Von der Neurose des Kunstsammelns

16. September 2010, 17:15
  • Artikelbild: "Man in a Sheet" des Australiers Ron Mueck zeigt einen betenden Mönch. Auf Dimitris Tzamouranis "Spiegel" überschminken Mädchen ihre Jugend. Deren Vergänglichkeit zeigt Franz Gertschs Porträt "Irène" in der Schau "Lebenslust und Totentanz".
 
  - Foto: Kunsthalle Krems
    vergrößern 600x400


    "Man in a Sheet" des Australiers Ron Mueck zeigt einen betenden Mönch. Auf Dimitris Tzamouranis "Spiegel" überschminken Mädchen ihre Jugend. Deren Vergänglichkeit zeigt Franz Gertschs Porträt "Irène" in der Schau "Lebenslust und Totentanz".

     

     

  • Artikelbild: Mit Aktfotografien der französischen Künstlerin Bettina Rheims im Rücken diskutierten Karlheinz Essl (Essl-Museum Klosterneuburg), Andrea Schurian (der Standard), der Sammler Thomas Olbricht (me Collectors Room, Berlin), Agnes Husslein-Arco (Belvedere, Wien), Ernst Ploil (Rechtsanwalt und Sammler) sowie Hans-Peter Wipplinger (Kunsthalle Krems; von links) in der Kunsthalle Krems über Kunstsammeln und dessen Beweggründe. - Foto: Kunsthalle Krems
    vergrößern 600x400

    Mit Aktfotografien der französischen Künstlerin Bettina Rheims im Rücken diskutierten Karlheinz Essl (Essl-Museum Klosterneuburg), Andrea Schurian (der Standard), der Sammler Thomas Olbricht (me Collectors Room, Berlin), Agnes Husslein-Arco (Belvedere, Wien), Ernst Ploil (Rechtsanwalt und Sammler) sowie Hans-Peter Wipplinger (Kunsthalle Krems; von links) in der Kunsthalle Krems über Kunstsammeln und dessen Beweggründe.


Die Schau "Lebenslust & Totentanz" in der Kunsthalle Krems zeigt ausschließlich Exponate aus der Privatsammlung Olbricht

Anlass für eine hochkarätig besetzte Diskussion über die Faszination des Sammelns.

  • MEHR ZUM THEMA
  • weg:Fernweh? Jetzt buchen auf austrian.com

Krems - "Niemand würde jemanden, der einen Doppler nach dem anderen runtergießt, als Wein- oder Flaschensammler bezeichnen. Ein Kettenraucher ist ja auch kein Zigarettensammler. Einer, der immer wieder Kunstobjekte erwirbt, ist im Wesentlichen nichts anderes, er sammelt halt etwas in der Gesellschaft Anerkanntes, daher wird die Sucht intellektuell überhöht", sagt Rechtsanwalt Ernst Ploil und diagnostiziert: "Ein Sammler ist ein schwerer Neurotiker." Dass man als Sammler für seinen psychologischen Defekt bewundert wird, sei mit ein Grund, diese Neurose zu pflegen.

Moderiert von Standard-Kulturressortleiterin Andrea Schurian, tauschten sich Ploil, selbst Sammler und Mitbesitzer des Auktionshauses Kinsky, Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere, Hans-Peter Wipplinger, Geschäftsführer der Kunsthalle Krems, Sammler und Museumsgründer Karlheinz Essl sowie der Arzt und Sammler Thomas Olbricht über ihre Erfahrungen über das Leben mit dem Sammlervirus aus.

"Angefangen habe ich im Alter von fünf Jahren mit Briefmarken. So habe ich die Welt erobert", erinnert sich Olbricht, der im Mai in Berlin den me Collectors room für seine Sammlung eröffnet hat. Sein erstes Kunstwerk erstand er vor 25 Jahren: ein Gemälde des rheinischen Künstlers Georg Meistermann. "Mein Weg war sehr klassisch. Zuerst regionale, dann nationale und schließlich internationale Kunst".

Karlheinz Essl, einer der wichtigsten österreichischen Sammler, tauchte 1959 durch seine Frau in die moderne Kunstszene ein. "Ich war in New York Volontär in einer Lebensmittelkette", erinnert er sich, "meine spätere Frau arbeitete in einer modernen Galerie." Bei Ploil trat das Krankheitsbild mit etwa 20 Jahren in Erscheinung - im Vergleich zu Olbricht also fast ein Spätzünder, aber "in diesem Alter hatte ich die finanziellen Mittel, um der Sucht nachzugeben", erzählt er.

Geldmangel der Museen

Ohne Geld kein Sammeln - darin sind sich alle Diskutanten einig. Und auch darüber, dass weit mehr dazu gehöre als ausreichende finanzielle Mittel, um eine umfangreiche Sammlung aufzubauen, nämlich "Enthusiasmus, Mut und Nachhaltigkeit."

Die laufende Ausstellung Lebenslust und Totentanz in der Kunsthalle Krems (siehe Artikel links) zeigt an die 250 Werke aus Olbrichts Sammlung. Wipplinger: "Manche kritisieren, wenn man Sammlungen präsentiert, sie glauben, dass die Bilder dadurch aufgewertet werden." Der Marktwert werde durch museale Präsentationen tatsächlich gesteigert, sagt Agnes Husslein, aber, fügt sie hinzu: Ohne private Leihgaben wären viele Ausstellungen unmöglich: "Wir haben offiziell ein Budget von 35. 000 Euro jährlich und sind auf Sponsoren und Sammler angewiesen." Anders als private Sammler und amerikanische Museen dürfe man hier auch nichts verkaufen: "Wir haben eine Sammlung vom Mittelalter bis heute und da würden wir natürlich einiges gerne wieder loswerden".

Dass Kunstkäufe in Österreich nicht steuerlich absetzbar sind sowie die aktuelle Vermögenssteuerdebatte erachten die Diskutanten als großes Problem. Die wenigen international bedeutenden Kunstsammler Österreichs würden lieber im Verborgenen bleiben. Die daraus resultierenden mangelnden Zuwendungen für Museen würden deren Möglichkeiten beeinträchtigen. Schließlich habe ein staatliches Museum eine konkrete Verantwortung. Husslein: "Es ist unsere Aufgabe, die österreichische Kunst zu erforschen, sie im internationalen Kontext zu sehen und Künstlern eine Plattform zu bieten, damit sie so bekannt werden, dass sie internationalen Sammlern auffallen". Gespür ist Grundvoraussetzung, um dann zu kaufen, wenn Künstler noch unbekannt und deren Werke erschwinglich sind.

"Bei Werken, die eine Million Euro und noch mehr kosten, kann ein Museum kaum mehr mithalten", stimmt Wipplinger zu. "Wir sammeln nicht, sondern sind auf Leihgaben angewiesen. Aufgrund der geringen Museumsbudgets sind wir immer mehr auf Privatsammler angewiesen."

Entscheidungen in Sekunden

"Mein Kriterium, ob ich etwas kaufe, ist ganz simpel: Gefällt mir ein Kunstwerk, oder gefällt es mir nicht? Diese Entscheidung treffe ich innerhalb von Sekunden", sagt Olbricht. Außer, wie er freimütig zugibt, genügend Geld, Enthusiasmus, Mut und dem sprichwörtlichen Blick für gute Kunst habe er "ein Herz, das für Kunst schlägt". Für Essl ist die Qualität eines Kunstwerks ausschlaggebend: "egal ob es ein Video, eine Zeichnung oder eine Fotografie ist". Und "es muss mich bewegen, es muss mir kalt über den Rücken laufen". Ein wichtiger Programmpunkt in seinem Museum ist die Kunstvermittlung: "Ich bin der Meinung, dass man nicht früh genug damit anfangen kann, den Kindern Kunst näherzubringen und ihnen lustvoll den Zugang zur Kunst zu ermöglichen".

Für die Zukunft ihrer Sammlungen haben Essl und Olbricht unterschiedliche Vorstellungen. Karlheinz Essl will, dass "unsere Kunst über alle Zeiten der Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Es gibt keine Erbfolge bei uns, es ist eine Stiftung". Als bekennender Protestant sieht er darin eine Möglichkeit, "die mir Gott gegeben hat, etwas Vernünftiges für die Gesellschaft zu leisten." Thomas Olbricht überlässt es seinen Kindern, ob sie seine Sammlung einmal in Ehren halten oder neue Investitionen tätigen werden.

Mit Liebe, Kenntnis, Leidenschaft, Geduld und ein bisschen Wahnsinn weitersammeln: Das eint Museen und Private. (Elisa Weingartner / DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2010)

 

Ein voyeuristischer Blick auf Freude und Tragik des Seins

Krems - "Stille, Tod, Entsetzen, Tanzen, Freude, Lust und Voyeurismus. Ich möchte, dass die Besucher eine Abenteuerreise durch diese Emotionen machen", sagt Thomas Olbricht, Arzt, Wella-Erbe und vor allem leidenschaftlicher Kunstsammler, zu der aktuellen Schau aus seiner Sammlung in der Kunsthalle Krems. Die rund 250 ausgestellten Werke machen nur einen Teil der Sammlung Olbricht aus - eine der quantitativ größten europäischen Kunstkollektionen. Der Rest ist im me Collectors Room zu bestaunen, einem Ausstellungshaus, das Olbricht im Mai in Berlin eröffnet hat.

Die Sammlung umfasst Kunst vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, kuriose Artefakte aus Kunst- und Wunderkammern der Renaissance und des Barock ebenso wie Arbeiten Gerhard Richters oder der Brüder Jake und Dinos Chapman, eine Neonskulptur des Südafrikaners Kendell Geers oder Fotografien von Cindy Sherman.

Die Kuratoren Hans-Peter Wipplinger und Wolfgang Schoppmann haben unter dem Titel Lebenslust und Totentanz Themeninseln wie Liebe, Sexualität, Terror oder Religion geschaffen. Arbeiten von Albrecht Dürer werden mit jenen von Damien Hirst in Kontext gestellt, Kreidezeichnungen von Ernst Ludwig Kirchner den Pop-Gemälden von Terry Rodgers gegenübergestellt.

Dieser Querschnitt der Olbricht-Sammlung ist noch bis 7. November in der Kunsthalle Krems zu sehen. (ewe)

 

weitersagen:
drucken
Kommentar posten
Posten Sie als Erste(r) Ihre Meinung

Die Kommentare von User und Userinnen geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich vor, Kommentare, welche straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen, den guten Sitten widersprechen oder sonst dem Ansehen des Mediums zuwiderlaufen (siehe ausführliche Forenregeln), zu entfernen. Der/Die Benutzer/in kann diesfalls keine Ansprüche stellen. Weiters behält sich die derStandard.at GmbH vor, Schadenersatzansprüche geltend zu machen und strafrechtlich relevante Tatbestände zur Anzeige zu bringen.