Vaduz
(VN-ag) Eine nächtliche Stadtszenerie, aufgenommen
aus einem fahrenden Auto, sich verdichtende Dunkelheit bis zur
völligen Leere des Bildes: Der Einstieg in die Ausstellung von
Jochen Gerz im Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz erfolgt mit der
Fotoreihe "Fotografieren bis du allein bist. Darauf angewiesen
sein." programmatisch.
Im Mittelpunkt der Ausstellungsreihe, die sich mit
Jochen Gerz einem wichtigen Vertreter konzeptueller Kunst widmet und
sich nach Stationen in Paris und Straßburg nun in Vaduz schließt,
stehen unter dem Titel "Verkehrte Zeit" Arbeiten der Jahre 1969 bis
2002.
Das Kernstück bilden die neu restaurierten und als DVD
erhältlichen Videoarbeiten von Jochen Gerz. Ergänzt wird das an
verschiedenen Abspielstellen zugängliche und nach "Kapiteln"
geordnete Kompendium, das es auf beachtliche zehn Stunden Spielzeit
bringt, durch Installationen aus der hauseigenen Sammlung sowie
Leihgaben.
Inszenierungen
Erstaunlich genug, denn der 1940 in Berlin geborene,
seit den späten 60er Jahren in Paris lebende und arbeitende Jochen
Gerz ist eigentlich kein auf Video spezialisierter Künstler.
Film und Video setzt er im Zusammenhang mit den seit 1970
ausgeführten Aktionen und Performances zunächst und vor allem als
Dokumentationsmedium, als "Instrument einer
Wirklichkeitsbeglaubigung" (Katalog), ein.
Über die Verletzlichkeit des eigenen Körpers werden die
Performances nicht nur zu Grenzerfahrungen für Künstler und
Publikum. Sie inkludieren darüber hinaus die Kritik an den Medien
und der heutigen Mediengesellschaft, die sich weniger um die
Abbildung von Realität bemüht als vielmehr um die "Inszenierung
eines gigantischen Bildspektakels".
Existenzielle Fragen
"Diese Worte sind mein Fleisch und mein Blut" von 1971,
die erste Arbeit mit Verwendung des Computers, die Installation
"Purple Cross For Absent Now" (1979-89), die mittlerweile im Vaduzer
Besitz befindliche Installation "Exit. Das Dachau-Projekt" von 1974
oder die knapp 20-minütige Videoarbeit "Rufen bis zur Erschöpfung"
(1972): Gerz ist ein Künstler, der sich nicht kategorisieren lässt,
sondern die Medien in einem hohen sinnfälligen Grad verwendet.
Alles ist existenziell
Auffallend ist die Präsenz von Wörtern, gesprochen und
geschrieben, für seine Kunst. Gerz: "So wie es andere Leute gibt,
wie Dichter mit Wörtern, bin ich halt ein Künstler mit Wörtern."
Doch Worte allein genügen nicht, denn bei Gerz wird alles Tun zur
existenziellen Frage und der Betrachter zum interaktiven Part.
Nichts wird gut am Ende. Die eindringlichen "Hallo"-Schreie des
Künstlers hallen durchs Treppenhaus, bis die Stimme endgültig
verstummt. Und selbst das Museum gerät nicht zum Zufluchtsort, wenn
die Fotomappe der Installation "Exit. Das Dachau-Projekt" mit den
Beschriftungen der Gedenkstätte Parallelen zu damals aufweist.
"Die Sprache, die wir sprechen, ist die gleiche wie damals", so
Gerz. Wo gibt es Hilfe, wenn der Schrecken in uns selbst sitzt?
Zur Person
Geboren: 1940 in Berlin
Ausbildung: Studium der Germanistik, Anglistik,
Sinologie in Köln, Abbruch des Studiums, eigene Texte, Übersetzungen
von Ezra Pound, Tätigkeiten als Werbetexter, Sportjounalist
Werdegang: seit 1968 erste Foto/Texte,
Veröffentlichung von Künstlerbüchern, ab 1972 Videoarbeiten,
Performances, seit 1984 interaktive Projekte
Werke im öffentlichen Raum: "Mahnmal gegen den
Faschismus" Hamburg-Harburg 1986, "Mahnmal gegen Rassismus"
Saarbrücken 1993
Jochen Gerz schreibt, wo er kann.
Gerz' Videos über die Verletzlichkeit des eigenen Körpers werden
nicht nur zu Grenzerfahrungen für Künstler und Publikum. Sie
inkludieren darüber hinaus die Kritik an der Mediengesellschaft.
Die Ausstellung "Jochen Gerz. Verkehrte Zeit" ist im Kunstmuseum
Liechtenstein in Vaduz bis zum 9. März 2003 zu sehen, geöffnet Di.
bis So. 10 bis 17, Do. 10 bis 20 Uhr.