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Chinesische Fotografie: Aus dem Westen nichts Neues

29.10.2008 | 18:16 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Das Kunsthaus Nexus in Saalfelden zeigt mit Wang Qingsong den Star der neuen chinesischen Fotografie, der am Markt Rekorde erzielt.

Es hat etwas Surreales, gerade in der Ausstellungshalle des kleinen Kunsthauses Nexus in Saalfelden, touristenidyllisch zwischen den goldenen Bögen eines amerikanischen FastfoodLokals und den weißen Gipfeln der Kalkalpen angesiedelt, den derzeitigen Star der zeitgenössischen chinesischen Fotografie, Wang Qingsong, zu entdecken, der sich in seinem Werk mit dem Hereinbrechen amerikanischer Konsumwelt in eine bisher abgeschlossene Kultur beschäftigt.

Denn nicht nur einmal kommt das in Saalfelden direkt benachbarte gelbe „M“ in seinen Foto-Inszenierungen vor: Einerseits als Synonym für die Marktdominanz des Westens, andererseits für die affirmative Kapitulation der Chinesen genau vor derselben. So stehen zum Beispiel auf Transparenten, die Wang Qingsong von Demonstrierenden in die Höhe halten ließ, typische Propagandasprüche über das freundliche China. Im nächsten Bild zeigt er den von ihm inszenierten Zug von hinten – und plötzlich liest man auf der Rückseite der Banner „Mc donald's (Come! Come!)“. Das dritte Foto zeigt dann das verlassene Schlachtfeld – eine Müllhalde aus Plastikabfall.

Penetrante Subtilität kann man dem 1966 Geborenen jedenfalls nicht vorwerfen. Seine Message ist klar, manchmal mehr, manchmal weniger ironisch: Angeprangert wird Kulturverfall und Konsumwahn. Ob er sich jetzt selbst im Schneidersitz als Kitsch-Buddha darstellt, auf seiner Brust das Fastfood-Logo eintätowiert oder als Gefangener, der durch Gitterstäbe aus übereinandergestapelten Coladosen lugt. Mit dieser Optik hat Wang Qingsong jedenfalls internationalen Erfolg – im Ausstellungswesen (2009 bekommt er im New Yorker International Center of Photography die erste institutionelle Personale eines chinesischen Gegenwartskünstlers in den USA) wie auch am Kunstmarkt.

 

Jedes Jahr ein Rekord für „Follow me“

Dort feiert sein 2003 in Zehnerauflage gedrucktes Foto „Follow me“ Jahr für Jahr neue Rekorde. Es begann 2006 bei Sotheby's, als Wang Qingsong von null auf Platz eins der Topzuschläge für zeitgenössische Fotografie sprang: 318.400 Dollar machte „Follow me“ damals. 2007 waren es, ebenfalls bei Sotheby's, 713.000 Dollar. Und heuer im Juli schaffte das panoramaartige Foto, diesmal bei Christie's, 865.200 Dollar. Übrigens nur wenige Tage vor der Ausstellungseröffnung in Saalfelden, wo Kunsthallenleiter Christoph Feichtinger praktisch die Spucke wegblieb vor Überraschung, welchen Star er sich da durch eine zufällige Begegnung während einer China-Reise geangelt hatte.

So wurde „Follow me“ (in einer eigenen, nichtveräußerbaren Ausstellungskopie) zum Mittelpunkt der auf Wang Qingsongs Konsumkritik konzentrierten Ausstellung. Entstanden im Jahr 2003, in dem Peking offiziell als Olympia-Austragungsort 2008 verkündet wurde, macht sich der Konzeptkünstler hier über die vorauseilenden Versuche seiner Mitbürger lustig, auf der internationalen Bühne zu glänzen. Er parodiert die chinesische TV-Sprachschule „Follow me“ ebenso wie die Orientierung chinesischer Künstler nach westlichen Zentren und Autoritäten. In der Rolle des Oberlehrers deutet er auf Begriffe wie „Criticism“, „Documenta“ und Propagandasätze in typischem Chinglish – „Let China walks towards the world!“ oder „Let the world learns about China!“ Das omnipräsente „M“-Logo konnte er sich dabei ebenso wenig verkneifen wie die Colaflasche, die plakativ vor ihm auf dem Tisch steht.

Trotzdem ist diese Arbeit für unsere Augen eine seiner besten und überzeugt mit einfachsten Mitteln – ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen aufwendigen Fotoproduktionen, von denen in der Ausstellung ein Making-of-Video zeugt. Mit Massen von Akteuren und Bühnenbildern wird da in fabrikshallengroßen Studios etwa penibel daran gearbeitet, für ein Foto Armut nachzustellen. Wenige Meter vor den Türen hätte man sie wohl wirklich gefunden.


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