knapp 150 Werken können wir sehen, welche unglaublich malerischen Qualitäten die Fotografie in Wien um die Jahrhundertwende entwickelt hat.

 

Aufgelöste Konturen

Diese Fotografen wollten nicht Gesehenes wiedergeben, sondern eigenständige Bilder schaffen. Wegweiser dieser neuen Entwicklung ist der österreichische Hobbyfotograf Heinrich Kühn. Geboren 1866 in Dresden und ab 1888 in Innsbruck lebend, kann Kühn sich schon früh dank des geerbten Vermögens gänzlich seinem Hobby widmen. Bald perfektioniert er die Technik des „Gummidrucks“, die einen Abzug auf jedem Papier und mit jedem Pigment zulässt. Man meint, eine Kohlezeichnung oder einen Aquatintadruck zu sehen, denn mit seinen ausgetüftelten Techniken löst Heinrich Kühn immer mehr die Konturen von Bäumen, Wolken und Bergen auf, lässt alles weich ineinanderfließen und reduziert die fotografierten Details. Zurück bleiben nur die stillen Bildhelden.

Schon in diesen frühen Fotografien wird deutlich, dass sich Kühn nicht für die Wirklichkeit interessiert. Er möchte, ähnlich den französischen Impressionisten, intensive Stimmungen und dramatische Lichtsituationen einfangen. Darum halten seine Landschaften auch mit der Unschärfe, den fließenden Übergängen und den scharfen Helligkeitskontrasten weniger konkrete Orte fest, als dass sie erlebten Innenbildern ähneln. Deren Grundprinzip ist Harmonie – und genau das zieht uns so in Bann.

Dafür ließ Kühn sogar die Räume in seinem Haus in Innsbruck gezielt ausstatten, mit großen Quadraten in der Täfelung, einem braun ausgemalten und einem weiß gestrichenen Studio für die Porträts. So konnte er optimale Kontraste und Farbtöne herausarbeiten, die oft noch durch Lichtquellen und einzelne Objekte aus Porzellan oder Glas übersteigert sind. Besonders an der Qualität des Hauttons arbeitete er, darin explizit an seinen Vorbildern Peter Paul Rubens und Joshua Reynolds orientiert.

 

Abstraktion des Alltags

Selbst in den einfachsten Motiven schafft Kühn poetische Bilder, wenn er etwa Schuhe auf einer sonnigen Stufe fotografiert. Eine ganze Geschichte möchte man darin entdecken, so stimmungsvoll ist das inszeniert. Tatsächlich aber war Kühn nie an einer inhaltlichen Seite seiner Fotografien interessiert. Er wollte die „vollkommene Fotografie“ finden. Das ist ihm gelungen – aber eben beschränkt auf die formale Ebene. Immer wieder lichtet er seine vier Kinder ab – „andere Modelle darf ich ja nicht haben“, schrieb er einmal. Ihre Kleidung, die Posen und Arrangements sind auf Kontrast hin inszeniert. Mit keinem Detail deutet er etwas über die Charaktere der vier an.

Seine Entscheidung, alles Zufällige auszuschließen und sich weitgehend von dem Naturvorbild zu lösen, lässt auf seine Ablehnung der gesellschaftlichen Veränderungen seiner Zeit schließen. Statt wie der Tiermaler Ford heute im Harmlosen die Brutalität zu betonen, schafft sich Heinrich Kühn bis zu seinem Tod 1944 eine auf reiner Harmonie beruhende Welt. Dies ausgerechnet mit den Mitteln der Fotografie zu erreichen ist eine erstaunliche Leistung in einer Zeit, die von radikalen gesellschaftlichen Umbrüchen und Kriegen gekennzeichnet ist.

„Heinrich Kühn. Die vollkommene Fotografie“: in der Albertina, bis 29. August; tgl. 10–18 Uhr, mittwochs 10-21 Uhr.


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